Mittelschwaebische Nachrichten
Die etwas andere Eisbachwelle
Surfen ist in München Kult. Aber bei der berühmten Welle im Englischen Garten darf nicht jeder ran, das muss man sich erarbeiten. Unweit davon gibt es aber eine Alternative
München Einladend sieht das Wasser ja nicht aus. Nach dem starken Regen der vergangenen Wochen rauscht der Münchner Eisbach capuccinofarben durch den Englischen Garten. Weder das, noch die 15 Grad, die das Wasser hat, halten Jennie Thomasson von ihrem Vorhaben ab. Sie läuft die schmale Steinoberfläche entlang. Es wird immer enger, immer rutschiger. Ihr Blick ist konzentriert auf den reißenden Strom neben ihr gerichtet. Dann springt sie mit Schwung. Und landet mit beiden Beinen auf ihrem Surfboard.
Surfen, das gehört irgendwie zur DNA der bayerischen Landeshauptstadt. Zwar ist das nächste Meer rund 500 Kilometer entfernt, doch die Eisbachwelle im Englischen Garten ist Kult. Viele reisen extra an, um auch mal auf der Dauerwelle zu reiten. Touristinnen und Touristen, Schaulustige und Surfbegeisterte tummeln sich dort jeden Tag. Das Flusssurfen ist so beliebt, dass mehrere Städte jetzt eine eigene Welle wollen. Augsburg bekommt eine am Senkelbach in der Nähe des Plärrergeländes, in Nürnberg ist eine Welle gerade im Testbetrieb.
Allerdings: Die berühmte Eisbachwelle ist nicht für jeden zugänglich. Wer niemanden von den regelmäßigen Surfern und Surferinnen kennt und nicht gut surfen kann, wird kaum rangelassen. „Auf der E1 gibt es einen starken Wettbewerb“, sagt Thomasson. E1, so nennen die Münchner Surfer die bekannte Eisbachwelle. Ein paar hundert Meter weiter den Bach entlang ist die Dianabadschwelle, auch als E2 bekannt. Und genau dort surft an diesem Tag Jennie Thomasson.
Manche Surfer üben hier, um irgendwann einmal bei der E1 mitmachen zu können. Anderen ist sie generell lieber. Die E1 ist wilder, die Verletzungsgefahr ist größer, wenn jemand unkontrolliert stürzt. Korbinian, ebenfalls ein E2-Surfer, mag die entspannte Stimmung an der Dianabadschwelle. Weniger Wettbewerb, mehr „Surfervibes“. „Bei der E1 schauen so viele Leute zu“, sagt er und winkt ab. Das sei nichts für ihn. An der Dianabadschwelle sind an diesem Tag acht Zuschauerinnen und Zuschauer. Dazu kommen vier Surfer und drei Surferinnen, die auf dem engen Steinweg anstehen, bis sie dran sind.
Ein Grund dafür, dass die E1-Surfer keine Neulinge bei ihnen wollen, ist ein gewisser Lokalstolz, den Thomasson auch von anderen
Wellen auf der Welt kennt. „Menschen, die oft eine Welle surfen, denken, es ist ihre“, erklärt sie. Sie habe schon Streitereien und Prügeleien deswegen erlebt. Hauptgrund für die Abweisung von Neulingen ist aber, dass die wilde Welle gerade für Anfänger gefährlich ist. Geübte Surfer wissen besser, wie sie fallen müssen. Die E1-Surfer haben Angst, dass das Surfen nach größeren Unfällen verboten werden könnte. Die Münchner Kult-Aktivität ist zwar seit 2010 nicht mehr illegal, allerdings nur geduldet. Die Stadt München könnte es verbieten. „Aber das wird nicht passieren“, sagt Korbinian. Die Gefahr, dass die Welle geschlossen wird, bestehe eher in der E2, die weniger zum Stadtbild gehört als ihr bekannter Zwilling.
Die Dianabadschwelle steht teilweise in der Diskussion, weil sich hier Anwohner über Lärm und Flutlichter beschweren. Wie ein nur mäßig geduldeter Surfort sieht es an der E2 auch aus. Die Welle ist so gelegt, dass die Surfer nicht gut hinkommen. Gitter an beiden Seiten erschweren den Zugang zum Wasser. „Hier ist Baden, Surfen und Kajakfahren verboten! Lebensgefahr“, warnt ein Schild an einem der Gitter. Über einem Totenkopf ist ein durchgestrichener Surfer abgebildet.
Der beste Surfort für Anfänger in
München ist die Floßlände, aber auch an der E2 werden sie nicht weggeschickt, sondern bekommen Tipps, wie sie es schaffen, sich auf dem Brett zu halten. Thomasson kann sich noch gut an das erste Mal erinnern, als sie hier war. Die 28-Jährige kommt vom Land in der Gegend von Älmhult, einem kleinen Ort im Süden Schwedens mit etwa 10000 Einwohnern und der weltweit ersten Ikea-Filiale. Die Schwedin ist vor vier Jahren für ihre Tanzausbildung nach München gezogen. Jetzt arbeitet sie hier, gibt selbst Unterricht, tanzt an der Bayerischen Staatsoper. Erst vor einem Jahr nahm ein Freund sie mit, um hier zu surfen. Davor kannte sie den Sport nur vom Meer, das Flusssurfen ist ganz anders. Es gab eine lange Schlange. Mit jeder Sekunde, in der sie näher an die Welle kam, wuchs ihre Nervosität. Aber zurück ging es nicht mehr. Hinter ihr standen zu viele Leute. Raus ging es nur über die Welle. Dann kam ein wortwörtlicher Sprung ins kalte Wasser, denn sie schaffte beim ersten Mal nicht einmal, richtig auf dem Brett zu landen.
Die verschiedenen Stadien des Surfens lassen sich an diesem Sommertag gut beobachten. Ein Mädchen mit Bobfrisur versucht langsam, ins Wasser zu hüpfen, sie schafft es nicht, auf ihrem Brett zu stehen. Ein junger Mann mit schulterlangen blonden Surferhaaren springt mit Schwung ins Wasser. Lange hält er sich allerdings nicht. Andere springen rein und halten sich eine halbe Minute, bis sie doch noch das Gleichgewicht verlieren. Ein Mann mit einer dunkler Kurzhaarfrisur sieht dagegen aus, als würde er ganz entspannt auf dem Wasser stehen, statt wie andere mit den Elementen zu kämpfen. Er setzt sich hin, dreht sich auf dem Brett um, legt sich hin und steht wieder auf. Nach ein paar Kunststücken springt er ins Wasser, um den Nächsten an die Reihe zu lassen.
An dem Gitter gegenüber stehen die Surfer in der Reihe. Mit ihren langen blonden Haaren hebt sich Thomasson auch von Weitem von den anderen ab.
Die Tänzerin ist an dem Tag eine der Besten. Sie hält sich eineinhalb Minuten lang auf dem Board und lässt sich dann entspannt in das braune Wasser gleiten. Die Schwedin hat in Chile mit dem Surfen angefangen, in Peru den Sport lieben gelernt und ist in München zur Flusssurferin geworden. „Ich mag München lieber, seit ich hier auch surfe“, sagt sie und lacht. Irgendwann will sie es auch bei der E1 probieren. Der Sport ist für sie etwas ganz Besonderes. „Du bist ein Teil des Wassers.“