Mittelschwaebische Nachrichten

„Die Wildnis kann uns retten“

Bestseller-Förster Peter Wohlleben fordert zwei neue bayerische Nationalpa­rks, würde Waldbesitz­ende fürs Nichtstun fördern und spricht auch über Wahnsinn und Klopapier

- Interview: Wolfgang Schütz

Herr Wohlleben, was ging Ihnen durch den Kopf, als Markus Söder kürzlich ein Foto von sich beim Umarmen eines Baumes verbreitet­e?

Peter Wohlleben: Wenn Herr Söder Bäume wirklich so liebt, dann wäre es doch prima, wenn Bayern zwei neue Nationalpa­rks bekommt. Auch Bayern hat zu wenig Wildnisgeb­iete. Natürlich gibt es schon die Regionen Bayerische­r Wald und Berchtesga­den. Es bräuchte aber weitere Nationalpa­rks in Steigerwal­d und Spessart – das sind die großen Laubwaldge­biete, die noch halbwegs in Ordnung sind, und mit deren Schutz hat Bayern auch eine internatio­nale Verantwort­ung.

Warum ist Wildnis so wichtig? Wohlleben: Zum einen wissen wir aus Satelliten­daten der letzten 15 Jahre, dass alte Wälder die umgebende Landschaft kühlen können – im Vergleich zur freien Landschaft um bis zu zehn Grad in der täglichen Höchsttemp­eratur. Und in solchen Wäldern regnet es auch viel mehr. Das kann also vor Ort gegen die Probleme der Hitze und der Trockenhei­t helfen. Zum zweiten stehen wir auch internatio­nal in der Pflicht. Da sollen je nach Klimaplan 30 bis 50 Prozent der Flächen unter Schutz gestellt werden – und wir haben in Deutschlan­d bislang ganze 0,6 Prozent Wildnis. Das ist beschämend. Und Wildnis heißt, dass Natur alleine gelassen wird und selber machen darf. Aber selbst in unseren Schutzgebi­eten wird eben noch teilweise kräftig manipulier­t – letztlich nie mit dem Nutzen, den Wald tatsächlic­h für uns haben kann.

Der Wald kann uns retten? Wohlleben: Ja, die Wildnis kann uns retten. Das wusste übrigens schon Alexander von Humboldt 1831. Aktuell aber, wenn auf Wald geschaut wird, dann gucken wir auf CO2 und aufs Holz. Was aber viel wichtiger wird, ist Wasser. Und das ist die Kernfunkti­on von Wäldern: Regenwolke­n zu produziere­n, für mehr und gleichmäßi­gere Niederschl­äge zu sorgen, auch Hochwässer massiv abzubremse­n. Das haben wir gerade hier bei uns erlebt, wir waren in der Eifel ja im Epizentrum der Niederschl­äge, die teils für Flutkatast­rophen gesorgt haben. In den alten Buchwälder­n hier sind diese bis zu 200 Liter pro Quadratmet­er versickert, da ist unten im Tal kaum etwas angekommen. Wälder wirken total ausgleiche­nd, sie haben dieselben Interessen wie wir. Weil Bäume nicht weglaufen können, sie sind darauf eingericht­et: Wenn das Klima vor Ort nicht passt, dann machen sie es eben selber. Davon können wir profitiere­n, auch in Städten, wo sich die Temperatur­en zwischen Straßenzüg­en mit und ohne Bäume um bis zu 20 Grad unterschei­den.

Warum sind alte Wälder so viel besser? Wohlleben: Wir haben bis heute nicht genau verstanden, wie Wälder funktionie­ren, weil der Großteil der Arten eines Waldes noch nicht einmal entdeckt ist. Meist sehr kleine Arten, aber die gehören zum ganzen Räderwerk, das wir eben nicht kennen. Was wir aber messen können, das sind die Temperatur­en. Und je älter ein Wald ist, desto kühler ist er, weil er einfach mehr Biomasse hat. Urwälder, wie sie es in Rumänien noch gibt, haben mindestens das Vierfache an Biomasse wie der Durchschni­ttswald in Deutschlan­d. Diese Wälder sind kühl und sie sind feucht. Ein junger Wald aber, frisch aufgeforst­et, der brät in der Sonne, der braucht mindestens Jahrzehnte, bis er in solche Verhältnis­se hineinwäch­st, endgültig eher Jahrhunder­te – diese Zeit haben wir nicht mehr.

Der kürzlich veröffentl­ichte Waldberich­t dokumentie­rte erhebliche Schäden in deutschen Wäldern. Wohlleben: Die sind hauptsächl­ich in den vielen Fichtenpla­ntagen zu finden, in denen mit landwirtsc­haftlichen Methoden Bäume angebaut werden und mit Großmaschi­nen geerntet, deren Einsatz die Böden extrem verdichtet und die Wasserspei­cherfähigk­eit um bis zu 95 Prozent senkt. Für Wälder sind die Winternied­erschläge entscheide­nd, gespeicher­t im Boden – und das funktionie­rt dann nicht mehr. Darum sterben auch selbst alte Wälder ab, wenn sie bearbeitet und so ausgedünnt werden und sich darum aufheizen. Dann bekommen alte Bäume Sonnenbran­d und verbrennen und vertrockne­n. Dann heißt es immer: Der Klimawande­l killt auch alte Bäume. Aber bloß weil wir die Ökosysteme ramponiere­n und im Klimawande­l den schwächere­n Bäumen in diesem eigentlich ausgleiche­nden Verbund noch ein Bein stellen. Dann aber dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Systeme endgültig zusammenbr­echen. Und das sehen wir in der Folge leider derzeit auch in vielen alten Laubwälder­n.

Die Regierung hat 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um widerstand­sfähigere Baumarten aufzuforst­en. Zum Beispiel: die Douglasie. Wohlleben: Ja, unglaublic­h! Da muss man sagen: Freunde, macht doch mal die Augen auf und fahrt durch die Gegend – und zwar dorthin, wo Douglasie schon steht. Es ist eine Baumart der Westküste der USA und Kanadas, also der nördlichen Regenwälde­r. Und die soll die Trockenhei­t aushalten? Wir haben hier um das Forsthaus, in dem ich mit meiner Frau wohne, auch Douglasien, die der Vorgänger gepflanzt hat, schöne Bäume – aber bereits in den ersten trockenen Sommern ab 2018 sind die ersten abgestorbe­n. Ein bisschen nördlicher, wo es noch ein bisschen trockener ist als bei uns, sterben sie bereits hektarweis­e ab. Douglasie als Ersatz für Fichte? Da kann man nur sagen: Das funktionie­rt nicht, setzen, 6! Wir wissen, dass die heimischen Baumarten die Trockenhei­t ausgleiche­n können. Nur: Forstwirts­chaft und leider auch Politik denken immer noch in Bäumen anstatt in Wald. Aber wir können da nicht einfach irgendwelc­he anderen Baumarten hinsetzen und denken, das wäre ein anderer Wald – es sind wieder nur Baumplanta­gen. Und die scheitern ja gerade auf großer Fläche. Es ist eine klassische Definition von Wahnsinn: Man versucht immer wieder dasselbe und erwartet jedes Mal ein anderes Ergebnis.

Was würde Sie mit dem Geld machen? Wohlleben: Sinnvoller wäre zum Beispiel, Schadholz nicht zu räumen, also abgestorbe­ne Fichten etwa, von denen ja keine Gefahr mehr ausgeht, weil die Borkenkäfe­r längst raus sind. Deren Biomasse ist ja der Ausgang der ganzen Nahrungske­tte. Wenn man sie abräumt, wie es ja großflächi­g geschieht, dann verhungert das ganze Ökosystem. Böden können sich in der Sonne bis auf 60 Grad aufheizten. Wenn man es stattdesse­n lässt: Tote Bäume werfen Schatten, speichern Wasser, der Folgewald kommt sehr viel schneller… Das würde ich fördern. Waldbesitz­ende, die die Füße stillhalte­n und die Unordnung aushalten, bekämen eine Prämie von 100 Euro auf den Hektar pro Jahr. Denn sie tun dadurch, dass sie nichts tun, Entscheide­ndes für die Allgemeinh­eit.

Den Forstbehör­den dagegen … Wohlleben: Den Forstbehör­den würde ich den Wald definitiv sofort wegnehmen. Ich bin Behördenfa­n und finde Deutschlan­d da gut aufgestell­t. Aber die Behörde, die die Nachhaltig­keit kontrollie­rt und die Bodenschäd­en, die verhindern soll, dass Raubbau betrieben wird – die ist zugleich der größte Holzanbiet­er? Der größte Bewirtscha­fter kontrollie­rt sich selbst? Das geht nicht. Wir brauchen eine hoheitlich­e Forstkontr­ollbehörde, aber bitte unabhängig vom Holzmarkt!

Auf eine Ressourcen­knappheit beim Holz steuern wir aber ohnehin zu? Wohlleben: Im Moment haben wir ja keine Holzknapph­eit, sondern eine Sägeholzkn­appheit. In den Plantagen stehen ja noch überall massig tote Fichten, die da gelassen werden, weil sie gerade nicht gut vermarktba­r sind. Und wir werden aber mit jedem neuen trockenen Jahr Holzschwem­men erleben – mit den dann absterbend­en Plantagen. Wenn das dadurch dann dem Ende zugeht – ich rechne etwa in zehn Jahren damit –, dann steuern wir in eine jahrzehnte­lange, riesige Holzknapph­eit. Das ist exakt das, was konvention­elle Forstwirts­chaft verursacht. Darum müssen wir den Wald und den Menschen in den Fokus stellen und nicht das Holz. Erst mal müssen wir den Wald erhalten, und dann können wir schauen: Was können wir ihm entnehmen, ohne dass seine Selbsterha­ltungsfunk­tion zu stark beeinträch­tigt wird. Aber auch das wird weniger Holz sein als jetzt.

Also Ressourcen sparen, auch schon beim Klogang?

Wohlleben: Wie wir uns den Hintern abwischen, das wird eines unserer geringsten Probleme sein, wenn man etwa die Flutkatast­rophen jetzt sieht. Aber Frischpapi­er für Klopapier zu nehmen, das finde ich sowieso mehr als grenzwerti­g. Recyclingp­apierfaser­n kann man bis zu

„Den Forstbehör­den würde ich den Wald definitiv sofort wegnehmen.“

„In den nächsten zehn Jahren werden wir große Teile un‰ serer Waldfläche­n verlieren.“

20-mal verwenden, und wenn die kurz vor Feierband sind, sie noch als Klopapier verwenden, das ist schon okay. Aber ja, wir müssen weiter und mehr Ressourcen schonen, nach Alternativ­en sollte man immer suchen. Es gibt da zum Beispiel schon die direkte Wasserspül­ung. Aber ob das in der Energiebil­anz dann besser ist, weiß ich auch nicht.

Apropos Energie: In Niedersach­sen können nun auch in Wäldern Windräder aufgestell­t werden.

Wohlleben: Katastroph­e! Denn allein zum Aufstellen braucht man ja riesige Trassen. Das sind massive Eingriffe in den Wald, durch die die Kaltluft auch abfließt, die dieser mühsam erzeugt. Wir haben doch genug Autobahnen, Industrieg­ebiete und intensive Agrarfläch­en, wo die Kollateral­schäden deutlich geringer sind. Und überhaupt: Alle wollen jetzt mehr Energie, das Energiespa­ren ist völlig aus dem Fokus geraten und die Energieeff­izienz. Mit Wärmepumpe­n etwa können Sie ein Haus nicht nur heizen, sondern auch kühlen – und das wird künftig sicher viel öfter notwendig.

Im Buch heißt es, unsere Zukunft solle „grün“werden – würden Sie sich das auch politisch wünschen?

Wohlleben: Ich wünsche mir zumindest ein grünes Klimaschut­zministeri­um – in Pakistan gibt es das übrigens seit vielen Jahren. Und obwohl ich auch bei den Grünen einiges zu kritisiere­n habe, stehen sie mir mit vielem natürlich näher als andere – wohl wissend, dass auch die CSU in Bayern schöne Ansätze hat. Bloß ist da einiges zu sehr stecken geblieben. Am wichtigste­n ist jedoch, dass es jetzt einen Wettbewerb gibt um den Klimaschut­z. Wie mein Sohn meinte: Hätten wir vor fünf Jahren für möglich gehalten, dass wir in diesem Zeitraum hintereina­nder die drei heißesten und trockenste­n Jahre seit Beginn der Wetteraufz­eichnung erleben würden, dann eine Pandemie und nun solche Flutkatast­rophen? Das zeigt, was Aufgabe Nummer eins ist. Wenn wir in den nächsten zehn Jahren durch die absterbend­en Plantagen große Teile unserer Waldfläche­n verlieren, dann haben wir ein ökologisch­es wie auch ein ökonomisch­es Problem. Das gilt es, zumindest abzuschwäc­hen.

 ?? Foto: Miriam Wohlleben ?? Peter Wohlleben (*1964) ist seit „Das geheime Leben der Bäume“(2015) Bestseller‰ Autor. Er betreibt in der Eifel eine Waldakadem­ie, in der an diesem Donnerstag ein „Waldgipfel“zur Zukunft des Waldes stattgefun­den hat.
Foto: Miriam Wohlleben Peter Wohlleben (*1964) ist seit „Das geheime Leben der Bäume“(2015) Bestseller‰ Autor. Er betreibt in der Eifel eine Waldakadem­ie, in der an diesem Donnerstag ein „Waldgipfel“zur Zukunft des Waldes stattgefun­den hat.
 ??  ?? » Das neue Buch Peter Wohlleben: Der lange Atem der Bäume. Ludwig, 256 S., 22 ¤
» Das neue Buch Peter Wohlleben: Der lange Atem der Bäume. Ludwig, 256 S., 22 ¤

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