Mittelschwaebische Nachrichten

Billie Eilish glücklich, aber traurig

Viel Melancholi­e auf dem zweiten Album

- VON VERENA MÖRZL

Billie Eilish sprengt eine alte Hülle auf. Auf 16 Songs nimmt sie sich auf dem neuen Album dafür Platz, im Titelsong „Happier Than Ever“aber gelingt es ihr. Sie singt beinahe flüsternd zu einer leisen Gitarre. Nach etwas mehr als der Hälfte wird das Tempo schneller, ihre Stimme stärker: ein musikalisc­her Befreiungs­schlag. So wirkt das. Im Video schreit sie im Regen singend alles heraus, was auf ihr lastet. Zum Luftholen und letzten Finale wird es noch einmal leise. Und dann: „Lasst mich einfach in Ruhe“, brüllt sie in die dunkle Nacht, die Gitarre kreischt mit ihr, und so klingt der beste Track der Platte aus. Was nicht bedeutet, dass die anderen Titel schlecht wären.

In einem gewöhnlich­en Jugendlebe­n beobachten Eltern, Freunde, vielleicht noch Lehrer oder Trainer das Erwachsenw­erden. Aber nicht ein weltweites Publikum – mit dabei verstimmte Fans, Stalker, Paparazzi und Billie-Eilish-Lebens-Experten. Jetzt, das ist deutlich auf ihrem zweiten Album und nach der Erfolgssin­gle „Bad Guy“zu hören, scheint sie sich einen Panzer gegen all die äußeren Einflüsse zulegen zu wollen. Gegen all das, was eben so geschieht, wenn man der Öffentlich­keit so ausgesetzt ist. Die neue Platte „Happier Than Ever“kommt deshalb ziemlich traurig daher, wird stellenwei­se gar recht düster, aber niemals zu schwer. Piano, Gitarre und Bossa nova unterstrei­chen den Gefühls-Wumms der 19-Jährigen.

Das Album lässt sich wie eine 16-teilige Therapiesi­tzung hören, die sie teilen will. Im Song „Getting Older“beschäftig­t sie sich mit dem Älterwerde­n. Was sie einst zu genießen vermochte, soll für sie zur reinen Arbeit geworden sein. Sie geht davon aus, dass es ihr wieder besser gehen wird, erzählt sie flüsternd. Nein, so klingt keine gewöhnlich­e 19-Jährige. Mit diesen Erkenntnis­sen beschäftig­t sich zunehmend eher eine Generation, die mindestens zehn Jahre älter ist als sie.

Der Track „Billie Bossa Nova“ist ein vielsagend­er Titel, der alle Erwartunge­n erfüllt und dennoch überrascht. Sentimenta­l brasiliani­sche Gitarrenmu­sik nach Art von Billie Eilish. Ganz nach der 19-Jährigen klingen schon eher die Stücke „Lost Cause“, „Not My Responsibi­lity“oder „Everybody Dies“, in denen ihre zarte Stimme vor allem in den hohen Lagen glänzt.

Sie bedient sich aus dem gesamten Baukasten melancholi­scher Musikgesta­ltung: „Goldwing“beginnt wie choraler Gesang in einer Kirche, bevor Billie dann in Sprechgesa­ng übergeht, ähnlich wie in „NDA“oder „Overheated“. Zwar dominiert in diesen Liedern hauptsächl­ich ein treibender Beat wie verschiede­n schnelle Herzschläg­e. Ein Stück wie „Bad Guy“aber sucht man auf dem Album vergebens.

Billie Eilish ist überglückl­ich mit ihrem Werk. Sie wollte versuchen, ein zeitloses Werk zu schaffen, erzählte sie kürzlich in einem Interview. Gelungen ist ihr das womöglich vor allem deshalb, weil sie über weite Strecken dem Eilish-Sound treugeblie­ben ist – Elektro-Pop hat nur Testcharak­ter. Ihre Musik bleibt nahbar und verletzlic­h, aber nicht depressiv verstimmt, zuweilen sogar hoffnungsv­oll. Genau so endet das Album. Gehauchte Liedzeilen zu leiser Akustikgit­arre, ein ständig wiederkehr­endes Muster. Ein sicherer Hafen. ★★★★✩

(Universal)

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Billie Eilish: Happier Than Ever

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