Mittelschwaebische Nachrichten

Viel Zeit, nachzudenk­en

Florian Wellbrock war auf der 10-Kilometer-Distanz eine Stunde und 48 Minuten im Wasser. Dafür gab’s Gold. Die Gedanken, die ihn auf dem Weg ans Ziel begleitet haben

- VON ANDREAS KORNES

Tokio Wer eine Stunde und 48 Minuten lang schwimmt, hat viel Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel darüber, wie es denn sein würde, wenn er im Ziel als Olympiasie­ger aus dem Wasser stiege. Genau diesen Gedanken habe er sich aber bis ganz zum Schluss verboten, sagte Florian Wellbrock. „Weil sonst nimmt man unbewusst ein bisschen Tempo raus und ruht sich auf dem Sieg, der gleich kommen könnte, aus. Das wollte ich vermeiden und habe bis zum Schluss durchgepow­ert.“Erst auf den letzten zehn Metern, als er sich sicher sein konnte, dass da keiner mehr vorbeikomm­t, habe er ihn zugelassen. Olympiasie­ger.

In seinem letzten Rennen in Tokio hat es Wellbrock geschafft. Auf der längsten olympische­n Schwimmstr­ecke war er nicht zu schlagen und gewann nach einer beeindruck­end souveränen Vorstellun­g Gold. Nur der Ungar Kristof Rasovszky konnte einigermaß­en folgen und holte mit 26 Sekunden Rückstand Silber. Bronze ging an den Italiener Gregorio Paltrinier­i.

Ganz vorne war aber schon sehr früh sehr klar, dass Wellbrock in seiner eigenen Liga schwimmt. Scheinbar mühelos setzte er sich sofort an die Spitze des Feldes und diktierte das Geschehen. Dabei habe er eigentlich ganz entspannt begonnen. Denn es sei ja tatsächlic­h sinnvoll, am Anfang eines solchen Marathonre­nnens Energie zu sparen. Zumal das Wasser mit rund 30 Grad deutlich wärmer war, als es Freiwasser­schwimmer gewohnt sind. Also sei er locker losgeschwo­mmen. So locker, wie ein Olympiasie­ger eben los schwimmt. „Ich bin in der ersten Runde um die Boje herum, habe nach hinten geschaut und mich gefragt: Jungs, wollt ihr keinen Wettkampf schwimmen heute?“Denn er sah, dass das Feld bereits weit auseinande­rgezogen war. „Ich glaube, viele waren von der Wassertemp­eratur recht eingeschüc­htert.“Wellbrock dagegen fühlte sich gut und machte einfach weiter.

Erst auf der letzten der sieben Runden sei ihm dann doch warm geworden. „Und hätte ich 100 Meter mehr schwimmen müssen, wäre es wohl knapp geworden, denn ich habe die letzte Verpflegun­g ausgesetzt – und da fehlt dir dann einfach die Flüssigkei­t.“

Geprägt von den Erfahrunge­n aus den olympische­n Beckenwett­bewerben, als Wellbrock über 800 (4. Platz) und 1500 Meter (Bronze) jeweils bis kurz vor Ende führte und dann übersprint­et wurde, wollte er diesmal unbedingt vorne bleiben. Anders als im chlorklare­n Pool ist es im Freiwasser mitunter etwas schwierig, den Überblick zu behalten. Auch noch auf der letzten Geraden, als am Ufer fast schon die Sektkorken knallten, „war ich mir nicht ganz sicher, ob da noch jemand hinter mir ist, den ich in der Hektik übersehen habe.“Also ackerte Wellbrock mit allem, was er hatte, dem Anschlagbr­ett entgegen. „Ich wollte es nur noch ins Ziel bringen.“

Dort angekommen fiel die ganze ab. Ein bisschen unwirklich sei das alles, sagte Wellbrock. Seit 2008 in Peking ist Freiwasser­schwimmen olympisch, allerdings nur die Zehn-Kilometer-Distanz. Bei Weltmeiste­rschaften werden auch fünf und 25 Kilometer geschwomme­n. Bisher hatte nur Thomas Lurz Olympiamed­aillen im Freiwasser für den DSV geholt – Bronze 2008 und Silber 2012. Der Würzburger ließ aus der Heimat wissen, dass Wellbrock absolut verdient gewonnen habe. „Die Leistung war super, und er hat das Rennen von Anfang an dominiert.“Wellbrock ist der erste deutsche Olympiasie­ger in dieser Disziplin.

Im Becken war ihm dieser Triumph verwehrt geblieben. Auch dort hatte er zum Kreis der GoldKandid­aten gezählt. Tatsächlic­h habe er „ein bisschen Frust nach den Pool-Wettkämpfe­n“verspürt. Das habe ihn aber für das letzte Rennen noch einmal extrem motiviert. „Ich wusste, dass ich die Medaille für den DSV schon geholt habe und ich nicht mehr allzu viel zu verlieren habe. Deswegen habe ich noch einAnspann­ung mal alles reingeworf­en und wurde mit einem recht souveränen Rennen und Gold belohnt – das fühlt sich unheimlich gut an.“

Nach der Siegerehru­ng war einer der seltenen Momente, in denen der stets sehr nüchtern und kontrollie­rt wirkende Wellbrock einen kleinen Einblick in seine Gefühlswel­t gewährte. Er habe es gut geschafft, den Druck der Medien auszublend­en. „Wellbrock startet dreimal und holt viermal Gold“, hätten die geschriebe­n. Ihn treibe ohnehin am meisten seine eigene Erwartungs­haltung an. „Wenn man als Weltmeiste­r anreist, dann will man natürlich gewinnen. Das sage ich aber in den Medien nicht, weil sie sonst noch mehr draus machen würden. Aber es hat mich motiviert, hier noch mal zu zeigen, dass ich zu den Besten der Welt gehöre.“Das ist ihm gelungen.

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Foto: Oliver Weiken, dpa Bei 30 Grad Wassertemp­eratur sind die Schwimmer, wie hier Florian Wellbrock, gezwungen, Flüssigkei­t aufzunehme­n.
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Foto: Weiken, dpa Gold über 10 Kilometer im Freiwasser: Florian Wellbrock.

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