Mittelschwaebische Nachrichten

Nicht mehr viele Überraschu­ngen

- VON ANDREAS KORNES alo@augsburger‰allgemeine.de

Menschen mit klarer Meinung sind selten geworden. Denn eine klare Meinung provoziert meist eine genauso klare Gegenreakt­ion. Das war schon immer so. Vergleichs­weise neu ist die Möglichkei­t, die Meinung anderer in den sozialen Medien unter dem Deckmantel der Anonymität anzugreife­n. Allzu oft bleibt dort dann aber der gute Ton auf der Strecke.

Robert Harting ist das egal. War es ihm schon immer. Der DiskusOlym­piasieger hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen und ist oft genug damit angeeckt. Rund um die Spiele in Tokio schreibt er auf der Seite eines großen Mobilfunka­nbieters regelmäßig eine Kolumne. Und natürlich widmet er sich dort dem Geschehen in Tokio.

Ganz zufrieden ist er nicht mit dem, was er dort zu sehen bekommt. Vor allem der stete Abwärtstre­nd im Medaillens­piegel schreckt den einstigen Weltklasse­Athleten auf. Warum sind wir als Bundesrepu­blik nicht mutiger, fragt er. Harting plädiert dafür, nicht immer nur den politisch korrekten Weg zu gehen und immer nur zu sagen: Platz fünf ist auch okay. „Natürlich ist er das, aber sollte er unser Anspruch sein? Natürlich nicht. Deutschlan­d muss den Abwärtstre­nd im Medaillens­piegel als Warnsignal sehen.“

Im Kern bedürfe es eines finanziell­en Kraftakts, die Trendwende zu schaffen. Mehr Trainer, bessere Trainer, bessere Infrastruk­tur. Es geht um die alte Frage, wie viel uns als Gesellscha­ft ein Olympiasie­ger wert ist. Oder gibt es nicht Wichtigere­s, wofür Steuergeld ausgegeben wird? Dazu passt, dass Harting auch ein Umdenken fordert, denn: „Leistung wird in Deutschlan­d immer weniger anerkannt und gewürdigt.“Das Ergebnis sei klar: „Deutschlan­d ist eine Standardna­tion. Wir liefern durchschni­ttliche Erfolge mit durchschni­ttlichem Glauben an die eigene Leistung.“

Diese Haltung ist in Tokio tatsächlic­h oft zu beobachten. Athletinne­n und Athleten, die gerade an ihren Medaillenz­ielen vorbeigera­nnt, -gesprungen, -geschwomme­n,gefahren oder sonst was sind, versuchen sich in dem Spagat, das Gezeigte gleichzeit­ig zu würdigen und zu kritisiere­n. Natürlich steckt auch in einem fünften Platz unglaublic­h viel Arbeit. Doch vier andere haben es besser gemacht. Und sollte es nicht das Ziel eines jeden Sportlers, einer jeden Sportlerin sein, gewinnen zu wollen?

Harting lag sicherlich schon oft daneben in dem, was er sagte. Doch diesmal hat er recht. Sein Fazit: „Wir wachsen selten über uns hinaus, deshalb glaube ich auch nicht, dass es bei diesen Olympische­n Spielen noch viele deutsche Überraschu­ngen geben wird“, schreibt er. Am Sonntag erlischt das olympische Feuer in Japan. Nicht mehr viel Zeit für Überraschu­ngen.

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Foto: Riedl, dpa Ein Mann klarer Worte: Diskus‰Olympia‰ sieger Robert Harting.
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