Mittelschwaebische Nachrichten
Rauhe geht mit Gold in den Ruhestand
Nach über zwei Jahrzehnten in der Weltklasse verabschiedet sich Deutschlands erfolgreichster Kanute mit dem Olympiasieg und vielen Tränen
Tokio So viel Zeit muss jetzt auch noch sein. Für die Krönung nach der Krönung. Für den schönsten Schlussakkord seiner sechsten Spiele. Für die Ehre, die selbst unter den Großen im Sport nur den Besten zuteil wird. „Ronald Rauhe ist ein in jeder Hinsicht würdiger Fahnenträger“, sagt Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, bei der Verkündung der guten Nachricht. Diese emotional erhabenen Momente im Nationalstadion zu Tokio vervollkommnen die letzte Seite der sportlich prallvollen Memoiren des Kanuten Ronald Rauhe.
Mit der wertvollsten Würdigung nach 22 Jahren in der Weltspitze verabschiedet sich das Kajak-Ass zuvor in den leistungssportlichen Ruhestand: Olympia-Gold. Mit Max Rendschmidt, Tom Liebscher und Max Lemke paddelt der 39-Jährige nach Athen 2004 auf dem Sea Forest Waterway nochmals als Erster über die imaginäre Ziellinie. Vor den Spaniern und den Slowaken.
Muskelposen. Schreie. Umarmungen. Und ein am Boden kauernder Athlet, der ausblendet, um zumindest für einige Sequenzen Ruhe in all diesem freudigen Gewusel zu finden. In ihm läuft ein Teil seines Lebensfilms ab. Auf der obersten Stufe des Podests hängt er Minuten später seinen Teamkollegen liebevoll ihren Lohn um den Hals. Sein persönliches Goldstück überreicht ihm Max Rendschmidt, der auch bei der Fragerunde einspringt, weil sein Kumpel mal wieder weint. Alles muss raus.
„Das war der Traum, den ich mir erhofft habe, als ich vor fünf Jahren nach Rio die Entscheidung getroffen habe. Mir war klar, dass es mit den drei Jungs möglich ist. Ich wollte mich mit dem goldenen Abschluss krönen, die Jungs haben es mir leicht gemacht“, sagt Ronald Rauhe. Das Beste zum Schluss. Aber: „Es braucht jetzt einfach, um das zu verarbeiten.“
All die Wertschätzung, die ihm selbst seine internationalen Kontrahenten entgegenbringen. Saúl Craviotto herzt seinen langjährigen Rivalen voller Ehrfurcht, mit seinen Mannschaftskameraden bildet der
Spanier samt den Slowaken ein Spalier, durch das sie den Deutschen geleiten. Sie fordern ihn auf, sich allein auf das Podium zu stellen, und applaudieren ihm respektvoll. Auch für sie ist die Zeit gekommen, sich vor einem der Größten ihrer Disziplin zu verneigen, wenn der nach fünf olympischen Medaillen loszieht in den nächsten Lebensabschnitt.
National ist Ronald Rauhe ohnehin unumstritten. Max Lemke meint: „Wir im Vierer haben bewiesen, dass Kanu auch eine Mannschaftssportart sein kann. Ronny war so ein bisschen unser Bootspapa, der uns immer zusammengehalten hat. Ohne ihn wären wir nicht so weit gekommen.“
Steckt einer im Tief, führt der
Vater von Til und Leo das Team wieder zusammen. Rauhe legt Wert auf Ehrlichkeit. Besonders nach Niederlagen. Offen ansprechen, was nicht passt und sich mal ordentlich die Meinung sagen, das sind seine Methoden. „Wenn man bei uns durch die Chronik der Erfolge guckt, haben wir jedes Jahr mindestens einmal auf den Deckel bekommen“, meint Tom Liebscher und erinnert sich an die Niederlage beim Weltcup in Szeged im Mai gegen Spanien. Ein Weckruf zur rechten Zeit. Ein Ansporn, denn: „Das war einmal vor die Wand gefahren und dann mit offenen Augen wieder darauf geguckt, was wir vielleicht falsch gemacht oder was wir wieder besser machen müssen.“Auch Tom Liebscher baut Ronald Rauhe auf, als er sich bei einer Rafting-Tour im Herbst fünf Wirbel bricht, weil er aus dem Boot fällt und gegen einen Felsen knallt.
Bei der Siegerehrung nehmen sie sich alle an die Hand, bei der Hymne singen sie Arm in Arm mit und bilden hernach einen Kreis. Äußerliche Zeichen, dass es von innen heraus stimmt. Diese Vier sind so etwas die Traumkombination im Superboot. Vier Könige im Kajak, ein ebenso glückliches wie gekröntes Kollektiv. Schlagmann Max Rendschmidt sagt: „Es gibt keinen schöneren Abschluss – und mit Blick auf Ronny: Noch mal Gold, was Besseres können wir ihm nicht mitgeben.“Ronald Rauhe hat seine letzten Momente bei Olympia voll ausgekostet. Auf dem Wasser. Und an Land bei der Schlussfeier.
FRAUEN, SPRINT