Mittelschwaebische Nachrichten
Vetter wirft klar an Medaille vorbei
Der 28-Jährige war auf Gold fixiert wie kein anderer deutscher Leichtathlet und wurde nur Neunter. Der große Dominator rutschte im wahrsten Sinne des Wortes aus
Tokio Verkehrte Welt in Tokio. Während oben Neeraj Chopra den ersten Olympiasieg eines Inders im Speerwurf feierte (87,58 Meter), stand Johannes Vetter unten in den Katakomben und referierte über die Beschaffenheit des Bodens im Olympiastadion. Der hat großen Anteil daran, dass eine ganze Reihe von Weltrekorden auf der Bahn gelaufen worden sind. Allerdings ist er nicht für einen Speerwerfer wie Johannes Vetter gemacht. Denn der stemmt sich extrem über die Ferse in den Boden, um einen Spannungsbogen aufzubauen. Mit seiner spektakulären Technik ist Vetter in diesem Jahr der überragende Speerwerfer auf der Welt gewesen und hat reihenweise über 90 Meter weit geworfen. In Tokio galt er als einer der sichersten Goldkandidaten überhaupt. Allein den Belag hatte er nicht auf der Rechnung. Der ist neuartig und besteht aus einer dünnen Oberschicht. Darunter liegt eine zweite Schicht, in der sich Blasen befinden. Dadurch kann er einen Teil der Energie beim Auftritt wieder zurückgeben.
„Guckt euch gerne meinen zweiten Versuch in der Zeitlupe an, dann wisst ihr, was hier losgeht bei den Leuten, die ein bisschen härter reinstemmen – so wie ich“, sagte er zur Erklärung. Zu sehen ist, wie der linke Fuß abrutscht und das gesamte System quasi implodiert. Vetter verglich das mit einem Auto, das auf regennasser Fahrbahn einer Wand entgegenfährt und stark bremsen muss. „Da passiert dann nichts. Ich muss aber abbremsen, dass die Energie oben in der Schulter ankommt. Wenn du dann aber erst mal 30 Zentimeter wegrutscht, dann fehlt komplett die Spannung.“Vetter landete mit 82,52 Metern auf dem neunten Platz und blieb meilenweit hinter seinen Erwartungen zurück. Der 28-Jährige hatte kein Blatt vor den Mund genommen und selbstbewusst angekündigt, in Tokio Gold holen zu wollen. „Ich bin keiner, der Ausreden sucht. Weil ich bis auf den Belag auch keine finden kann. Ich bin topfit, mir geht es gut. Ich bin gesund, selbst nach dem zweiten Versuch bin ich noch gesund, was ein kleines Wunder ist.“
Etwas besser kam Vetters Mannschaftskollege Julian Weber mit den Bedingungen zurecht. Er warf den Speer 85,30 Meter weit und wurde Vierter – 14 Zentimeter fehlten ihm zu Bronze. Tatsächlich ist es erstaunlich, dass die Beläge für die Werfer nicht standardisiert sind. In jedem Stadion, auf jedem Platz kann es anders aussehen. Bei den technischen Unterschieden kann das, ganz offensichtlich, extreme Auswirkungen haben. Denn einen indischen Olympiasieger hatten wohl die wenigsten auf der Rechnung. Er habe schon einige Male eine Standardisierung angesprochen, sagte Vetter. Er blieb ungehört. „Und jetzt habe ich hier in Tokio die gleiche Sch….“
Das sei schade und bitter gleichermaßen. Bereits in der Qualifikation habe er gemerkt, dass es schwierig werden würde, in Tokio an seine Leistungen der vergangenen Monate anzuknüpfen. „Die Jungs hier haben den Belag noch versucht zuzukleben an manchen Stellen, die schon komplett aufgerissen waren“, sagte Vetter. „Der Belag ist gut für Weltrekorde auf der Strecke. Aber für Speerwerfer wie mich ist es halt tödlich.“Auch einige andere Speerwerfer habe das an Weite gekostet. „Da kann man dann nicht viel machen. Wir haben versucht, die Technik an den Belag anzupassen. Aber es ist zum Kotzen, dass man dann machtlos ist.“
Sechs Wettkämpfe stehen für Vetter jetzt noch an. „Die würde ich gerne durchziehen. Ich möchte fürs Gefühl mit einem guten Wurf in die Off-Season starten. Und dann muss ich ja Gott sei Dank nur noch drei Jahre auf die nächsten Olympischen Spiele warten.“