Mittelschwaebische Nachrichten
Maschinenbauer Augenstein hat Finanzprobleme
Das Amtsgericht Neu-Ulm hat einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, der sich jetzt einen Überblick über die Lage bei dem Günzburger Unternehmen verschafft
Günzburg Auf der Internetseite stehen bei den Referenzen viele namhafte Kunden für „hochwertige Automatisierungslösungen von Augenstein“. Demnach wurden beispielsweise schon BMW, Bauer und andere Molkereien, Peri, Liqui Moly, Wanzl oder die Günzburger Steigtechnik beliefert. Doch das seit 1980 existierende Maschinenbauunternehmen, für das am Sitz in Günzburg mehr als 45 und im thüringischen Oettersdorf knapp 25 Mitarbeiter tätig sind, steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Das Amtsgericht Neu-Ulm ordnete die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Firma an und hat Rechtsanwalt Florian Zistler von der Pluta Rechtsanwalts-GmbH mit Sitz in Ulm zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt – das ist so auch in den Insolvenzbekanntmachungen der Justiz hinterlegt.
Wie aus der Pressemitteilung der PR-Agentur Relatio hervorgeht, hat Augenstein aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise zuletzt Auftrags- und Umsatzrückgänge verzeichnet.
Die Gehälter der Angestellten seien aber für drei Monate über das Insolvenzgeld gesichert. Mit seinem Team verschaffe sich Zistler nun einen Überblick über die finanzielle Situation des Betriebes.
Dazu werde er gemeinsam mit der Geschäftsführung erste Gespräche mit Kunden und Lieferanten führen. Ziel sei es, für den Betrieb eine tragfähige Zukunftslösung zu erarbeiten. Zistler: „Der Geschäftsbetrieb wird uneingeschränkt unter geltenden Hygienestandards fortgeführt. Alle Aufträge werden wie geplant ausgeführt. Das Unternehmen verfügt über einen ausgezeichneten Ruf in der Branche und beschäftigt hoch qualifizierte und motivierte Mitarbeiter. Das ist eine gute Ausgangssituation.“
Es werde derzeit unter anderem an neuen Produktinnovationen gearbeitet. Augenstein plant und produziert Automatisierungslösungen für verschiedene Branchen wie die Automobilindustrie, Chemie, Lebensmittel oder Logistik. Die Sondermaschinen, Fördersysteme oder Kennzeichnungssysteme werden bei den Kundenunternehmen in den verschiedensten Produktionsprozessen eingesetzt.
Das Leistungsspektrum reiche von der Planung, Konstruktion, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und Abnahme bis hin zur War
und dem Kundendienst der Anlagen. Die Pluta GmbH ist nach Angaben der von ihr beauftragten PR-Agentur Relatio die größte Insolvenzkanzlei in Deutschland. In der Region war sie beispielsweise bereits für den Gastronomiebetrieb Schwarze Kiste in Augsburg oder die Bäckerei Lindenthal in Gundelfingen tätig und kümmerte sich national etwa um Industriebetriebe, Krankenhäuser oder einen Flughafen. Am Montag wurden die Mitarbeiter von Augenstein über die Situation informiert, in Günzburg auch direkt am Standort. Am Dienstag besuchten Geschäftsführer Martin Gruler und der vorläufige Insolvenzverwalter Zistler dann auch das in den 90ern gebaute Werk in Thüringen.
Die schriftlichen Antworten der PR-Agentur auf Nachfragen unserer Redaktion fallen nach Rücksprache mit dem Geschäftsführer und dem vorläufigen Insolvenzverwalter eher knapp aus. Details zum Hintergrund und der Höhe der Liquiditätsschwierigkeiten beispielsweise werden nicht genannt, es wird nur auf die Pressemitteilung verwiesen. Florian Zistler wird dahingehend zitiert, dass man noch nicht sagen könne, wann feststehen könnte, wie es mit Augenstein weitergeht. „Wir führen Gespräche mit allen Kunden. Wichtig ist, dass die Kunden dem Unternehmen die Treue halten. Meine Erfahrung zeigt, dass die ersten drei Monate sehr wichtig sind für den weiteren Verlauf des Verfahrens.“Es gebe zwei Möglichkeiten: eine Sanierung über einen Insolvenzplan, also einen Vergleich mit den Gläubigern, oder eine übertragende Sanierung, sprich eine Intung vestorenlösung. Beide Optionen würden geprüft.
In den nächsten Wochen und Monaten werde die gesamte Belegschaft gebraucht, schließlich gebe es Aufträge, die erfüllt werden sollen. Ein neues Produkt sei entwickelt worden und solle beim Kunden eingeführt werden. Es gebe keine Garantie, „aber wir wollen die Arbeitsplätze erhalten, das ist unser gemeinsames Ziel“. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machten einen „motivierten Eindruck“, es sei wichtig, dass alle mitziehen. Auch Geschäftsführer Gruler betont: „Der Betrieb wird fortgeführt, und wir wollen gemeinsam erreichen, dass es eine zukunftsorientierte Lösung für Augenstein gibt.“
Bei der Frage, ob es einen Betriebsrat gebe, wird man in der Augenstein-Telefonzentrale schnell abgewimmelt. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Neu-Ulm – Günzburg, Günter Frey, sagt dazu, dass man keine Einblicke in die Firma habe, denn dort sei man weder tarifgebunden noch gebe es einen Betriebsrat. In der Region kenne er jedenfalls keine weiteren Unternehmen, die durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie ins Straucheln geraten seien. Die Insolvenzantragspflicht wurde nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) am 1. Oktober 2020 ausgesetzt. Die Sonderregelung für überschuldete Unternehmen, die durch Hilfsangebote wie Kurzarbeitergeld oder Überbrückungshilfen aus der Krise herausgeführt werden sollten, endete nach mehreren Verlängerungen am 30. April dieses Jahres, es gilt wieder das Insolvenzrecht wie vor der Pandemie.