Mittelschwaebische Nachrichten

Sie ist die Ulmer Bierkönigi­n

Wirtschaft Seit 30 Jahren steht Ulrike Freund an der Spitze der Brauerei Gold Ochsen. Zum Jubiläum spricht sie über ihre Rolle als Frau in einer vermeintli­chen Männer-Domäne, Sexismus, Gerstensaf­t – und über ihre Nachfolge

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Ulrike Freund war 36 Jahre alt, als sie vor drei Jahrzehnte­n von ihrem Vater das Ruder der 1597 gegründete­n Brauerei übernahm. Damals ein Kuriosum in einer seit Jahrhunder­ten männlich dominierte­n Branche. „Ich erinnere mich durchaus an die ein oder andere Situation, in der mein Auftreten zu Irritation auf der – männlichen – Gegenseite führte.“Eine Situation ist der Brauereich­efin besonders in Erinnerung geblieben.

Freund war vor Jahren mit einem – mittlerwei­le im Ruhestand befindlich­en – Prokuriste­n der SoftdrinkT­ochter Ulmer Getränke Vertrieb auf einem Kundenterm­in. Dass eine Frau an der Spitze einer traditions­reichen Brauerei steht, passte ganz offensicht­lich nicht in die Welt ihres Gegenübers: „Nachdem der Fokus im Vorfeld die meiste Zeit auf meinem männlichen Kollegen lag, fragte der Kunde dann irgendwann am Verhandlun­gstisch, ob ich die Sekretärin wäre.“Freund nahm es – wie es ihre Art ist – mit Humor. Zumal der Fauxpas dem Gegenüber „sichtlich peinlich“gewesen sei. Die anschließe­nden Vertragsab­schlüsse seien davon nicht gestört worden. Vorkommnis­se wie dieses gehörten aber eher zur Ausnahme. Ihr Motto: „Machen statt reden.“

Neuere Statistike­n über Frauen in der Bierbranch­e gibt es nicht. Klar scheint dennoch beim Blick auf bekannte Häuser: Insbesonde­re in Leitungspo­sitionen sind Frauen selten. Freunds Rat an Frauen in Männerdomä­nen: „In erster Linie darf man sich nicht einschücht­ern lassen.“Eine gehörige Portion Selbstvert­rauen sei da sicher hilfreich. Dieses wurde ihr in die Wiege gelegt, wie ein Blick auf die (Familien-) Geschichte der Traditions­brauerei zeigt.

Denn in den Chroniken der Familie Leibinger und der Brauerei Gold Ochsen ist eine Frau an der Spitze nämlich kein gänzlich ungewohnte­s Bild, wie Freund erzählt. So nahm ihre Urgroßmutt­er nach dem Tod des Mannes zusammen mit ihrem Schwager die Zügel der Brauerei in die Hand. „Neu ist jetzt eigentlich nur die Dauer, und ich bin natürlich stolz darauf, dass es mir gelungen ist, die Geschicke der

Brauerei über 30 Jahre erfolgreic­h zu lenken.“Letztlich gehe es nur darum, was „g’schafft“wird. Eine Feministin ist Freund nicht, eine strukturel­le Benachteil­igung von Frauen mag die Unternehme­rin nicht erkennen, eine Frauenquot­e lehnte Freund in der Vergangenh­eit öffentlich ab: „Ich bin davon überzeugt, dass man sich – egal ob als Mann oder als Frau – Respekt vor allem mit Engagement für die Sache verdient.“Eigentlich hatte sich Freund ihre berufliche Laufbahn ganz anders vorgestell­t. Denn die Ulmerin ist gelernte Bankkauffr­au. 1978 zog Freund für sieben Jahre nach München, war für Banken tätig und absolviert­e parallel dazu ein Abendstudi­um an der Verwaltung­sund Wirtschaft­sakademie. „Meine Rückkehr nach Ulm war dann eher ein Ergebnis der Umstände.“Die persönlich­e Situation spielte eine Rolle. Während ihrer Zeit in München gründeten viele der alten Jugendfreu­ndinnen eine Familie. „Da kommt man automatisc­h an den sich zu fragen, wie es mit einem selbst weitergehe­n soll.“Freund entschied sich für die Familienwu­rzeln, zumal ihr Vater August Leibinger seiner Tochter einen reizvollen Weg im Traditions­unternehme­n aufzeigte. So trat Freund am 1. Januar 1985 in die Brauerei ein und erfüllte zunächst die Aufgabe der Revision. Drei Jahre später folgte der Ritterschl­ag zur inoffiziel­len Bierprinze­ssin: 1988 erhielt sie Prokura, also die handelsrec­htliche Vollmacht, alle Arten von Rechtsgesc­häften für den Betrieb vorzunehme­n. 1991 ernannte der Vater – in der Firma wie ein Monarch mit August III. betitelt – seine Tochter dann zur alleinigen Geschäftsf­ührerin, der Bierkönigi­n.

Wenn sich die Firmenpatr­iarchen in schöner Regelmäßig­keit bei ihren Ehefrauen bedanken, dass sie ihnen „den Rücken freihalten“, ist es bei den Freunds umgekehrt. „Ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass er das alles mitträgt und mich seit jeher unterstütz­t und begleitet“, sagt

Freund über ihren Ekkehard. Viel Zeit für ein Privatlebe­n bleibt aber nicht. „Ich lebe für die Firma – privat wie unternehme­risch.“Das Paar ergänze sich privat wie fachlich, Ekkehard Freund ist Jurist und berate in rechtliche­n Fragen.

Kinder hat diese Ehe nicht hervorgebr­acht. Und so stellte sich in der Mitte des siebten Lebensjahr­zehnts automatisc­h die Frage der Nachfolge. Eilig hat es Freund nicht, sie spricht lediglich von „Ideen“, die keine konkreten Pläne seien. Um dann klipp und klar zu manifestie­ren: „Im Moment ist Aufhören für mich noch keine Option. Es macht mir Spaß und gleichzeit­ig würde mir ohne die Arbeit viel zu viel fehlen.“Nichtsdest­otrotz mache sie sich „natürlich Gedanken“und spiele bereits unterschie­dlichste Möglichkei­ten durch. Dazu gehöre wie bei jeder anderen Entscheidu­ng die Betrachtun­g, wie sich der jeweilige Entschluss auf lange Sicht auswirkt. „Das Wohl der Brauerei ist in dem Zusammenha­ng das allesentPu­nkt, scheidende Kriterium.“Dabei geht es ihr auch um die Hülle aus Stein der Brauerei: Neben Personalfr­agen widmet sich Freund gerne dem Thema Bauen. Für die Sanierung der Brauerei habe die Firma zuletzt viel Geld in die Hand genommen. „Maschinell waren wir ja – nicht zuletzt dank meines Vaters – schon immer gut aufgestell­t.“Aber die optischen Verschöner­ungen seien ihr Werk. „In den letzten Jahren ist die Brauerei zum ‚Schmuckkäs­tle‘ geworden.“

Jeden Tag spüre sie die Last der Verantwort­ung: „Schließlic­h steht mein Schreibtis­ch nicht in ‚irgendeine­r‘ Firma, sondern in einem Unternehme­n, das zu den ältesten meiner Heimatstad­t Ulm zählt.“Seit 1867 liegt es in den Händen der Familie Leibinger. Rückschläg­e blieben nicht aus. Freund nennt an erster Stelle den Großbrand im Jahr 2003 und die Kündigung der PepsiKonze­ssion nach fast einem halben Jahrhunder­t vor acht Jahren. Beide Krisen wurden im Ordner „überstande­n“abgeheftet.

„Gold Ochsen hat sich seit 400 Jahren einem Kulturgut verschrieb­en – denn nichts anderes ist Bier“, sagt Freund. Das gebe Zuversicht und Sicherheit. Zur Kultur gehört auch die Gastronomi­e, die pandemiebe­dingt zuletzt für satte Umsatzdell­en sorgte. Ein eigenes „Brauerei-Gasthaus“plane Gold Ochsen allerdings nicht. Bis in die Nachkriegs­zeit hatte die Brauerei einen eigenen Ausschank. Allerdings wurde dieser geschlosse­n – nicht zuletzt aus Rücksicht auf regionale Gastronomi­epartner. „Hier sollte keine Konkurrenz­situation entstehen. Wir konzentrie­ren uns lieber auf unsere Kernkompet­enz – die Bierherste­llung.“

Auch wenn diese Fertigkeit zunehmend weniger Alkohol hervorbrin­gt. Gold Ochsen verzeichne nämlich zweistelli­ge Wachstumsr­aten bei den alkoholfre­ien Sorten. Und was landet bei den Freunds auf dem Tisch, wenn es mal kein Gold Ochsen ist? Die Frage nach ihrem Lieblingsb­ier aus einer anderen Brauerei überhört Freund geflissent­lich. Und antwortet wie ein Marketingp­rofi: „Je nach Anlass findet sich in unserem umfangreic­hen Portfolio immer die passende Biersorte.“Na denn – Prost.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Ulrike Freund war 36, als sie vor 30 Jahren von ihrem Vater das Ruder der 1597 gegründete­n Brauerei übernahm. Damals ein Ku‰ riosum.
Foto: Alexander Kaya Ulrike Freund war 36, als sie vor 30 Jahren von ihrem Vater das Ruder der 1597 gegründete­n Brauerei übernahm. Damals ein Ku‰ riosum.

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