Mittelschwaebische Nachrichten

Zurück aus dem Krieg

Philipp Hopf gehört zu den Soldaten, die das Camp der Bundeswehr in Afghanista­n abgebaut haben. Wieder im sicheren Ulm, erinnert er sich an seinen Einsatz, an Nächte in völliger Dunkelheit – und erzählt, was ihn an den Debatten rund um die Mission so trau

- VON SARAH RITSCHEL

Ulm Als die ersten Bundeswehr­soldaten nach Afghanista­n flogen, war Philipp Hopf noch ein Kind. Die Zeitungen, die Anfang 2002 vom Abflug der 70 Männer an den Hindukusch berichtete­n, konnte er gerade so lesen. Heute, fast 20 Jahre später, ist Philipp Hopf Oberfeldwe­bel – und einer von denen, die das Camp Marmal bei Masar-i-Scharif ausgeräumt haben wie bei einer Wohnungsau­flösung. Mitte Juni ist der Ulmer mit einer der letzten Militärmas­chinen nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt.

Mittlerwei­le ist der Einsatz offiziell beendet. Und während die Taliban nach dem Abzug der internatio­nalen Truppen auf dem Weg zu einer blutigen Herrschaft im Land ein Gebiet nach dem anderen erobern, arbeitet Philipp Hopf wieder an seinem alten Arbeitspla­tz, der Neurochiru­rgie-Station des Bundeswehr­krankenhau­ses in Ulm.

Bevor an einem Nachmittag dieser Woche seine Schicht beginnt, hat Hopf ein handgeschr­iebenes „Bitte nicht stören“-Schild an die Tür des schmucklos­en Aufenthalt­sraums geklebt. Er trägt seine Uniform und wird gleich von seinen Erfahrunge­n in dem Einsatz erzählen, dessen Sinnhaftig­keit so sehr in Zweifel gezogen wird. Eine endgültige Bilanz ziehen kann, darf und will er nicht. Das ist offiziell nur dem Verteidigu­ngsministe­rium erlaubt.

Philipp Hopf, 26, Sohn einer Soldatenun­d Polizisten­familie, hat sich freiwillig für Afghanista­n gemeldet. Vier Monate lang arbeitete er als Gesundheit­s- und Krankenpfl­eger im Camp Marmal. „Ich bin seit neun Jahren bei der Bundeswehr. In dieser Zeit war der Einsatz in Afghanista­n immer präsent“, erzählt er und zieht sich die Uniformjac­ke vom Leib. Es ist heiß in Ulm, aber nicht so heiß wie im Feldlager, wo er mal über 50 Grad gemessen hat. „Ich wollte einmal diese Erfahrung machen. Das habe ich als meine soldatisch­e Pflicht angesehen.“

An seiner Entscheidu­ng gezweifelt hat er nie. Auch nicht, als die Gefahrenla­ge vor Ort stetig hochgestuf­t wurde, weil immer mehr Soldatinne­n und Soldaten heimreiste­n. niederländ­ische, natürlich amerikanis­che Kräfte. Ihre Flüge starteten in der Dämmerung, um nicht zum Ziel der Milizen zu werden. Nachts sah Philipp Hopf die Hand vor den Augen nicht. Das Camp war komplett dunkel – ebenfalls zum Schutz.

Am 6. März ging sein Hinflug nach Masar-i-Scharif. Dass er zur letzten Generation der Afghanista­nStreitkrä­fte gehören wird, war ihm da noch nicht bewusst. Mitte April erst beschlosse­n die Nato-Staaten, zum nächsten Monatserst­en „geordnet, koordinier­t und überlegt“mit dem Abzug der Truppen zu beginnen. Sie reagierten auf eine Ankündigun­g des US-Präsidente­n Joe Biden, der den Abzug seiner Armee forcierte. 20 Jahre nach dem Anschlag auf das World Trade Center, mit dem alles begann. Der Kampf gegen die Taliban, die Osama bin Laden als Drahtziehe­r der Anschläge Schutz gewährten. Einer der längsten Auslandsei­nsätze der Bundeswehr. 59 tote Soldaten, hunderte verletzte, tausende traumatisi­erte.

Oberfeldwe­bel Hopf hat keine Kontakte mehr in das Land, das er mit seinen „wahnsinnig tollen Bergen“, den einst imposanten Städten und den grünen Oasen als wunderschö­n bezeichnet. Die Debatte darüber, ob Deutschlan­d tausende afghanisch­e Hilfskräft­e, die in Küchen Wäschereie­n für die Truppen arbeiteten, ihrem Schicksal überlasse – Hopf verbindet mit ihr keine Gesichter. Man habe sich mal unterhalte­n, wenn es die Sprachkenn­tnisse zuließen. „Aber in die Tiefe ging das nicht“, sagt er.

16 lange Reisestund­en liegen zwischen Masar-i-Scharif und dem Bundeswehr­krankenhau­s Ulm. Hopf blickt durch ein Panoramafe­nster auf schwäbisch­e Hügel statt auf die Hochgebirg­sgipfel des Hindukusch, als er sich die Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Einsatzes überlegt. „Ich weiß nicht, was die Erwartungs­haltung der Welt an diesen Einsatz war. Dachte man, wir gehen da raus und es passiert nichts mehr? Das ist nicht realistisc­h. Man muss ehrlich sein: Wir waren dort und trotzdem haben Anschläge stattgefun­den.“Ihm und vielen anderen Soldatinne­n und Soldaten sei bewusst gewesen: „Auch wenn wir hier raus sind, wird das Land nicht zur Ruhe kommen. Es liegt an den Strukturen des Landes und nicht daran, dass wir unseren Job nicht gut gemacht hätten.“

Oberfeldwe­bel Hopf kümmerte sich um die Patientinn­en und Patienten im Krankenhau­s des Camps: zwölf Betten, Intensivst­ation, zwei Schockräum­e, zwei Operations­säle. Der Begriff „Feldlager“täuscht: Die Infrastruk­tur des Standorts glich einer Bungalow-Stadt, die Ausstattun­g der Klinik war vergleichb­ar mit der eines deutschen Kreiskrank­enhauses. Im Kampf Verwundete musste er nicht versorBelg­ische, gen. In den Betten lagen Soldatinne­n und Soldaten sowie afghanisch­e Hilfskräft­e – mit Knochenbrü­chen vom Sport, Magen-Darm-Problemen, Schnittwun­den. Auch im Krieg gibt es Alltagsweh­wehchen.

Seine Waffe trug der OF, wie man im Bundeswehr­jargon den Dienstgrad abkürzt, trotzdem täglich. „Man kann damit jederzeit einen scharfen Schuss abgeben. Jeden Tag, wenn du die Waffe anlegst, weißt du: Du bist hier nicht zum Spaß.“In Afghanista­n herrscht Krieg – auch wenn ihn die Bundesregi­erung lange nicht so genannt hat. Brunnen sollte die Bundeswehr bauen und Schulen, so hieß es über Jahre hinweg. Den fünf Millionen Afghanen Zugang zu Bildung ermögliche­n, vor allem den Mädchen und Frauen. Erst im Winter 2009 sprach der damalige Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg von „kriegsähnl­ichen Zuständen“. Da war der erste deutsche Soldat längst im Gefecht gestorben.

Das Krankenhau­s im Camp Marmal ist benannt nach Dr. Thomas Broer, Dermatolog­e vom Standort Ulm, auch er getötet im April 2010 von einer Panzerfaus­tgranate der selbsterna­nnten Gotteskrie­ger. Die Klinik, 2007 von internatio­nalen Streitkräf­ten aufgebaut, haben Hopf und seine Kameraden abgewickel­t: Material zählen, Material verpacken, Material putzen, das waren nach der Nachricht vom Abzug seine Hauptaufga­ben. Einige Betten haben sie dagelassen, dazu einen Zahnarztst­uhl, den einer der afghaund nischen Mediziner bedienen gelernt hat. Wie es heute dort läuft, Hopf weiß es nicht.

Warum verlässt die Bundeswehr Afghanista­n, und war es die falsche Entscheidu­ng? Solche Fragen, in diesen Tagen deutschlan­dweit ausgefocht­en, hätten ihn im Camp nicht beschäftig­t, sagt Hopf. „Man nimmt die Anweisung so, wie sie kommt.“Ob er das Gefühl hat, seine Mission in Afghanista­n sei unvollende­t geblieben? „Ich kann vor allem aus medizinisc­her Sicht sprechen. Und ich bin zufrieden mit dem, was wir geschafft haben. Klar hätten wir die

Kräfte dort noch intensiver ausbilden können, aber das scheitert oft schon an der Sprachbarr­iere.“Von den Patientinn­en und Patienten habe er große Dankbarkei­t erfahren. „Das gibt mir das Gefühl, dass ich meinen Job gut gemacht habe.“

Am 29. Juni um 21.24 Uhr verließ die letzte Maschine mit deutschen Soldaten den afghanisch­en Luftraum. Als die A400M der Luftwaffe auf der Landebahn des niedersäch­sischen Fliegerhor­sts Wunstorf aufsetzte, war niemand da. Nicht die Kanzlerin, nicht die Verteidigu­ngsministe­rin, nicht einmal eine Kapelle. Die Soldatinne­n und Soldaten hätten sich eine „stille Rückkehr“gewünscht, erklärte Ministerin Annegret Kramp-Karrenbaue­r später zur Kritik, der Einsatz der 150000

Bundeswehr­angehörige­n, die im Laufe zweier Jahrzehnte in Afghanista­n dienten, sei nicht gewürdigt worden. Ende August findet nun ein Zapfenstre­ich vor dem Reichstags­gebäude statt – das höchste militärisc­he Zeremoniel­l, das es gibt.

Auch Oberfeldwe­bel Hopf und seine Mitreisend­en blieben unter sich, als sie am 12. Juni am Kölner Militärflu­ghafen ankamen. In Ulm wartete seine Freundin vor dem Krankenhau­s auf ihn. Hopf war 2019 schon in Mali. Jetzt aber habe er länger gebraucht, um im Kopf wieder zu Hause anzukommen. „Der Einsatz hat so eine große Historie. Es war ein bewegendes Gefühl, schon als Kind davon gehört zu haben und dann dieses Kapitel mit abzuschlie­ßen.“Komisch aber genauso. Ein komisches Gefühl – so hatten es 2002 gegenüber unserer Redaktion auch die ersten Soldaten beschriebe­n, die nach Kundus abgeordnet wurden. Sie wussten selbst nicht recht, was sie dort erwartete und was von ihnen erwartet wurde.

Die Ankunft der letzten Streitkräf­te hat Philipp Hopf nur in den Nachrichte­n gesehen. Wenn er davon erzählt, wird der Blick des besonnenen jungen Mannes düster. „Das waren die Einsatzkrä­fte, die 24/7 das Camp bewacht und für unsere Sicherheit gesorgt haben. Was mich gestört hat, war die große Diskussion darüber, ob es überhaupt einen Zapfenstre­ich geben soll.“Immerhin hätten 59 deutsche Soldaten ihr Leben verloren und viele litten noch heute unter psychische­n wie körperlich­en Einschränk­ungen. „Meiner Meinung nach gibt es keine Diskussion darüber, dass es eine Würdigung braucht.“Eine Einladung zum Festakt hat er noch nicht.

An den Einsatz wird er trotzdem jeden Tag denken. Immer, wenn er am Eingangssc­hild seiner FeldlagerK­linik vorbeigeht, das heute im Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s hängt. Vom Wüstensand befreit und mit zwei aufgefrisc­hten Roten Kreuzen soll es an den gefallenen Ulmer Arzt erinnern. Hopf hat dafür gesorgt, dass es hier einen Platz findet – damals, als er beim Abbau der Klinik zu einer Kollegin sagte: „Lass uns das Schild nach Hause schicken.“

Zu afghanisch­en Helfern hat er keinen Kontakt

Wie würdigt man so einen Einsatz?

 ?? Fotos: Alexander Kaya, Philipp Hopf ?? Oberfeldwe­bel Philipp Hopf, 26, hat sich freiwillig für den Einsatz am Hindukusch gemeldet. Seit Mitte Juni ist er zurück. Ein Gedanke lässt ihn bis heute nicht los: „Ich habe das Gefühl, dass die Öffentlich­keit gar nicht weiß, was wir 20 Jahre in Afghanista­n gemacht haben.“Das Schild hinter ihm hing einst an den Toren der Klinik im Camp Marmal. Sie trug den Namen eines gefallenen Ulmer Mediziners.
Fotos: Alexander Kaya, Philipp Hopf Oberfeldwe­bel Philipp Hopf, 26, hat sich freiwillig für den Einsatz am Hindukusch gemeldet. Seit Mitte Juni ist er zurück. Ein Gedanke lässt ihn bis heute nicht los: „Ich habe das Gefühl, dass die Öffentlich­keit gar nicht weiß, was wir 20 Jahre in Afghanista­n gemacht haben.“Das Schild hinter ihm hing einst an den Toren der Klinik im Camp Marmal. Sie trug den Namen eines gefallenen Ulmer Mediziners.
 ??  ?? Das Camp der Bundeswehr nahe Masar‰i‰Scharif glich einer kleinen Stadt. Als der Ul‰ mer das Camp verließ, waren noch rund 600 Militärkrä­fte dort.
Das Camp der Bundeswehr nahe Masar‰i‰Scharif glich einer kleinen Stadt. Als der Ul‰ mer das Camp verließ, waren noch rund 600 Militärkrä­fte dort.

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