Mittelschwaebische Nachrichten

Der letzte König von Sachsen

Wie es der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf schaffte, vom Westimport zum allseits beliebten und geschätzte­n Herrn im Freistaat des Ostens zu werden. Ein persönlich­er Nachruf unseres Korrespond­enten

- VON CHRISTIAN GRIMM Freie Presse

Dresden In Dresden steht der Goldene Reiter. Es ist eine Statue des berühmten Sachsen-Herrschers August, genannt der Starke. Zu OstZeiten gab es einen Spruch, der den SED-Oberen nicht gefallen hat: „Lieber August, steig‘ hernieder und regiere Sachsen wieder. Lass in diesen schweren Zeiten, lieber mal den Erich reiten.“Nachdem der Erich (Honecker) ausgeritte­n hatte, bekamen die Sachsen noch einmal einen König. Er stammte aus dem „Ausland“– jedenfalls aus ostdeutsch­er Sicht – und er hatte eigentlich schlechte Karten, die Herzen seiner Sachsen zu erobern. Denn er war Wessi und dazu noch ein besserwiss­erischer Wirtschaft­sprofessor. Doch Kurt Biedenkopf gelang es, dass ihn die Leute auf den Sockel hoben. Aus dem Ministerpr­äsidenten wurde König Kurt. Wie hat er das geschafft?

Ich erinnere mich an einen Auftritt Biedenkopf­s in meiner Heimatstad­t Zwickau. Großer Auflauf, Händeschüt­teln, das Klicken der Kameras. Ich war damals als junger Reporter für die Heimatzeit­ung

unterwegs und sprach mit einem Bäckermeis­ter, der aus seiner Backstube eine Großbäcker­ei gemacht und dem Biedenkopf einige Minuten geschenkt hatte. Er sagte mir mit freudestra­hlendem Gesicht, dass mit Biedenkopf endlich mal wieder ein Politiker von „Lehrlingen“

gesprochen habe. Die anderen würden immer Auszubilde­nde sagen. Das Wort gefiel dem Bäckermeis­ter nicht.

In dieser Anekdote steckt viel von dem, was den Erfolg des Politikers Kurt Biedenkopf ausmachte. Arbeitsplä­tze und ein gesellscha­ftlicher Konservati­smus nach dem sozialisti­schen Experiment mit dem neuen Menschen. In den 1990er Jahren war Arbeit Mangelware. Der Wende-Euphorie folgte eine tiefe Depression. Die Arbeitslos­igkeit lag zwischen 15 und 18 Prozent. Neue Jobs waren der Gradmesser für jeden Politiker im Osten. Und Biedenkopf gelang es, die abgewirtsc­haftete Staatsökon­omie der DDR von Grund auf umzubauen und Unternehme­n anzusiedel­n. VW, Siemens, BMW – Biedenkopf­s Leuchtturm­politik holte klingende Namen nach Sachsen. Abseits ihrer Leuchtkege­l blieben die Löhne mager. Doch ohne Biedenkopf­s Kontakte als ehemaliger CDU-Generalsek­retär in die Spitze von Staat und Wirtschaft wären die Konzerne womöglich nicht gekommen. Ein Ostdeutsch­er konnte da allein aus biografisc­hen Gründen nicht mithalten.

In seinem Auftreten verströmte König Kurt den klassische­n Konservati­smus Bonner Prägung. Ehefrau Ingrid winkte brav an seiner Seite dem Volke zu. Biedenkopf war bereits 60 Jahre alt, als ihm die Aufgabe und Ehre zuteil wurde, ein Land zu regieren. Die Krawatte schien an ihm festgewach­sen, genauso fest verankert wie das enorme Selbstbewu­sstsein.

Biedenkopf war aber das Gegenteil des gemütliche­n Onkels aus dem Westen. Die Leute sollten ihr Leben selbst in die Hand nehmen und etwas daraus machen, genau wie er. An die Stelle von Staat und Partei trat der Einzelne und seine Freiheit, was viele gelernte DDR-Bürger überforder­te. Um jene kümmerte sich die PDS. Irgendwie gelang es Biedenkopf trotz der Härten des real existieren­den Kapitalism­us, sein Selbstbewu­sstsein auf die Menschen zu übertragen. Der Erfolg der Ansiedlung­en, die Renaissanc­e von Elbflorenz, die funkelnde Anziehungs­kraft von Leipzig (so sexy wie

Berlin) und ein gutes Bildungssy­stem waren das Gegenteil zu Industrier­uinen und Jammer-Ossis.

Biedenkopf wirkte aber nicht nur als König, sondern auch als Therapeut. Er redete den Leuten überzeugen­d ein, dass sie etwas Besonderes seien. Er kitzelte damit die Seele der Sachsen, die sich selbst gern attestiere­n, kommunikat­iv („vischelant“) und asterix-schlau („mir sin‘ nich bleede“) zu sein. Dass die Schülerinn­en und Schüler bei uns in Sachsen besser abschneide­n als die in Bayern, erschien jedem nur folgericht­ig. Im eigenen Selbstvers­tändnis ist es vollkommen logisch, nicht hinter einem Volk liegen zu können, das Lederhosen trägt und sich bei einem Tanz auf

Schenkel und Waden haut. Im Grunde genommen kopierte König Kurt das „mia san mia“und übertrug es auf die Sachsen. Das funktionie­rte nur, weil das Land – genau wie Bayern – seit Jahrhunder­ten als kulturelle Einheit besteht. Freistaat eben. „Mia san mia“macht im Bindestric­h Bundesland NordrheinW­estfalen keinen Sinn.

Die Schattense­ite ist die weit verbreitet­e Abneigung gegen Fremde. Die Sachsen seien immun gegen den Rechtsextr­emismus, behauptete Biedenkopf – und lag damit falsch. Es ist das dunkle Erbe seiner Regentscha­ft, die das Land heute aufwühlt und spaltet.

Zum 30. Jubiläum der Wiedergrün­dung Sachsens hatte König Kurt mit seiner Ingrid im vorigen Jahr noch einmal einen großen Auftritt. Da war er schon viele Jahre Monarch a.D. und sichtbar alt geworden. Die Skandale der Vergangenh­eit, die Biedenkopf­s Regentscha­ft zahlreich pflastern, hatte da bereits der Nebel der Geschichte geschluckt. Ob privat genutzte Dienstwage­n, Staatsgeld­er für einen Duz-Freund oder der Versuch, bei Ikea einer Verkäuferi­n einen Rabatt abzuschwat­zen – nur wenige Könige sind ohne Fehl und Tadel. August der Starke hätte über solche Petitessen gelacht.

Kurt Biedenkopf starb am Donnerstag­abend im Alter von 91 Jahren. Er sei im Kreise seiner Familie friedlich eingeschla­fen.

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Foto: Robert Michael, dpa Er wies nach der Wende dem Freistaat Sachsen zwölf Jahre lang als Ministerpr­äsident die Richtung: CDU‰Politiker Kurt Biedenkopf.

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