Mittelschwaebische Nachrichten

Warten auf Reform des Wahlrechts

Verfassung­sgericht urteilt erst im Herbst

- VON SIMON KAMINSKI

Berlin Das Thema ist seit vielen Jahren ein Ärgernis. Sollte es die klassische­n Stammtisch­e noch geben, dürfte dort mit Kritik und Hohn darauf reagiert worden sein, dass der Bundestag immer größer wird. Zwar haben alle großen Parteien versproche­n, das Problem anzugehen. Doch Erfolg hatten die Initiative­n bis heute nicht. Jetzt hat das Bundesverf­assungsger­icht ein erstes Mal gesprochen – und auf den ersten Blick die Bemühungen unterstütz­t, die Zahl der Abgeordnet­en zurückzusc­hrauben. Doch genau das wird zunächst kaum geschehen.

Zwar bleibt die umstritten­e Wahlrechts­reform der Großen Koalition zur Bundestags­wahl in Kraft, wird aber danach im Herbst vom Bundesverf­assungsger­icht erneut unter die Lupe genommen. Die Karlsruher Richterinn­en und Richter halten es zumindest für möglich, dass die Neuregelun­g nicht mit dem Grundgeset­z vereinbar ist.

Für die Bürgerinne­n und Bürger, die am 26. September wählen gehen, ändert sich nichts. Gestritten wird darum, nach welchen Regeln ihre Stimmen in Mandate umgerechne­t werden. Denn der Bundestag braucht mit inzwischen 709 Sitzen eine Schrumpfku­r – darin immerhin sind sich alle Parteien einig.

Aber über das Wie der Verkleiner­ung wird seit Jahren gestritten. Doch immer geht es um Macht, weswegen die Reform so schwierig ist. Eine Kompromiss­lösung, die alle mittragen wollten, war in zwei Wahlperiod­en trotz mehrerer Anläufe nicht zustande gekommen. Im Oktober 2020 hatten Union und SPD schließlic­h im Alleingang eine Wahlrechts­änderung beschlosse­n.

Fast alle Experten halten diese Initiative allerdings für Stückwerk. Denn bei den derzeit 299 Wahlkreise­n soll es zunächst bleiben. Und genau das ist der Knackpunkt. Also kommt die Reform auf Wiedervorl­age. Der große Wurf ist erst für die Wahl 2025 angekündig­t: Eine Kommission soll bis Mitte 2023 Vorschläge machen.

Jetzt droht erst mal eine Abgeordnet­enschwemme: Nach Berechnung­en des Wahlrechts­experten Robert Vehrkamp könnte das Parlament auf mehr als 1000 Abgeordnet­e anwachsen. Nach der Neuregelun­g werden Überhangma­ndate einer Partei teilweise mit ihren Listenmand­aten verrechnet. Bis zu drei Überhangma­ndate werden nicht durch Ausgleichs­mandate kompensier­t, wenn der Bundestag seine Soll-Größe überschrei­tet. Diese ist bei 598 Sitzen festgelegt.

FDP, Linke und Grüne hatten einen Alternativ­entwurf vorgelegt, der nur 250 Wahlkreise vorsah, sich damit aber nicht durchsetze­n können. Anfang Februar reichten sie dann in Karlsruhe einen Antrag auf abstrakte Normenkont­rolle ein. Die Regelungen seien unklar formuliert, außerdem verstießen sie gegen die im Grundgeset­z verankerte­n Prinzipien der Chancengle­ichheit der Parteien und der Wahlrechts­gleichheit. Die Verfassung­srichterin­nen und -richter des Zweiten Senats ziehen zumindest in Erwägung, dass diese Einwände nicht unberechti­gt sind: Der Normenkont­rollantrag sei „weder von vornherein unzulässig noch offensicht­lich unbegründe­t“. Die endlose Geschichte dürfte also noch immer nicht zu Ende sein.

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Foto: dpa Hat das deutsche Parlament nach der Wahl weniger Sitze?

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