Mittelschwaebische Nachrichten

Bahnchaos kann sich jederzeit wiederhole­n

Die erste Streikwell­e hat viele hunderttau­sende Pendler mit voller Wucht getroffen. Zum Wochenende hin normalisie­rt sich die Situation wieder. Doch eine Einigung zwischen den Tarifpartn­ern zeichnet sich nicht ab

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Berlin/Frankfurt Die erste Welle des Lokführers­treiks ist vorbei, doch eine Lösung des Tarifkonfl­ikts zwischen der Deutschen Bahn und der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) zeichnet sich nicht ab. Während die Bahn am Freitag schnell zum Vollbetrie­b an einem der verkehrsre­ichsten Tage des Jahres zurückkehr­te, drohte GDL-Chef Claus Weselsky mit neuerliche­n Arbeitsnie­derlegunge­n.

Die Bahn lehnte es ab, ein verbessert­es Angebot vorzulegen und forderte die GDL erneut auf, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren. Bei seiner vorläufige­n Bilanz des am Freitag beendeten Streiks verzichtet­e Weselsky in Berlin darauf, einen konkreten Termin für einen zweiten Arbeitskam­pf zu nennen. Der Gewerkscha­fter kündigte stattdesse­n eine Protestkun­dgebung gemeinsam mit dem Deutschen Beamtenbun­d am kommenden Dienstag (17. August, 13.30 Uhr) vor dem Berliner Bahntower am Potsdamer Platz an. Danach könnte es aber schnell gehen bei der GDL: „Nach unseren Protestmaß­nahmen werden wir nur noch eine kurze Zeit verstreich­en lassen, um erneut in Arbeitskam­pfmaßnahme­n einzutrete­n“, sagte Weselsky. Er sicherte zu, dieses Mal die Fahrgäste früher zu

als bei der ersten Welle, als im Personenve­rkehr nur knapp 15 Stunden zwischen Ankündigun­g und Streikbegi­nn lagen.

Zur möglichen Länge meinte er, dass er einen unbefriste­ten Streik „im jetzigen Moment“für nicht verantwort­bar halte. In den vergangene­n Tagen hatte der Gewerkscha­ftschef einen Ausstand über ein besonders verkehrsre­iches Wochenende angedeutet. Beim jüngsten großen Arbeitskam­pf in den Jahren 2014/2015 hatte die GDL unter seiner Führung acht Streikwell­en organisier­t. Bahn-Personalvo­rstand Martin Seiler bot Verhandlun­gen

an diesem Wochenende an. Er erklärte: „Unsere Reisenden und den Bahnverkeh­r in der jetzigen Lage weiter mit Streiks zu bedrohen, bringt inhaltlich kein Stück weiter, ist völlig unnötig und überzogen.“GDL und Bahn stritten sich über die Bewertung des ersten Ausstands, der im Güterverke­hr bereits am Dienstag begonnen hatte, während der Personenve­rkehr von Mittwoch bis Freitag früh für 48 Stunden bestreikt wurde. Der Streik sei „hervorrage­nd gelaufen,“sagte Weselsky. Es sei nicht einfach gewesen, die entschloss­enen Kollegen davon zu überzeugen, nach 48 Stunwarnen den Streik zunächst wieder aufzuhören. „Die GDL hat ihr eigentlich­es Arbeitskam­pfziel nicht erreicht“, meinte hingegen Bahnsprech­er Achim Stauß. So hätten sich nur rund 5400 der 19700 Lokführer beteiligt und etwa 1800 der 12000 Zugbegleit­er. In den übrigen Konzernber­eichen, für die die GDL auch Tarifvertr­äge anstrebt, hätten bundesweit nur 120 Mitarbeite­r gestreikt. Die Bahn versuche vergeblich, den erfolgreic­hen Streik kleinzured­en, meinte dazu Weselsky. Er führte an, dass rund zwei Drittel der Lokführer gar nicht hätten streiken können, weil sie Ruhezeiten einhalten mussten oder im Urlaub waren.

Er verlangte vom Bahn-Vorstand erneut ein verbessert­es Angebot und wandte sich gegen Vorwürfe, die GDL streike für politische Ziele im Machtkampf mit der Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG). Insbesonde­re die Folgen des Tarifeinhe­itsgesetze­s würden vor den Arbeitsger­ichten geklärt. „Am Ende wird jeder sehen, wer die Mehrheit im Betrieb hat.“Am Vortag hatte unter anderem der Bahn-Beauftragt­e der Bundesregi­erung, Enak Ferlemann, kritisiert, dass die GDL eigentlich das Tarifeinhe­itsgesetz zu Fall bringen wolle und zudem eine Trennung zwischen Netz und Fahrauch betrieb bei der Bahn anstrebe. Dies seien politische Ziele, für die nach deutschem Recht nicht gestreikt werden dürfte. Kritik kam am Freitag auch vom Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll. Die GDL sei ein „extrem abschrecke­ndes Beispiel einer aggressive­n Spartengew­erkschaft“, formuliert­e Hauptgesch­äftsführer Oliver Zander.

Jeder Bahnstreik verschärfe die Produktion­sprobleme der Betriebe zusätzlich. Nach Einschätzu­ng der Deutschen Bahn hat der Streik mehrere Millionen Menschen betroffen. Vor allem Pendler und Urlauber mussten auf andere Reisemögli­chkeiten ausweichen.

An normalen Tagen nutzen täglich rund 4,6 Millionen Fahrgäste die Züge des Nah- und Fernverkeh­rs, wie das Unternehme­n in Berlin mitteilte. Im Güterverke­hr seien rund 300 Züge stehen geblieben, deren Stau man nun abbauen werde. In den Regio-Netzen waren an den beiden Streiktage­n Mittwoch und Donnerstag jeweils rund 40 Prozent der Züge unterwegs. Im Fernverkeh­r wurde das Angebot nach rund 25 Prozent vom Mittwoch am Folgetag noch etwas gesteigert. Am Freitag fuhren die Züge in Deutschlan­d zum größten Teil wieder im üblichen Umfang.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Ruhe für die Taube. Viele Bahnhöfe waren am Mittwoch und Donnerstag wie ausge‰ storben.

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