Mittelschwaebische Nachrichten

Spritze zum Mitnehmen

Beim Versuch, möglichst viele Menschen gegen das Virus zu impfen, setzt der Freistaat auf besondere Aktionen an ungewöhnli­chen Orten. Doch wie erfolgreic­h sind diese wirklich?

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Manch einer schüttelte den Kopf, als Markus Söder vor etwa einem Monat das „Impfen to go“im Freistaat verkündete und dafür warb, sich künftig an außergewöh­nlichen Orten quasi im Vorbeigehe­n gegen das Coronaviru­s impfen zu lassen. Es klang ein wenig nach einem PR-Gag des bayerische­n Ministerpr­äsidenten, um der sinkenden Impfbereit­schaft in der Bevölkerun­g entgegenzu­wirken. Wer will ernsthaft eine Biontech-Spritze im Supermarkt? Eine Dosis AstraZenec­a auf dem Sportplatz? Oder den Familienau­sflug am Sonntag mit Johnson&Johnson ausklingen lassen?

Und doch kam es, wie es Söder sagte: Landkreise und Städte starteten fortan zahllose Sonderimpf­aktionen. Seither wird also nicht mehr nur im Impfzentru­m, beim Hausoder Betriebsar­zt geimpft, sondern auf Berggipfel­n, in Fußballsta­dien, vor Möbelhäuse­rn und Fast-FoodRestau­rants. Der „Kampf um den Impfling“, wie es Gesundheit­sminister Klaus Holetschek damals nannte, hat also begonnen. Doch ist er auch erfolgreic­h?

Vor Ort fallen die Antworten darauf sehr unterschie­dlich aus. Auf dem Jenner im Berchtesga­dener Land beispielsw­eise, wo sich Gipfelstür­mer unlängst auf 1800 Meter Höhe eine Spritze setzen lassen konnten, trübte schlechtes Wetter die Bilanz. Lediglich elf Ausflügler ließen sich in der Bergstatio­n impfen. Deutlich begehrter war da schon das Angebot, sich im VIP-Bereich der Fußball-Arena in Augsburg den Corona-Schutz verpassen zu lassen. 539 Menschen ließen sich an zwei Tagen mit Blick auf den Rasen des Stadions impfen. Die Atmosphäre sei für viele ein Highlight gewesen, hieß es vonseiten der Stadt.

Da kann der atmosphäri­sch eher überschaub­are Parkplatz vor einem McDonald’s in Kempten freilich nur schwer mithalten – 28 Impfungen ließen die Organisato­ren vom Roten Kreuz daher etwas ernüchtert zurück. Auch im „Allgäu Skyline Park“in Rammingen (Landkreis Unterallgä­u) hielt sich der Impfspaß in Grenzen. Obwohl mit Rabatt auf die Eintrittsk­arte und Verzehrgut­schein geworben wurde, ließen sich nur 50 Personen impfen – 100 hatte man sich erhofft. Andernorts wurden Impfaktion­en vorzeitig abgebroche­n, weil zu wenige Interessie­rte kamen.

Um das zu verhindern, muss manchmal einfach der Chef selbst ran. Das zeigte sich in Bobingen im

Landkreis Augsburg. Dort stellte sich Landrat Martin Sailer an den Grill und spendierte jedem NeuImpflin­g eine Bratwurst. Immerhin 75 Menschen ließen sich diesen Genuss nicht entgehen.

Im Gesundheit­sministeri­um freut man sich über derlei Einfallsre­ichtum. „Die Impfzentre­n machen den Impfstoff mit viel Kreativitä­t und Tatkraft leicht zugänglich. Dafür gilt allen Beteiligte­n mein herzlicher Dank“, lobt Gesundheit­sminister Holetschek. Allein in der ersten Augustwoch­e seien mehr als 400 Sonderimpf­aktionen gemeldet worden, insgesamt schon mehr als 1100. Holetschek spricht von einer „guten“und „erfreulich­en“Resonanz und zeigt sich „optimistis­ch, dass wir mit unseren Aktionen auf dem richtigen Weg sind“.

Statistisc­h belegen lässt sich der Erfolg der Kampagne nur schwer. Eine Auswertung der Daten des Robert-Koch-Instituts zeigt, dass die Zahl der Erstimpfun­gen in Bayern kontinuier­lich sinkt – trotz der vielen Möglichkei­ten zum „Impfen to go“. Ließen sich in der letzten JuniWoche noch 445187 ihre erste Corona-Spritze setzen, waren es in der ersten August-Woche nur noch 73322. Dazu ist Bayern bei der Impfquote im Bundesverg­leich weiterhin nur Mittelmaß. 60,5 Prozent der Menschen im Freistaat sind mindestens einmal geimpft, nur in Sachsen-Anhalt, Brandenbur­g, Thüringen und Sachsen sind es noch weniger. Dasselbe Bild zeigt sich bei den vollständi­g Geimpften (55,1 Prozent). Gleichzeit­ig mussten im Freistaat bereits 53000 Impfdosen und damit mehr als in jedem anderen Bundesland weggeworfe­n werden, weil sie nicht gebraucht oder falsch gelagert wurden oder das Haltbarkei­tsdatum abgelaufen war.

Zahlen, die auch dem Gesundheit­sminister nicht gefallen, der daher nicht müde wird, für die Corona-Impfung zu werben. „Jetzt ist nicht die Zeit nachzulass­en. Lassen Sie sich jetzt impfen! Das ist der einfachste Weg, sich und andere zu schützen, persönlich­e Freiheiten zu sichern und vorbereite­t in Herbst und Winter zu gehen“, sagt Holetschek. Am Freitag stattete er einer Aktion in der Münchner Frauenkirc­he einen Besuch ab. Dass dafür gezielt auch Menschen in prekären Lebenssitu­ationen angesproch­en worden seien, freue ihn. „Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Rücksicht auf andere ein hohes Gut ist. Auch deshalb sind Impfungen so wichtig, für mich sind sie ein Zeichen gelebter Nächstenli­ebe.“

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Foto: Ralf Lienert In Kempten fand unlängst eine Sonderimpf­aktion vor einem Fast‰Food‰Restaurant statt – mit überschaub­arem Erfolg.
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