Mittelschwaebische Nachrichten
Spritze zum Mitnehmen
Beim Versuch, möglichst viele Menschen gegen das Virus zu impfen, setzt der Freistaat auf besondere Aktionen an ungewöhnlichen Orten. Doch wie erfolgreich sind diese wirklich?
Augsburg Manch einer schüttelte den Kopf, als Markus Söder vor etwa einem Monat das „Impfen to go“im Freistaat verkündete und dafür warb, sich künftig an außergewöhnlichen Orten quasi im Vorbeigehen gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Es klang ein wenig nach einem PR-Gag des bayerischen Ministerpräsidenten, um der sinkenden Impfbereitschaft in der Bevölkerung entgegenzuwirken. Wer will ernsthaft eine Biontech-Spritze im Supermarkt? Eine Dosis AstraZeneca auf dem Sportplatz? Oder den Familienausflug am Sonntag mit Johnson&Johnson ausklingen lassen?
Und doch kam es, wie es Söder sagte: Landkreise und Städte starteten fortan zahllose Sonderimpfaktionen. Seither wird also nicht mehr nur im Impfzentrum, beim Hausoder Betriebsarzt geimpft, sondern auf Berggipfeln, in Fußballstadien, vor Möbelhäusern und Fast-FoodRestaurants. Der „Kampf um den Impfling“, wie es Gesundheitsminister Klaus Holetschek damals nannte, hat also begonnen. Doch ist er auch erfolgreich?
Vor Ort fallen die Antworten darauf sehr unterschiedlich aus. Auf dem Jenner im Berchtesgadener Land beispielsweise, wo sich Gipfelstürmer unlängst auf 1800 Meter Höhe eine Spritze setzen lassen konnten, trübte schlechtes Wetter die Bilanz. Lediglich elf Ausflügler ließen sich in der Bergstation impfen. Deutlich begehrter war da schon das Angebot, sich im VIP-Bereich der Fußball-Arena in Augsburg den Corona-Schutz verpassen zu lassen. 539 Menschen ließen sich an zwei Tagen mit Blick auf den Rasen des Stadions impfen. Die Atmosphäre sei für viele ein Highlight gewesen, hieß es vonseiten der Stadt.
Da kann der atmosphärisch eher überschaubare Parkplatz vor einem McDonald’s in Kempten freilich nur schwer mithalten – 28 Impfungen ließen die Organisatoren vom Roten Kreuz daher etwas ernüchtert zurück. Auch im „Allgäu Skyline Park“in Rammingen (Landkreis Unterallgäu) hielt sich der Impfspaß in Grenzen. Obwohl mit Rabatt auf die Eintrittskarte und Verzehrgutschein geworben wurde, ließen sich nur 50 Personen impfen – 100 hatte man sich erhofft. Andernorts wurden Impfaktionen vorzeitig abgebrochen, weil zu wenige Interessierte kamen.
Um das zu verhindern, muss manchmal einfach der Chef selbst ran. Das zeigte sich in Bobingen im
Landkreis Augsburg. Dort stellte sich Landrat Martin Sailer an den Grill und spendierte jedem NeuImpfling eine Bratwurst. Immerhin 75 Menschen ließen sich diesen Genuss nicht entgehen.
Im Gesundheitsministerium freut man sich über derlei Einfallsreichtum. „Die Impfzentren machen den Impfstoff mit viel Kreativität und Tatkraft leicht zugänglich. Dafür gilt allen Beteiligten mein herzlicher Dank“, lobt Gesundheitsminister Holetschek. Allein in der ersten Augustwoche seien mehr als 400 Sonderimpfaktionen gemeldet worden, insgesamt schon mehr als 1100. Holetschek spricht von einer „guten“und „erfreulichen“Resonanz und zeigt sich „optimistisch, dass wir mit unseren Aktionen auf dem richtigen Weg sind“.
Statistisch belegen lässt sich der Erfolg der Kampagne nur schwer. Eine Auswertung der Daten des Robert-Koch-Instituts zeigt, dass die Zahl der Erstimpfungen in Bayern kontinuierlich sinkt – trotz der vielen Möglichkeiten zum „Impfen to go“. Ließen sich in der letzten JuniWoche noch 445187 ihre erste Corona-Spritze setzen, waren es in der ersten August-Woche nur noch 73322. Dazu ist Bayern bei der Impfquote im Bundesvergleich weiterhin nur Mittelmaß. 60,5 Prozent der Menschen im Freistaat sind mindestens einmal geimpft, nur in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind es noch weniger. Dasselbe Bild zeigt sich bei den vollständig Geimpften (55,1 Prozent). Gleichzeitig mussten im Freistaat bereits 53000 Impfdosen und damit mehr als in jedem anderen Bundesland weggeworfen werden, weil sie nicht gebraucht oder falsch gelagert wurden oder das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war.
Zahlen, die auch dem Gesundheitsminister nicht gefallen, der daher nicht müde wird, für die Corona-Impfung zu werben. „Jetzt ist nicht die Zeit nachzulassen. Lassen Sie sich jetzt impfen! Das ist der einfachste Weg, sich und andere zu schützen, persönliche Freiheiten zu sichern und vorbereitet in Herbst und Winter zu gehen“, sagt Holetschek. Am Freitag stattete er einer Aktion in der Münchner Frauenkirche einen Besuch ab. Dass dafür gezielt auch Menschen in prekären Lebenssituationen angesprochen worden seien, freue ihn. „Die Pandemie hat uns gezeigt, dass Rücksicht auf andere ein hohes Gut ist. Auch deshalb sind Impfungen so wichtig, für mich sind sie ein Zeichen gelebter Nächstenliebe.“