Mittelschwaebische Nachrichten
Reich an Sorgen
In Starnberg wohnen viele gut betuchte Menschen. Doch die Stadt muss sparen, sie hat fast keine Rücklagen mehr. Und dann gibt es da noch eine Klage der Deutschen Bahn
München Es klingt paradox: Die Stadt Starnberg am nördlichen Ufer des Starnberger Sees, dort, wo die Schönen und Reichen wohnen – so sagt man jedenfalls –, ist in schwierige Fahrwasser geraten. Ein Blick in die Finanzen der 23500-Einwohner-Stadt mit ihren Jachtclubs und Villen zeigt: Die Kommune nimmt immer weniger Geld ein. Und das trotz der überdurchschnittlichen Kauf- und Steuerkraft der Einwohnerinnen und Einwohner. Starnbergs Rücklagen sind nicht nur wegen großzügiger Ausgaben in der Vergangenheit aufgebraucht. Bei der Gewerbesteuer gibt es seit Jahren einen Negativtrend. Die Stadt musste zuletzt einen Kredit aufnehmen.
Die finanzielle Lage sei angespannt, heißt es seitens der Stadt, die sich auf Anfrage mit Auskünften bedeckt hält. Ein Problem der Stadt: Immer öfter haben Unternehmen in anderen Kommunen weitere Standorte – und zahlen dort anteilig Steuern. Gewerbesteuerzerlegung heißt das im Fachjargon. Starnberg muss sich zum Beispiel die Steuereinnahmen eines großen IT-Unternehmens mit Karlsruhe teilen.
Johann Kronauer vom Bayerischen Städtetag sagt, es sei nicht ungewöhnlich, wenn Unternehmen mehrere Betriebsstätten haben.
Zwar könne es in Einzelfällen sein, dass sich Firmen Standorte mit möglichst geringen Hebesätzen bei der Gewerbesteuer aussuchen, doch sei hierfür in Bayern kein Trend zu erkennen. Bei einer Aufteilung ist die zu zahlende Gewerbesteuer gesetzlich geregelt.
Zurück zu Starnberg: Seit drei Jahren gehen die Gewerbesteuereinnahmen sukzessive zurück. Waren es 2018 noch 22,38 Millionen Euro, rechnet die Kämmerei im diesjährigen Haushalt nur noch mit Einnahmen unter 17 Millionen Euro. Sprecherin Lena Choi sagt: „Neben dem Rückgang bei der Gewerbesteuer hat die Stadt bei der Einkommensteuerbeteiligung coronabedingte Einbußen zu verzeichnen.“
Eine Entwicklung, die wegen der Pandemie vielerorts in Bayern zu beobachten ist. 2020 haben Bund und Freistaat Kompensationszahlungen von insgesamt 2,4 Milliarden Euro an betroffene Kommunen getätigt. Der Bayerische Städtetag fordert weitere staatliche Hilfen und hofft, dass das Thema spätestens nach der Bundestagswahl auf die Agenda kommt.
Die Ersparnisse, also Rücklagen vieler Städte und Gemeinden, die sie teilweise über viele Jahre aufgebaut haben, sind wegen der Pandemie aufgebraucht. „Die Situation der kommunalen Haushalte ist ernst“, sagt Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr und zugleich Vorsitzender des Bayerischen Städtetags. Kommunale Investitionen seien dringender denn je.
Von größeren Ausgaben zur Stärkung der heimischen Wirtschaft ist man in Starnberg weit entfernt. Die finanzielle Rücklage der Stadt hat laut Sprecherin Choi zum Jahresbeginn 2021 noch 3,58 Millionen Euro betragen. Mit dem diesjährigen Haushalt sind die Rücklagen bis auf eine mittlere sechsstellige Zahl aufgebraucht: Die Stadt entnahm ihren Rücklagen drei Millionen Euro und benötigte zudem einen Kredit in Höhe von fast vier Millionen Euro. Der Schuldenstand soll laut Choi bis zum Jahresende voraussichtlich 12,34 Millionen Euro betragen. 2014 hatte Starnberg zwar mit über 20 Millionen Euro deutlich mehr Schulden, aber damals waren auch 25 Millionen Euro Rücklagen auf der Habenseite. In der Netto-Rechnung bedeutet das: von einem FünfMillionen-Plus zu einem Minus von zwölf Millionen in nur sieben Jahren.
Die Seestadt ist zum Sparen gezwungen, neue Einnahmequellen müssen her. Junge Familien haben dies schnell zu spüren bekommen.
Die zuerst 2017 abgeschaffte Kitagebühr hat Starnberg 2019 wieder eingeführt, auch Kindergartengebühren sind nun fällig. Parken ist teurer geworden, und es gibt eine höhere Hundesteuer.
Seit Jahresbeginn hat die Stadt die Hebesätze der Grundsteuern um zehn Prozent erhöht. Ab kommendem Jahr wird die Stadt eine Zweitwohnungssteuer in Höhe von zwölf Prozent erheben. Berechnungsgrundlage für die Erhebung soll die Jahreskaltnettomiete einer Wohnung sein. Haben Eigentümer eine Zweitwohnung in Starnberg, soll ein Gutachter die Höhe einer potenziellen Miete ermitteln. Fast 700 Zweitwohnsitznehmer gibt es. Die Stadt erhofft sich Mehreinnahmen von bis zu einer halben Million Euro.
Und dann gibt es noch den Rechtsstreit, der die Finanzen der Stadt völlig zur Entgleisung bringen könnte. Die Deutsche Bahn fordert über 170 Millionen Euro Schadenersatz von der Stadt, weil sie einen in den 80er Jahren geschlossenen Vertrag nicht erfüllt haben soll. Die Stadt sollte sich am Umbau von Gleisanlagen finanziell beteiligen – was nicht ausreichend geschehen ist, so der Vorwurf der Bahn. Wie das Verfahren ausgehen könnte, ist noch unklar. Sollte die Bahn ganz oder auch nur teilweise Recht bekommen, wäre Starnberg vielleicht über Jahrzehnte hoch verschuldet.
Gewerbesteuereinnahmen gehen zurück