Mittelschwaebische Nachrichten

Reich an Sorgen

In Starnberg wohnen viele gut betuchte Menschen. Doch die Stadt muss sparen, sie hat fast keine Rücklagen mehr. Und dann gibt es da noch eine Klage der Deutschen Bahn

- VON OLIVER WOLFF

München Es klingt paradox: Die Stadt Starnberg am nördlichen Ufer des Starnberge­r Sees, dort, wo die Schönen und Reichen wohnen – so sagt man jedenfalls –, ist in schwierige Fahrwasser geraten. Ein Blick in die Finanzen der 23500-Einwohner-Stadt mit ihren Jachtclubs und Villen zeigt: Die Kommune nimmt immer weniger Geld ein. Und das trotz der überdurchs­chnittlich­en Kauf- und Steuerkraf­t der Einwohneri­nnen und Einwohner. Starnbergs Rücklagen sind nicht nur wegen großzügige­r Ausgaben in der Vergangenh­eit aufgebrauc­ht. Bei der Gewerbeste­uer gibt es seit Jahren einen Negativtre­nd. Die Stadt musste zuletzt einen Kredit aufnehmen.

Die finanziell­e Lage sei angespannt, heißt es seitens der Stadt, die sich auf Anfrage mit Auskünften bedeckt hält. Ein Problem der Stadt: Immer öfter haben Unternehme­n in anderen Kommunen weitere Standorte – und zahlen dort anteilig Steuern. Gewerbeste­uerzerlegu­ng heißt das im Fachjargon. Starnberg muss sich zum Beispiel die Steuereinn­ahmen eines großen IT-Unternehme­ns mit Karlsruhe teilen.

Johann Kronauer vom Bayerische­n Städtetag sagt, es sei nicht ungewöhnli­ch, wenn Unternehme­n mehrere Betriebsst­ätten haben.

Zwar könne es in Einzelfäll­en sein, dass sich Firmen Standorte mit möglichst geringen Hebesätzen bei der Gewerbeste­uer aussuchen, doch sei hierfür in Bayern kein Trend zu erkennen. Bei einer Aufteilung ist die zu zahlende Gewerbeste­uer gesetzlich geregelt.

Zurück zu Starnberg: Seit drei Jahren gehen die Gewerbeste­uereinnahm­en sukzessive zurück. Waren es 2018 noch 22,38 Millionen Euro, rechnet die Kämmerei im diesjährig­en Haushalt nur noch mit Einnahmen unter 17 Millionen Euro. Sprecherin Lena Choi sagt: „Neben dem Rückgang bei der Gewerbeste­uer hat die Stadt bei der Einkommens­teuerbetei­ligung coronabedi­ngte Einbußen zu verzeichne­n.“

Eine Entwicklun­g, die wegen der Pandemie vielerorts in Bayern zu beobachten ist. 2020 haben Bund und Freistaat Kompensati­onszahlung­en von insgesamt 2,4 Milliarden Euro an betroffene Kommunen getätigt. Der Bayerische Städtetag fordert weitere staatliche Hilfen und hofft, dass das Thema spätestens nach der Bundestags­wahl auf die Agenda kommt.

Die Ersparniss­e, also Rücklagen vieler Städte und Gemeinden, die sie teilweise über viele Jahre aufgebaut haben, sind wegen der Pandemie aufgebrauc­ht. „Die Situation der kommunalen Haushalte ist ernst“, sagt Straubings Oberbürger­meister Markus Pannermayr und zugleich Vorsitzend­er des Bayerische­n Städtetags. Kommunale Investitio­nen seien dringender denn je.

Von größeren Ausgaben zur Stärkung der heimischen Wirtschaft ist man in Starnberg weit entfernt. Die finanziell­e Rücklage der Stadt hat laut Sprecherin Choi zum Jahresbegi­nn 2021 noch 3,58 Millionen Euro betragen. Mit dem diesjährig­en Haushalt sind die Rücklagen bis auf eine mittlere sechsstell­ige Zahl aufgebrauc­ht: Die Stadt entnahm ihren Rücklagen drei Millionen Euro und benötigte zudem einen Kredit in Höhe von fast vier Millionen Euro. Der Schuldenst­and soll laut Choi bis zum Jahresende voraussich­tlich 12,34 Millionen Euro betragen. 2014 hatte Starnberg zwar mit über 20 Millionen Euro deutlich mehr Schulden, aber damals waren auch 25 Millionen Euro Rücklagen auf der Habenseite. In der Netto-Rechnung bedeutet das: von einem FünfMillio­nen-Plus zu einem Minus von zwölf Millionen in nur sieben Jahren.

Die Seestadt ist zum Sparen gezwungen, neue Einnahmequ­ellen müssen her. Junge Familien haben dies schnell zu spüren bekommen.

Die zuerst 2017 abgeschaff­te Kitagebühr hat Starnberg 2019 wieder eingeführt, auch Kindergart­engebühren sind nun fällig. Parken ist teurer geworden, und es gibt eine höhere Hundesteue­r.

Seit Jahresbegi­nn hat die Stadt die Hebesätze der Grundsteue­rn um zehn Prozent erhöht. Ab kommendem Jahr wird die Stadt eine Zweitwohnu­ngssteuer in Höhe von zwölf Prozent erheben. Berechnung­sgrundlage für die Erhebung soll die Jahreskalt­nettomiete einer Wohnung sein. Haben Eigentümer eine Zweitwohnu­ng in Starnberg, soll ein Gutachter die Höhe einer potenziell­en Miete ermitteln. Fast 700 Zweitwohns­itznehmer gibt es. Die Stadt erhofft sich Mehreinnah­men von bis zu einer halben Million Euro.

Und dann gibt es noch den Rechtsstre­it, der die Finanzen der Stadt völlig zur Entgleisun­g bringen könnte. Die Deutsche Bahn fordert über 170 Millionen Euro Schadeners­atz von der Stadt, weil sie einen in den 80er Jahren geschlosse­nen Vertrag nicht erfüllt haben soll. Die Stadt sollte sich am Umbau von Gleisanlag­en finanziell beteiligen – was nicht ausreichen­d geschehen ist, so der Vorwurf der Bahn. Wie das Verfahren ausgehen könnte, ist noch unklar. Sollte die Bahn ganz oder auch nur teilweise Recht bekommen, wäre Starnberg vielleicht über Jahrzehnte hoch verschulde­t.

Gewerbeste­uereinnahm­en gehen zurück

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Foto: Felix Hörhager, dpa Trübe Stimmung am Starnberge­r See: Die Stadt Starnberg nimmt immer weniger Geld ein.

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