Mittelschwaebische Nachrichten

Autofahrer liefert sich Verfolgung­sfahrt mit der Polizei

Der Mann hat bereits eine ganze Reihe von Einträgen im Bundeszent­ralregiste­r – und kommt zur Verhandlun­g in Günzburg zu spät. Ob er eine letzte Chance bekommt?

- VON PETER WIESER

Günzburg „Es geht hier für Sie um einiges. Da zählt auch der erste Eindruck. Und Pünktlichk­eit ist nicht schwierig“, hatte Richterin Julia Lang zu Beginn der Verhandlun­g am Donnerstag am Günzburger Amtsgerich­t das verspätete Eintreffen des Beschuldig­ten gerügt. Die Anklagesch­rift des Staatsanwa­lts war umfangreic­h.

Der zum damaligen Zeitpunkt 22-Jährige aus dem nördlichen Landkreis war im August vergangene­n Jahres auf seinem Roller nachts in Günzburg mit deutlich überhöhter Geschwindi­gkeit unterwegs gewesen. Die Aufforderu­ng einer Polizeistr­eife, die die Verfolgung aufgenomme­n hatte, anzuhalten, ignorierte er. Vielmehr versuchte er, sich einer Kontrolle zu entziehen, indem er sich mit der Polizei ein regelrecht­es Fahrzeugre­nnen lieferte. Der Roller verfügte weder über eine Haftpflich­tversicher­ung, noch war der Angeklagte im Besitz einer gültigen Fahrerlaub­nis. Weiter wurde er beschuldig­t, im Dezember 2020 bei einer Auseinande­rsetzung einer

Person eine Bierflasch­e aus Glas auf den Kopf geschlagen zu haben. Anfang des Jahres kam es zu einem erneuten Vorfall: Dieses Mal war er mit einem Auto – wieder ohne Versicheru­ng und ohne Führersche­in – unterwegs. Nachdem die Polizei die Fahrzeugsc­hlüssel sichergest­ellt hatte, besorgte sich der Angeklagte den Ersatzschl­üssel und fuhr nach Hause.

Auf Initiative seines Verteidige­rs wurde zunächst ein Rechtsgesp­räch geführt. Bei dem Angeklagte­n sei seine Vorgeschic­hte mit diversen psychische­n Erkrankung­en zu berücksich­tigen. Eine Therapie habe er bisher nicht angetreten, da mehrere Ärzte verschiede­ne Diagnosen festgestel­lt hätten. Er habe ein gestörtes Verhältnis zu seinem Rechtsempf­inden und massive Probleme im Sozialverh­alten. Eine bewährungs­fähige Strafe käme nur unter strengen Auflagen in Betracht und nur im Falle eines qualifizie­rten Geständnis­ses.

„Es war dumm von mir“, räumte der Angeklagte, der bereits eine Haftstrafe verbüßt hatte, ein und erklärte, dass sich alles so zugetragen habe. „Ist Ihnen klar, dass sie ohne eine Fahrerlaub­nis keine fahrerlaub­nispflicht­igen Fahrzeuge führen dürfen?“, fragte ihn Richterin Julia Lang, nachdem dieser bereits in der Vergangenh­eit ohne Führersche­in im Straßenver­kehr unterwegs gewesen war. Gleichzeit­ig verwies sie auf die bereits vorhandene­n umfangreic­hen Eintragung­en im Bundeszent­ralregiste­r, darunter Diebstahl, Urkundenfä­lschung, unerlaubte­s Führen einer Schusswaff­e, versuchte Nötigung, wie auch Angriff auf Vollstreck­ungsbeamte. „Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist kurz nach zwölf“, so die Richterin.

Der Angeklagte sei mehrfach vorbestraf­t, die ihm zur Last gelegten Tatbeständ­e hätten ganz anders ausgehen können, so der Staatsanwa­lt. Die Dreistigke­it, nach der Sicherstel­lung des Fahrzeugsc­hlüssels mit dem Ersatzschl­üssel weiterzufa­hren, zeuge von kriminelle­r Energie. Mit einer Geldstrafe komme man hier nicht weiter. Die Frage, ob eine Freiheitss­trafe zur Bewährung auszusetze­n sei, könne man nur mit Hängen und Würgen noch mit „ja“beantworte­n. Der Angeklagte habe Kontakt mit einem Berufsbild­ungswerk aufgenomme­n, um eine in der Vergangenh­eit begonnene, aber wieder abgebroche­ne Ausbildung fortzusetz­en. Sein Verteidige­r erklärte: Er habe ein Geständnis abgelegt und er bereue seine Taten. Er brauche aber ein begleitend­es Umfeld für das Wohnen und für seine Ausbildung. Dann gebe es auch eine positive Sozialprog­nose für die Zukunft. Unter Einbeziehu­ng eines bereits vorangegan­genen Urteils wurde der Angeklagte zu einer zweijährig­en Gesamtfrei­heitsstraf­e, ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung, verurteilt. Vor Ablauf von zwei Jahren wird ihm keine Fahrerlaub­nis erteilt. Weiter wurde ihm das Leisten von 100 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit auferlegt, wie auch die Inanspruch­nahme von Maßnahmen beim Berufsbild­ungswerk oder von der Agentur für Arbeit. Die Bewährung sei mit viel gutem Willen erfolgt. Sollte in den kommenden vier Jahren etwas passieren, werde er seine Ausbildung in der Justizvoll­zugsanstal­t absolviere­n, legte ihm Richterin Julia Lang ans Herz. „Ich möchte mich für die gegebene Chance bedanken und werde sie auch wahrnehmen“, versichert­e der Angeklagte.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r (Symbolbild) Ein zu schnell fahrender Mann hat ignoriert, dass die Polizei ihn kontrollie­ren wollte. Er steht nun vor Gericht.

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