Mittelschwaebische Nachrichten
Der Wahlkampf der Egoisten
Sechs Wochen vor der Wahl steigt die Nervosität in allen Parteien. Sie sollen den Interessen des Landes dienen – und denken zuerst doch nur an sich
Wer dieser Tage mit Freunden oder Bekannten aus dem Ausland über die deutsche Politik spricht, wird auf erstaunte Reaktionen stoßen. Der Wirbel, den der Wahlkampf hierzulande entfacht, ist für Franzosen oder Skandinavier schwer nachvollziehbar. Deutschland steht ja nicht vor einem Rechtsruck. Ob nun Annalena Baerbock, Armin Laschet oder Olaf Scholz samt ihren Parteien Grüne, Union und SPD dem Land vorstehen, macht große Unterschiede. Keine Frage. Aber niemand bewegt sich außerhalb des demokratischen Spektrums. In anderen Ländern wären sie froh, hätten sie überhaupt mehr als einen Kandidaten. Deutschland hingegen kann wirklich (aus)wählen. Wozu also die Aufregung?
Wenn sich Spitzenpolitiker wie CSU-Chef Markus Söder Sorgen um den Wahlkampf des UnionsKanzlerkandidaten Armin Laschet machen, dann ist das aus ihrer Sicht zunächst richtig und erwartbar. Parteien wollen etwas bewegen, dazu müssen sie an der Regierungsmacht beteiligt sein, denn Opposition ist bekanntlich Mist, um einmal mehr den SPD-Politiker Franz Müntefering zu zitieren.
Söder und Co. tun dabei aber so, als ob eine Niederlage ihrer Union den Untergang des Landes nach sich ziehen würde. Das ist verantwortungslos. Denn Volksvertreter und Volksvertreterinnen sind dem Wohl des Landes und seiner Menschen verpflichtet. Und dazu gehört, dass die innerparteiliche Auseinandersetzung hart, aber nicht bis aufs Messer geführt wird. Irgendwann muss auch mal gut sein, Wahlkampf hin oder her. Das gilt für die ewigen Sticheleien Söders gegen Laschet ebenso wie für die Kritik an Annalena Baerbock wegen ihrer Zitierfehler.
Wahlkampf braucht den Streit. Die Parteien müssen sich darstellen, Profil zeigen. Das Wahlvolk will wissen, wem es seine Stimme gibt. Wenn aber Politikerinnen und Politiker das Klein-Klein und die Show wichtiger nehmen als die Interessen des Landes, dann wenden sich die Menschen ab. Bei 25 Prozent liegt laut Meinungsforschungsinstitut Forsa die Zahl der Wählerinnen und Wähler, die noch unentschlossen sind oder gar nicht wählen wollen. Sie haben keine Lust mehr, fühlen sich nicht angesprochen – was sich ja auch in der seit Jahren sinkenden Wahlbeteiligung widerspiegelt. Ein weiteres Zehntel wählt zwar, hat sich aus Frust über das Establishment aber extremen Parteien zugewendet.
Der Egoismus des politischen Spitzenpersonals hat leider auch dazu geführt, dass über eine Minderheitsregierung im Bund nicht geredet wird. In skandinavischen Ländern kommen solche Regierungen ohne absolute Mehrheit im
Parlament durchaus vor. In der Bundesrepublik dagegen war eine Minderheitsregierung nach den gescheiterten Jamaikaverhandlungen im Anschluss an die letzte Bundestagswahl keine Option. Es gibt viele Argumente für und gegen eine Minderheitsregierung, aber dass die Ich-Bezogenheit der großen Parteien in Kombination mit dem aktuellen Wahlkampfalarm eine derartige Option in der Debatte nicht zulässt, ist undemokratisch.
Am Samstag will sich Angela Merkel in den Wahlkampf einschalten. Man muss ihren Auftritt beim Unions-Termin im Berliner Tempodrom nicht überhöhen, natürlich dient er dazu, den Kandidaten Laschet zu pushen. Aber Merkel könnte es gelingen, mit ihrer abgeklärten Art vielleicht zumindest ein wenig Ruhe in die aufgeheizte Stimmung zu bringen. Eine Ruhe, die auf die anderen Parteien abstrahlt und von der am Ende alle profitieren. Denn etwas mehr Gelassenheit in der nun beginnenden heißen Wahlkampfphase, sechs Wochen vor dem Wahltermin, ist dringend angebracht.
Merkel springt Laschet zur Seite