Mittelschwaebische Nachrichten

Der Wahlkampf der Egoisten

Sechs Wochen vor der Wahl steigt die Nervosität in allen Parteien. Sie sollen den Interessen des Landes dienen – und denken zuerst doch nur an sich

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Wer dieser Tage mit Freunden oder Bekannten aus dem Ausland über die deutsche Politik spricht, wird auf erstaunte Reaktionen stoßen. Der Wirbel, den der Wahlkampf hierzuland­e entfacht, ist für Franzosen oder Skandinavi­er schwer nachvollzi­ehbar. Deutschlan­d steht ja nicht vor einem Rechtsruck. Ob nun Annalena Baerbock, Armin Laschet oder Olaf Scholz samt ihren Parteien Grüne, Union und SPD dem Land vorstehen, macht große Unterschie­de. Keine Frage. Aber niemand bewegt sich außerhalb des demokratis­chen Spektrums. In anderen Ländern wären sie froh, hätten sie überhaupt mehr als einen Kandidaten. Deutschlan­d hingegen kann wirklich (aus)wählen. Wozu also die Aufregung?

Wenn sich Spitzenpol­itiker wie CSU-Chef Markus Söder Sorgen um den Wahlkampf des UnionsKanz­lerkandida­ten Armin Laschet machen, dann ist das aus ihrer Sicht zunächst richtig und erwartbar. Parteien wollen etwas bewegen, dazu müssen sie an der Regierungs­macht beteiligt sein, denn Opposition ist bekanntlic­h Mist, um einmal mehr den SPD-Politiker Franz Münteferin­g zu zitieren.

Söder und Co. tun dabei aber so, als ob eine Niederlage ihrer Union den Untergang des Landes nach sich ziehen würde. Das ist verantwort­ungslos. Denn Volksvertr­eter und Volksvertr­eterinnen sind dem Wohl des Landes und seiner Menschen verpflicht­et. Und dazu gehört, dass die innerparte­iliche Auseinande­rsetzung hart, aber nicht bis aufs Messer geführt wird. Irgendwann muss auch mal gut sein, Wahlkampf hin oder her. Das gilt für die ewigen Sticheleie­n Söders gegen Laschet ebenso wie für die Kritik an Annalena Baerbock wegen ihrer Zitierfehl­er.

Wahlkampf braucht den Streit. Die Parteien müssen sich darstellen, Profil zeigen. Das Wahlvolk will wissen, wem es seine Stimme gibt. Wenn aber Politikeri­nnen und Politiker das Klein-Klein und die Show wichtiger nehmen als die Interessen des Landes, dann wenden sich die Menschen ab. Bei 25 Prozent liegt laut Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa die Zahl der Wählerinne­n und Wähler, die noch unentschlo­ssen sind oder gar nicht wählen wollen. Sie haben keine Lust mehr, fühlen sich nicht angesproch­en – was sich ja auch in der seit Jahren sinkenden Wahlbeteil­igung widerspieg­elt. Ein weiteres Zehntel wählt zwar, hat sich aus Frust über das Establishm­ent aber extremen Parteien zugewendet.

Der Egoismus des politische­n Spitzenper­sonals hat leider auch dazu geführt, dass über eine Minderheit­sregierung im Bund nicht geredet wird. In skandinavi­schen Ländern kommen solche Regierunge­n ohne absolute Mehrheit im

Parlament durchaus vor. In der Bundesrepu­blik dagegen war eine Minderheit­sregierung nach den gescheiter­ten Jamaikaver­handlungen im Anschluss an die letzte Bundestags­wahl keine Option. Es gibt viele Argumente für und gegen eine Minderheit­sregierung, aber dass die Ich-Bezogenhei­t der großen Parteien in Kombinatio­n mit dem aktuellen Wahlkampfa­larm eine derartige Option in der Debatte nicht zulässt, ist undemokrat­isch.

Am Samstag will sich Angela Merkel in den Wahlkampf einschalte­n. Man muss ihren Auftritt beim Unions-Termin im Berliner Tempodrom nicht überhöhen, natürlich dient er dazu, den Kandidaten Laschet zu pushen. Aber Merkel könnte es gelingen, mit ihrer abgeklärte­n Art vielleicht zumindest ein wenig Ruhe in die aufgeheizt­e Stimmung zu bringen. Eine Ruhe, die auf die anderen Parteien abstrahlt und von der am Ende alle profitiere­n. Denn etwas mehr Gelassenhe­it in der nun beginnende­n heißen Wahlkampfp­hase, sechs Wochen vor dem Wahltermin, ist dringend angebracht.

Merkel springt Laschet zur Seite

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