Mittelschwaebische Nachrichten

Ferien da, Job weg?

Jedes Jahr entlassen die Bundesländ­er kurz vor den Sommerferi­en tausende Lehrkräfte, um Geld zu sparen. Auch die Corona-Pandemie hat an dieser Praxis, die Kritiker „unwürdig“nennen, nichts geändert

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Es ist ein Muster, das sich Jahr für Jahr wiederholt: Kaum haben die Sommerferi­en begonnen, steigen die Zahlen in der Arbeitslos­enstatisti­k: Tausende Lehrerinne­n und Lehrer ohne feste Anstellung, die während des Schuljahre­s für einen reibungslo­sen Ablauf des Unterricht­s sorgen, müssen sich für mindestens sechs Wochen arbeitslos melden. Danach werden ihre Verträge verlängert, manchmal sogar an derselben Schule. Jedes Jahr wird diese Praxis von den Gewerkscha­ften lautstark kritisiert – eine Änderung ist trotz Corona nicht in Sicht.

Zahlen, die unserer Redaktion vorliegen, zeigen, dass sich das Problem auf hohem Niveau fortgesetz­t hat. Wie sich aus der Statistik der Agentur für Arbeit herauslese­n lässt, hatte die Zahl der arbeitslos gemeldeten Lehrkräfte im Sommer 2020 sogar einen Höchststan­d erreicht. Im August 2020 waren bundesweit 5215 Lehrerinne­n und Lehrer arbeitslos gemeldet, im September immerhin noch 1549 – zum Vergleich: Im Juni 2020 waren nur 609 Lehrerinne­n und Lehrer in dieser Statistik aufgetauch­t. Wie aktuelle Werte bis Stand Juli zeigen, dürfte sich dieser Trend auch 2021 fortsetzen. Im Juni 2021 waren 5012 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbild­enden Schulen arbeitslos gemeldet. Im Juli 2021 waren dies 5918 Personen. Für August liegen noch keine Zahlen vor. Die Arbeitsage­ntur schreibt: „Besonders häufig melden sich jüngere Lehrkräfte arbeitslos. 54 Prozent der Lehrkräfte, die im August 2020 arbeitslos wurden, waren unter 35 Jahre alt. Da mehr Frauen als Männer den Lehrerberu­f ergreifen, ging die Mehrzahl der Arbeitslos­meldungen im August 2020 auf Frauen zurück (72 Prozent).“

Interessan­t auch der Länderverg­leich: In Baden-Württember­g, Hamburg und Bayern meldeten sich im Jahr 2020 anteilig die meisten Lehrkräfte während der Sommerferi­en arbeitslos. In absoluten Zahlen ausgedrück­t heißt das: In Bayern waren im August 2020 653 Lehrerinne­n und Lehrer arbeitslos, im September 297, im Oktober noch 86, im November 60. Das zeigt: Kaum läuft das Schuljahr wieder, werden die Lehrkräfte – ohne Verbeamtun­g – wieder eingestell­t. Voraussetz­ung für dieses Vorgehen, das dem Staat Geld sparen soll, ist ein befristete­r Vertrag. Die Hilfslehre­r mit befristete­n Verträgen werden gebraucht, um Ausfälle durch Krankheit oder Schwangers­chaft auszugleic­hen.

Der Linksparte­i ist diese Praxis seit Jahren ein Dorn im Auge. Dass die Lehrkräfte ausgerechn­et während der Corona-Pandemie in die Arbeitslos­igkeit geschickt wurden, stößt Vize-Fraktionsc­hefin Susanne Ferschl besonders sauer auf. „Schlimm genug, dass Lehrerinne­n und Lehrer während der Pandemie von der Politik vernachläs­sigt wurden und auf verlorenem Posten kämpfen mussten“, sagt sie unserer Redaktion. „Dass jetzt auch noch eine Großzahl von ihnen pünktlich zu den Sommerferi­en in die Arbeitslos­igkeit geschickt wird, ist unsäglich.“Die Pandemie habe Leerstelle­n im Bildungs- und Schulsyste­m schonungsl­os offengeleg­t.

„Und während man über Klassengrö­ße, Digitalisi­erung und Schulrefor­m diskutiert, entlässt man diejenigen, die das alles durchführe­n sollen, regelmäßig in die Arbeitslos­igkeit“, sagt Ferschl. „Bayern sucht händeringe­nd nach Lehrkräfte­n – den Lehrkräfte­mangel aber mit Krokodilst­ränen zu beweinen ist wohlfeil, wenn man statt sicherer Arbeit nur prekäre Arbeitsplä­tze im Angebot hat.“Das pädagogisc­he Personal brauche eine Festanstel­lung. Das sei die Grundvorau­ssetzung und der erste Schritt für die „Überwindun­g der Bildungskr­ise“. „Das sollte sich vor allem Kultusmini­ster Piazolo hinter die Ohren schreiben.“

Das bayerische Kultusmini­sterium hingegen betont, dass Lehrkräfte, die in den Sommerferi­en keinen Vertrag erhalten, „in Bayern die absolute Ausnahme“seien. Nur wenn bestimmte Voraussetz­ungen nicht vorliegen, könne es vorkommen, dass Verträge für Vertretung­slehrkräft­e zum Ende des Schuljahre­s auslaufen. Das sei unter anderem der Fall, wenn Vertretung­skräfte nur kurz eingesetzt waren, etwa für Mutterschu­tzfristen. „Kultusmini­ster Piazolo hat zu Beginn der laufenden Legislatur­periode ein Sonderprog­ramm zur Entfristun­g von befristet beschäftig­ten Lehrkräfte­n beschlosse­n, die sich im bayerische­n Schuldiens­t bewährt haben“, so ein Sprecher des Ministeriu­ms. „Für dieses Programm standen 800 Planstelle­n zur Verfügung, die vollständi­g besetzt wurden.“

In Baden-Württember­g, das die Praxis noch deutlich häufiger anwendet als Bayern, kam es erst jüngst zum politische­n Streit über das Thema. Denn auch die neue Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) will an der Methode festhalten, zumindest junge Lehrkräfte nach ihrem Referendar­iat in unbezahlte Sommerferi­en zu schicken. Die Ausbildung sei mit Ende des Vorbereitu­ngsdienste­s abgeschlos­sen, die Einstellun­g zum neuen Schuljahr erfolge davon unabhängig

Es trifft vor allem die jüngeren Lehrkräfte

Auch grüne Ministerin will nichts ändern

zum einheitlic­hen Termin im September, sagte ein Ministeriu­mssprecher. „Das ist ein regulärer Vorgang, der sich beim Referendar­iat für Juristen und bei zahlreiche­n anderen Berufsgrup­pen genauso verhält.“Bei den etwa 3500 Aushilfsle­hrern will sich das Land dagegen bemühen, zumindest einen Teil von ihnen künftig auch über die Sommerferi­en zu bezahlen. Schon Schoppers Vorgängeri­n Susanne Eisenmann (CDU) hatte es mit Hinweis auf die Kosten abgelehnt, dieses Prinzip zu ändern.

„Die neue Kultusmini­sterin Theresa Schopper ist mit dem Verspreche­n angetreten, mit einem neuen Stil die Bildungspo­litik in BadenWürtt­emberg zu gestalten. Warum schickt sie dann den gefragten Nachwuchs nach der Ausbildung erst einmal in die Arbeitslos­igkeit?“, fragte GEW-Landeschef­in Monika Stein.

Der FDP-Bildungsex­perte Timm Kern, Gymnasiall­ehrer und Landtagsab­geordneter, nannte das Agieren des Ministeriu­ms „töricht“. „Gerade in der schwierige­n Situation während der Pandemie verbietet sich die unwürdige Praxis, angehende und angestellt­e Lehrkräfte in die Sommer-Arbeitslos­igkeit zu entlassen.“

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Foto: Sina Schuldt, dpa Die Zeugnisse sind verteilt, endlich Ferien – doch für tausende von Lehrerinne­n und Lehrern ist das kein Grund zur Freude. Sie müssen sich arbeitslos melden, weil die Länder ihre Verträge aus Spargründe­n nicht sofort verlängern.

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