Mittelschwaebische Nachrichten
Wie Varta die Batterie der Zukunft baut
Zukunft & Innovation Kabellose Haushaltsgeräte, Werkzeuge, vor allem aber das E-Auto sind auf leistungsfähige und langlebige Akkus angewiesen. Eine neue Generation davon kommt aus Nördlingen und Ellwangen
Nördlingen Bald werden die Maschinen einziehen, erste Geräte stehen bereits verpackt im Erdgeschoss. Läuft man mit Herbert Schein, dem Vorstandschef von Varta, durch das neue Gebäude, bekommt man einen Eindruck davon, wie die Räume bald mit Leben gefüllt sein werden. Noch gibt es viele leere Flächen, große Fenster lassen helles Tageslicht hereinfallen und öffnen den Blick weit in das Ries hinaus. Varta ist in Nördlingen in den vergangenen Jahren rasant gewachsen, nun ist ein Neubau hinzugekommen, der auf zwei Ebenen jeweils 7500 Quadratmeter Produktionsfläche bietet. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Unternehmen besucht, kürzlich kam Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Rund 200 Millionen kleine Lithium-IonenBatterien kann Varta bisher im Jahr in Nördlingen produzieren, die neuen Flächen bieten die Infrastruktur, um daraus bis zu 400 Millionen im Jahr zu machen. Produziert werden könnte hier auch eine Neuentwicklung, auf die man bei Varta mehr als stolz ist. Die neue Batterie könnte die E-Mobilität voranbringen und zeigt, wohin die Fahrt in der Batterietechnik geht.
Der Batterie-Boom hat seine Ursache vor allem in einer Entwicklung: dem Ende des Kabels. „Das, was wir schon seit einiger Zeit bei Kopfhörern sehen – dass kaum mehr kabelgebundene Geräte gekauft werden –, wird sich in allen Bereichen durchsetzen“, sagt VartaChef Schein. „Denken Sie an Werkzeuge, an Gartengeräte.“Die Batterie werde damit zur strategischen Komponente. Sie bestimme Form, Größe und die Leistungsfähigkeit des Gerätes. Dies gilt erst recht für die Elektromobilität: „Rund 40 Prozent der Wertschöpfung eines E-Autos steckt in der Batterie“, sagt Schein. „Die Hersteller werden sich künftig über die Batterie unterscheiden können“, ist er überzeugt. Wie lange hält sie? Wie schnell kann sie Energie aufnehmen? Wie viel Energie kann sie aufnehmen? Diese Fragen werden für Daimler, VW, BMW & Co. entscheidend sein.
Tourismus, Einzelhandel, Veranstalter – die Corona-Krise hat viele Branchen hart getroffen. Wenn aber etwas in der Krise boomte, waren es die Batteriehersteller: Der Absatz von Lithium-Ionen-Batterien in Deutschland hat im Corona-Jahr 2020 um satte 63 Prozent zugelegt, berichtet der Elektroverband ZVEI. „Batterien zählen zu den Schlüsseltechnologien der Zukunft“, sagte kürzlich ZVEI-Fachmann Christian Eckert. Die Batterie sei maßgeblich, um die EU-Klimaschutzziele zu erreichen – vor allem im Verkehrssektor und bei der Speicherung der erneuerbaren Energien. Kein Klimaschutz, keine Elektromobilität also ohne zuverlässige Batterien.
Bei Varta ist man deshalb entschlossen, die Leistungsfähigkeit der Batterien zu erhöhen. Vor allem auf einer Neuentwicklung ruhen große Hoffnungen.
Rund, mit einer silbernen Hülle, 7 Zentimeter hoch, 21 Millimeter im Durchmesser. Die neue Batteriezelaus dem Hause Varta, die Schein in der Hand hält, sieht von außen unscheinbar aus – wie eine größere Haushaltsbatterie. Doch sie hat es offenbar in sich: „Sie kann in sechs Minuten voll geladen werden, in drei Minuten bereits zu 80 Prozent“, sagt Varta-Chef Schein. Bei vielen Elektrogeräten ist das ein Vorteil. Fantasie kommt erst recht auf, wenn man an die Elektromobilität denkt. Nicht ohne Grund hat Varta die Neuentwicklung V4Drive genannt. Bei derart geringen Ladezeiten wären E-Auto-Interessierte viele Sorgen los. „Der limitierende Faktor ist nicht mehr die Batterie, sondern die Ladesäule“, sagt Schein. Die neue Batterie könne zudem besonders schnell Strom abgeben. „Es kommt mehr Power ins Auto“, sagt Schein. Zudem werde sie während des Ladens und Entladens weniger heiß – keine 35 Grad, wenn man sie in 6 Minuten volllädt. Das verlängere die Lebensdauer. Wer ein E-Auto kauft, will schließlich nicht, dass die Batterie nach wenigen Jahren an Kraft verliert.
Für die V4Drive ist das Unternehmen im Gespräch mit Interessenten. Kürzlich war berichtet worden, dass Porsche ein Kunde sein wird. „Das Interesse an der V4Drive ist sehr groß“, berichtet Schein. „Im Herbst werden wir entscheiden, wie groß die Fabrik für die Serienproduktion sein wird. Ein Standort könnte auch Nördlingen sein.“
Der Wiederaufstieg von Varta in den letzten Jahren ist eng mit Herbert Schein verbunden. Varta ging es nicht immer gut. Nach einem Verkauf war das Unternehmen Anfang der 2000er Jahre zerschlagen worden. Schein baute in Ellwangen und Nördlingen den Bereich für Mikrobatterien aus, die unter anderem in Hörgeräten oder Kopfhörern eingesetzt werden. Der 56-Jährige stammt ganz aus der Nähe, von einem landwirtschaftlichen Anwesen in Munningen, wo er heute mit seiner Familie wohnt. Sein Arbeitstag, sagt er, endet, wenn er zufrieden nach Hause gehen kann. Varta beliefert heute renommierte Hersteller wie den Tech-Giganten Apple. Abgespaltene Bereiche wie die Haushaltsbatterien konnte Schein zurück ins Unternehmen holen. Vartas Umsatz kletterte im ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 1,8 Prozent auf 397,6 Millionen Euro, der Gewinn legte um zehn Prozent zu. Im zweiten Halbjahr erwartet Varta mehr Schwung. Varta dringt mit der V4Drive nun in den Bereich größerer Lithium-Ionen-Batterien vor. Und auch die Stückzahlen sollen steigen.
Es zischt leise, ein dezentes Klacken und Klicken erfüllt den Raum. Die Produktion der Batterien findet in Reinräumen statt. Besucher ziehen sich Schutzhüllen über die Schuhe. Wer genau hinsieht, erkennt, wie in den Maschinen dünne Metallbänder in großer Geschwinle digkeit aufgerollt werden – wie früher das Tonband in einer Kassette. Es sind Anode und Kathode der Batterie, Plus- und Minuspol. Beides wird in ein Gehäuse gelegt, eine Elektrolytflüssigkeit kommt hinzu, dann der Deckel. In einem 300-Millionen-Euro-Projekt der EU sammelt Varta Erfahrungen mit der industriellen Produktion von neuen und größeren Batterieformaten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überwachen die Maschinen, greifen bei Fehlern ein, auch manuelle Arbeit gibt es noch. Rund 900 Beschäftigte
zählt der Standort. Simon Ziegler ist der Produktionsleiter. Da derzeit die neuen Maschinen für den Erweiterungsbau kommen, hat er alle Hände voll zu tun. „Es ist eine einmalige Chance, dabei zu sein, wenn derart viel Neues entsteht“, sagt er. Bis zum Ende des kommenden Jahres wird Varta knapp eine Milliarde Euro in den Standort investiert haben.
Das Ende der Fahnenstange ist in der Batterietechnologie nicht erreicht, ist Herbert Schein überzeugt. Auch wenn Forscherinnen und Forscher – auch bei Varta – an Feststoffbatterien und anderen Technologien arbeiten, denkt er, dass die Lithium-Ionen-Batterie in den nächsten zehn Jahren das Maß sein wird und noch viel Raum für Verbesserungen bietet. „Im Jahr 2019 haben wir gesagt, dass wir in fünf Jahren die Energiedichte der kleinen Lithium-Ionen-Batterien um 50 Prozent erhöhen wollen“, sagt Schein. „30 Prozent haben wir bereits erreicht und bis Ende nächsten Jahres werden wir sie nochmals um 20 Prozent verbessern.“Das muss es noch nicht gewesen sein: „Wir werden die Energiedichte kontinuierlich weiter erhöhen“, sagt der Varta-Chef. Alle Komponenten der Batterie ließen sich verbessern. Beispielsweise indem statt Kobalt nickelreiche Materialien in der Kathode verwendet werden.
Dies alles sind Fakten, die Technikerinnen und Techniker begeistern. Die meisten Menschen dürfte nur interessieren, ob ihr Hörgerät länger läuft oder E-Autos weiter fahren. „Ich würde sagen, dass in zwei bis drei Jahren bei den E-Autos Reichweiten von 600 bis 800 Kilometern Standard sein werden“, sagte kürzlich Batterieforscher Maximilian Fichtner unserer Redaktion.
In der Fabrik sind die Batterien inzwischen eine Station weitergelangt. Kleine Greifer packen die neuen Batterien, jede wird mit einem Code versehen. Jetzt ist individuell nachverfolgbar, wo und wann sie hergestellt worden ist.
Aber sind die Rohstoffe für die Batteriefertigung nicht begrenzt? Werden sie nicht unter umweltschädlichen Bedingungen abgebaut? Bei Varta hält man die Probleme bereits teilweise für gelöst. Der Einsatz von Kobalt in den Produkten habe sich um 80 Prozent verringert, Lithium stehe in großer Menge zur Verfügung. Die Zukunft sieht man vor allem im Recycling: „Gerade in der E-Mobilität sind Batterien am Ende ihrer Lebensdauer leicht einzusammeln“, ist Schein überzeugt. „Die Zukunft wird es sein, die Batterien komplett zu recyceln und die Rohstoffe dem Kreislauf wieder zuzuführen.“
Derzeit entstehen in Deutschland mehrere Fabriken für Batterien und Zellen. Die Autohersteller wie VW und Daimler haben Pläne für Produktionsstätten, auch ausländische Produzenten wie der chinesische Hersteller CATL investieren hierzulande. Varta will an der Zellherstellung in Deutschland auf alle Fälle festhalten: „Für Varta ist klar: Wir produzieren unsere Zellen in Deutschland“, sagt Schein. „Das ist ein klares Bekenntnis zum Standort, aber auch eine strategische Entscheidung, denn wir dürfen die Schlüsseltechnologie der Batterieforschung und -produktion nicht dem asiatischen Markt allein überlassen.“
Zum Schluss wird jede Batterie aus Nördlingen einmal geladen und entladen. Damit erwacht sie zum Leben, bevor sie das Werk verlässt.
Indes forscht Varta schon an der Batterie von morgen. Die nächste Generation der V4Drive, verrät Schein, soll eine nochmals 20 Prozent höhere Energiedichte besitzen, der Durchmesser wächst auf bis zu 48 Millimeter. Für noch mehr Power. ⓘ
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Produktion soll in Deutschland bleiben