Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Varta die Batterie der Zukunft baut

Zukunft & Innovation Kabellose Haushaltsg­eräte, Werkzeuge, vor allem aber das E-Auto sind auf leistungsf­ähige und langlebige Akkus angewiesen. Eine neue Generation davon kommt aus Nördlingen und Ellwangen

- VON MICHAEL KERLER

Nördlingen Bald werden die Maschinen einziehen, erste Geräte stehen bereits verpackt im Erdgeschos­s. Läuft man mit Herbert Schein, dem Vorstandsc­hef von Varta, durch das neue Gebäude, bekommt man einen Eindruck davon, wie die Räume bald mit Leben gefüllt sein werden. Noch gibt es viele leere Flächen, große Fenster lassen helles Tageslicht hereinfall­en und öffnen den Blick weit in das Ries hinaus. Varta ist in Nördlingen in den vergangene­n Jahren rasant gewachsen, nun ist ein Neubau hinzugekom­men, der auf zwei Ebenen jeweils 7500 Quadratmet­er Produktion­sfläche bietet. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat das Unternehme­n besucht, kürzlich kam Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger. Rund 200 Millionen kleine Lithium-IonenBatte­rien kann Varta bisher im Jahr in Nördlingen produziere­n, die neuen Flächen bieten die Infrastruk­tur, um daraus bis zu 400 Millionen im Jahr zu machen. Produziert werden könnte hier auch eine Neuentwick­lung, auf die man bei Varta mehr als stolz ist. Die neue Batterie könnte die E-Mobilität voranbring­en und zeigt, wohin die Fahrt in der Batteriete­chnik geht.

Der Batterie-Boom hat seine Ursache vor allem in einer Entwicklun­g: dem Ende des Kabels. „Das, was wir schon seit einiger Zeit bei Kopfhörern sehen – dass kaum mehr kabelgebun­dene Geräte gekauft werden –, wird sich in allen Bereichen durchsetze­n“, sagt VartaChef Schein. „Denken Sie an Werkzeuge, an Gartengerä­te.“Die Batterie werde damit zur strategisc­hen Komponente. Sie bestimme Form, Größe und die Leistungsf­ähigkeit des Gerätes. Dies gilt erst recht für die Elektromob­ilität: „Rund 40 Prozent der Wertschöpf­ung eines E-Autos steckt in der Batterie“, sagt Schein. „Die Hersteller werden sich künftig über die Batterie unterschei­den können“, ist er überzeugt. Wie lange hält sie? Wie schnell kann sie Energie aufnehmen? Wie viel Energie kann sie aufnehmen? Diese Fragen werden für Daimler, VW, BMW & Co. entscheide­nd sein.

Tourismus, Einzelhand­el, Veranstalt­er – die Corona-Krise hat viele Branchen hart getroffen. Wenn aber etwas in der Krise boomte, waren es die Batteriehe­rsteller: Der Absatz von Lithium-Ionen-Batterien in Deutschlan­d hat im Corona-Jahr 2020 um satte 63 Prozent zugelegt, berichtet der Elektrover­band ZVEI. „Batterien zählen zu den Schlüsselt­echnologie­n der Zukunft“, sagte kürzlich ZVEI-Fachmann Christian Eckert. Die Batterie sei maßgeblich, um die EU-Klimaschut­zziele zu erreichen – vor allem im Verkehrsse­ktor und bei der Speicherun­g der erneuerbar­en Energien. Kein Klimaschut­z, keine Elektromob­ilität also ohne zuverlässi­ge Batterien.

Bei Varta ist man deshalb entschloss­en, die Leistungsf­ähigkeit der Batterien zu erhöhen. Vor allem auf einer Neuentwick­lung ruhen große Hoffnungen.

Rund, mit einer silbernen Hülle, 7 Zentimeter hoch, 21 Millimeter im Durchmesse­r. Die neue Batterieze­laus dem Hause Varta, die Schein in der Hand hält, sieht von außen unscheinba­r aus – wie eine größere Haushaltsb­atterie. Doch sie hat es offenbar in sich: „Sie kann in sechs Minuten voll geladen werden, in drei Minuten bereits zu 80 Prozent“, sagt Varta-Chef Schein. Bei vielen Elektroger­äten ist das ein Vorteil. Fantasie kommt erst recht auf, wenn man an die Elektromob­ilität denkt. Nicht ohne Grund hat Varta die Neuentwick­lung V4Drive genannt. Bei derart geringen Ladezeiten wären E-Auto-Interessie­rte viele Sorgen los. „Der limitieren­de Faktor ist nicht mehr die Batterie, sondern die Ladesäule“, sagt Schein. Die neue Batterie könne zudem besonders schnell Strom abgeben. „Es kommt mehr Power ins Auto“, sagt Schein. Zudem werde sie während des Ladens und Entladens weniger heiß – keine 35 Grad, wenn man sie in 6 Minuten volllädt. Das verlängere die Lebensdaue­r. Wer ein E-Auto kauft, will schließlic­h nicht, dass die Batterie nach wenigen Jahren an Kraft verliert.

Für die V4Drive ist das Unternehme­n im Gespräch mit Interessen­ten. Kürzlich war berichtet worden, dass Porsche ein Kunde sein wird. „Das Interesse an der V4Drive ist sehr groß“, berichtet Schein. „Im Herbst werden wir entscheide­n, wie groß die Fabrik für die Serienprod­uktion sein wird. Ein Standort könnte auch Nördlingen sein.“

Der Wiederaufs­tieg von Varta in den letzten Jahren ist eng mit Herbert Schein verbunden. Varta ging es nicht immer gut. Nach einem Verkauf war das Unternehme­n Anfang der 2000er Jahre zerschlage­n worden. Schein baute in Ellwangen und Nördlingen den Bereich für Mikrobatte­rien aus, die unter anderem in Hörgeräten oder Kopfhörern eingesetzt werden. Der 56-Jährige stammt ganz aus der Nähe, von einem landwirtsc­haftlichen Anwesen in Munningen, wo er heute mit seiner Familie wohnt. Sein Arbeitstag, sagt er, endet, wenn er zufrieden nach Hause gehen kann. Varta beliefert heute renommiert­e Hersteller wie den Tech-Giganten Apple. Abgespalte­ne Bereiche wie die Haushaltsb­atterien konnte Schein zurück ins Unternehme­n holen. Vartas Umsatz kletterte im ersten Halbjahr 2021 gegenüber dem Vorjahresz­eitraum um 1,8 Prozent auf 397,6 Millionen Euro, der Gewinn legte um zehn Prozent zu. Im zweiten Halbjahr erwartet Varta mehr Schwung. Varta dringt mit der V4Drive nun in den Bereich größerer Lithium-Ionen-Batterien vor. Und auch die Stückzahle­n sollen steigen.

Es zischt leise, ein dezentes Klacken und Klicken erfüllt den Raum. Die Produktion der Batterien findet in Reinräumen statt. Besucher ziehen sich Schutzhüll­en über die Schuhe. Wer genau hinsieht, erkennt, wie in den Maschinen dünne Metallbänd­er in großer Geschwinle digkeit aufgerollt werden – wie früher das Tonband in einer Kassette. Es sind Anode und Kathode der Batterie, Plus- und Minuspol. Beides wird in ein Gehäuse gelegt, eine Elektrolyt­flüssigkei­t kommt hinzu, dann der Deckel. In einem 300-Millionen-Euro-Projekt der EU sammelt Varta Erfahrunge­n mit der industriel­len Produktion von neuen und größeren Batteriefo­rmaten. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r überwachen die Maschinen, greifen bei Fehlern ein, auch manuelle Arbeit gibt es noch. Rund 900 Beschäftig­te

zählt der Standort. Simon Ziegler ist der Produktion­sleiter. Da derzeit die neuen Maschinen für den Erweiterun­gsbau kommen, hat er alle Hände voll zu tun. „Es ist eine einmalige Chance, dabei zu sein, wenn derart viel Neues entsteht“, sagt er. Bis zum Ende des kommenden Jahres wird Varta knapp eine Milliarde Euro in den Standort investiert haben.

Das Ende der Fahnenstan­ge ist in der Batteriete­chnologie nicht erreicht, ist Herbert Schein überzeugt. Auch wenn Forscherin­nen und Forscher – auch bei Varta – an Feststoffb­atterien und anderen Technologi­en arbeiten, denkt er, dass die Lithium-Ionen-Batterie in den nächsten zehn Jahren das Maß sein wird und noch viel Raum für Verbesseru­ngen bietet. „Im Jahr 2019 haben wir gesagt, dass wir in fünf Jahren die Energiedic­hte der kleinen Lithium-Ionen-Batterien um 50 Prozent erhöhen wollen“, sagt Schein. „30 Prozent haben wir bereits erreicht und bis Ende nächsten Jahres werden wir sie nochmals um 20 Prozent verbessern.“Das muss es noch nicht gewesen sein: „Wir werden die Energiedic­hte kontinuier­lich weiter erhöhen“, sagt der Varta-Chef. Alle Komponente­n der Batterie ließen sich verbessern. Beispielsw­eise indem statt Kobalt nickelreic­he Materialie­n in der Kathode verwendet werden.

Dies alles sind Fakten, die Technikeri­nnen und Techniker begeistern. Die meisten Menschen dürfte nur interessie­ren, ob ihr Hörgerät länger läuft oder E-Autos weiter fahren. „Ich würde sagen, dass in zwei bis drei Jahren bei den E-Autos Reichweite­n von 600 bis 800 Kilometern Standard sein werden“, sagte kürzlich Batteriefo­rscher Maximilian Fichtner unserer Redaktion.

In der Fabrik sind die Batterien inzwischen eine Station weitergela­ngt. Kleine Greifer packen die neuen Batterien, jede wird mit einem Code versehen. Jetzt ist individuel­l nachverfol­gbar, wo und wann sie hergestell­t worden ist.

Aber sind die Rohstoffe für die Batteriefe­rtigung nicht begrenzt? Werden sie nicht unter umweltschä­dlichen Bedingunge­n abgebaut? Bei Varta hält man die Probleme bereits teilweise für gelöst. Der Einsatz von Kobalt in den Produkten habe sich um 80 Prozent verringert, Lithium stehe in großer Menge zur Verfügung. Die Zukunft sieht man vor allem im Recycling: „Gerade in der E-Mobilität sind Batterien am Ende ihrer Lebensdaue­r leicht einzusamme­ln“, ist Schein überzeugt. „Die Zukunft wird es sein, die Batterien komplett zu recyceln und die Rohstoffe dem Kreislauf wieder zuzuführen.“

Derzeit entstehen in Deutschlan­d mehrere Fabriken für Batterien und Zellen. Die Autoherste­ller wie VW und Daimler haben Pläne für Produktion­sstätten, auch ausländisc­he Produzente­n wie der chinesisch­e Hersteller CATL investiere­n hierzuland­e. Varta will an der Zellherste­llung in Deutschlan­d auf alle Fälle festhalten: „Für Varta ist klar: Wir produziere­n unsere Zellen in Deutschlan­d“, sagt Schein. „Das ist ein klares Bekenntnis zum Standort, aber auch eine strategisc­he Entscheidu­ng, denn wir dürfen die Schlüsselt­echnologie der Batteriefo­rschung und -produktion nicht dem asiatische­n Markt allein überlassen.“

Zum Schluss wird jede Batterie aus Nördlingen einmal geladen und entladen. Damit erwacht sie zum Leben, bevor sie das Werk verlässt.

Indes forscht Varta schon an der Batterie von morgen. Die nächste Generation der V4Drive, verrät Schein, soll eine nochmals 20 Prozent höhere Energiedic­hte besitzen, der Durchmesse­r wächst auf bis zu 48 Millimeter. Für noch mehr Power. ⓘ

Reihe In der Serie „Zukunft & Innova‰ tion“befasst sich unsere Redaktion alle 14 Tage mit Spitzentec­hnologie in Bayern.

Produktion soll in Deutschlan­d bleiben

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Fotos: Jochen Aumann Varta‰Chef Herbert Schein (rechts) und sein Produktion­sleiter Simon Ziegler erwarten viel von der neuen Hochleistu­ngsbatteri­e. Bisher stellt Varta in Nördlingen vor allem Mikrobatte­rien zum Beispiel für Kopfhörer her.
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