Mittelschwaebische Nachrichten
Die neue Lust am Jagen und Fischen
Naturschutz Die gesellschaftliche Akzeptanz schwindet zwar, aber es gibt auch eine Gegenbewegung: Immer mehr Menschen entdecken ihre Leidenschaft für eine aktive Betätigung in der Natur. Corona hat diesen Trend noch verstärkt
München/Aretsried Es wird Abend über dem Buschelberg direkt hinter Aretsried. Ein Fasan treibt sich gockelnd auf einem Feldweg rum. Ein einsamer Feldhase wagt sich auf der Suche nach Kräutern am Waldrand aus der Deckung. Nur der Rehbock, auf den es Hans Fürst, 73, abgesehen hat, lässt sich nicht blicken. Doch den erfahrenen Jäger, der so oft es geht in seinem Revier in den Westlichen Wäldern im Landkreis Augsburg unterwegs ist, stört das nicht. Er hat Geduld. Er kann warten. Und ohnehin geht es ihm nicht in erster Linie um Beute. „Die Jagd“, so sagt er, „ist nicht einfach ein Hobby. Es ist eine Passion.“Darüber muss er jetzt öfter reden als früher, weil es längst nicht mehr selbstverständlich ist.
Vieles hat sich geändert für die Männer und Frauen, die in grüner Kluft mit Fernglas und Gewehr dort unterwegs sind, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. Seit Jahren schon diskutieren Verbandsfunktionäre darüber, wie sie auf Vorurteile und Kritik in der Gesellschaft reagieren sollen. Sie sehen sich mit „einer rasant fortschreitenden Naturentfremdung einer immer stärker urbanisierten Bevölkerung konfrontiert“, wie es in einem Grundsatzpapier des Deutschen Jagdverbandes heißt. Doch es gibt eine Gegenbewegung: Immer mehr Menschen wollen den Jagdschein machen.
Nach Angaben des Bayerischen Jagdverbandes (BJV) ist die Zahl der Anmeldungen zum Jagdkurs seit dem Jahr 2011 von 1551 auf 2369 im Jahr 2019 gestiegen. Zeitgleich stieg der Anteil der Frauen unter den Neulingen von zehn auf 30 Prozent. Und noch etwas ist neu: Auch immer mehr Menschen, die aus der Stadt kommen und keine familiäre Beziehung zur Jagd haben, zieht es auf die Pirsch.
Bei den Anglern ist es nicht viel anders. Auch hier ging die Zahl der Anmeldungen zur Fischerprüfung deutlich nach oben. „Fischen – so beliebt wie nie“, meldet der Landesfischereiverband (LfV) in seinem jüngsten Jahresbericht. Dabei kam, wie LfV-Sprecher Thomas Funke sagt, zum Wunsch nach einer erholsamen Betätigung in freier Natur noch ein Faktor hinzu: Die Fischerei ließ sich auch während des härtesten Lockdowns ohne jede Einschränkung ausüben.
starken Andrang erlebt seit Beginn der Corona-Krise auch der Fischereiverein Augsburg. Zwar sei die Mitgliederentwicklung „nicht spektakulär“gewesen, wie der Vorsitzende Peter Steinle sagt. Das Kontingent an Gastkarten aber sei schneller verbraucht gewesen als in den Jahren zuvor. Und dass nicht nur in Wald und Flur, sondern auch am Wasser die Frauen auf dem Vormarsch sind, bestätigt Gerhard Wurm vom „Schulungsteam Fischerkurs“, das in ganz Schwaben den Nachwuchs schult: „Der Frauenanteil steigt stetig. Er liegt jetzt bei zehn bis 15 Prozent.“
Offenbar kommen bei Fischerei und Jagd aktuell zwei Entwicklungen zusammen. „Das beherrschende Motiv der Leute, die zur Jagd wollen, ist das wachsende Interesse an der Natur, das durch Corona noch verstärkt wurde“, sagt BJV-Präsident Ernst Weidenbusch. Nur noch etwa 35 bis 40 Prozent der Neulinge, so schätzt er, hätten einen Jäger in der Familie. Und von den angehenden Jägerinnen und Jägern, die ihren Kurs in der Verbandszentrale in Feldkirchen bei München machen, kämen mittlerweile 75 Prozent aus der Großstadt.
„Es ist auch ein bisschen chic geworden, fast eine Modeerscheinung“, sagt Christine WeinzierlSeidl, 42, aus Unterholz bei Irschenberg, seit 2003 Jägerin und seit einigen Jahren Mitglied im Jagdprüfungsausschuss ihrer Region. Sie freut sich besonders über das wachsende Interesse der Frauen. „Die Männerbastion Jagd ist schon erklommen.“
Hans Fürst, der auch Vorsitzender der Jägervereinigung Augsburg, Bayerns ältestem Jagdverein, ist, macht ähnliche Beobachtungen. Zwar kann er in seinem Beritt keinen steigenden Frauenanteil erkennen. „Der ist im Raum Augsburg immer schon höher als in Bayern insgesamt“, sagt er. Aber die Motive, das Jägerhandwerk lernen zu wollen, seien die gleichen wie überall. Neben Förstern, die den JagdEinen schein aus beruflichen Gründen machen, kämen in der Mehrheit „Leute, die sagen, sie wollen über die Natur mehr mitreden können“. Hinzu komme bei vielen ein wachsendes Interesse an gesunden Lebensmitteln. „Die Sache mit dem Essen gewinnt an Bedeutung“, sagt Fürst.
Wer das Wild selbst schießt, so bestätigt sein Schüler Ricardo Dan, 33, „der hat zu seinem Essen auch gleich einen ganz anderen Bezug“. Der junge Mann, der aus dem Erzgebirge nach Augsburg gezogen ist und hier gerade den Jagdschein gemacht hat, ist schon mit seinem Großvater zur Jagd gegangen. „Welpenprägung“nennt er das. Seine Entscheidung, Jäger zu werden, sei von seinen Bekannten und Arbeitskollegen sehr unterschiedlich aufgenommen worden. „Das gesellschaftliche Echo ist gespalten“, sagt Dan. Es reiche von Respekt und Bewunderung bis zu dem Vorwurf, Jäger seien „gedungene Mörder“.
Auch Fürst erlebt diese Spaltung. „Die Akzeptanz der Jagd auf dem
Land ist relativ gut“, sagt er, „aber insgesamt hat es sich eher verschlechtert“. Das liege auch daran, sagt Dan, dass viele Leute nicht mehr wüssten, worum es bei der Jagd eigentlich geht. In einen seiner Kurse, so berichtet Fürst, habe sich vorletztes Jahr ein 80-Jähriger eingeschrieben. „Er wollte gar nicht zur Jagd gehen, er wollte nur alles lernen. Er hat die Prüfung im ersten Anlauf bestanden und jetzt geht er doch zur Jagd, weil er sagt: Jagd ist sinnvoll.“
Auf dem Ansitz am Buschelberg wird klar, warum. „Schauen Sie sich um“, sagt Fürst. „Die Natur, wie wir sie hier sehen, ist keine ursprüngliche Natur. Wir als Gesellschaft haben die Natur verändert.“Um diese Kulturlandschaft und ihren Artenreichtum zu erhalten und zu fördern, müsse die Jagd für Ausgleich sorgen. Zum Beispiel bei Wildschweinen. Früher habe es sie in den Westlichen Wäldern gar nicht gegeben. Mittlerweile würden, um die Population zum Schutz der Landwirtschaft klein zu halten, pro Jahr 2500 Stück geschossen. Ein anderes Beispiel sei der Waldumbau, der durch die Klimakrise immer drängender werde. „Rehe sind Feinschmecker. Sie lieben die Spitzen junger Bäume. Ohne die Jagd auf Rehwild wäre der Waldumbau viel schwieriger“, sagt Fürst.
Doch auch das Nicht-Schießen vermittelt Fürst dem Jägernachwuchs. Wenn im September der neue Kurs beginnt, werden die angehenden Jägerinnen und Jäger gleich zu Beginn lernen, dass die Jagd auf Hase und Fasan in den Revieren hier tabu ist. Zu klein sind die Bestände, zu wertvoll sind diese Tiere hier für die Artenvielfalt.
Mit dem Rehbock, den Fürst an diesem Abend gern geschossen hätte, ist das anders. Erst kurz vor der Dunkelheit – im „letzten Büchsenlicht“, wie die Jäger sagen – tauchen auf der Wiese vor dem Wald zwei Böcke auf. Fürst ist irritiert: „Der schwächere Bock treibt den stärkeren vor sich her. Das ist ungewöhnlich.“Der Jäger beobachtet. Er denkt nach. Und er schießt nicht. Zumindest heute nicht.
Fischen konnte man sogar im härtesten Lockdown