Mittelschwaebische Nachrichten
Die alte Wunde reißt wieder auf
Unglück Elf Jahre nach dem Beben mit 220 000 Toten erzittert in Haiti erneut die Erde. Die Folgen von damals sind noch nicht beseitigt. Und es droht noch eine Naturgewalt
SaintLouisduSud Es ist Samstagmorgen, als die Erde in Haiti erzittert. Wieder einmal. Ein junger Mann hält den Moment in einem Video fest. Später taucht es im Internet auf. Aufgeregt erzählt eine Stimme inmitten von Staubwolken und durch die Naturgewalt zerstörten Gebäuden, was geschehen ist, während andere Menschen erschrocken auf die Straße laufen.
Die US-Behörde USGS gibt die Stärke des Erdbebens mit 7,2 an. Die Zahl der Opfer liegt am Sonntagabend deutscher Zeit bei mehr als 300. Bei vielen teils starken Nachbeben verbrachten zahlreiche Menschen nach Berichten in sozialen Medien die Nacht auf Sonntag im Freien.
Schnell kommen in Haiti Erinnerungen an eine frühere Katastrophe hoch. „Die Gefühle vom 12. Januar 2010 sind wieder da und jagen uns“, schreibt der Botschafter Haitis in den USA, Bocchit Edmond, auf Twitter. „Naturkatastrophen verfolgen Haiti weiter.“Katastrophen gibt es viele in dem Karibikstaat, auch politisch ist die Lage äußerst angespannt – erst Anfang Juli war Staatspräsident Jovenel Moïse in seiner Residenz ermordet worden. Und die Narben des verheerenden Erdbebens von 2010 mit mehr als 220 000 Todesopfern sind noch vielerorts sichtbar. Mehr als eine Million Menschen verloren ihr Zuhause.
Die Region im Süden Haitis, in der das Zentrum des neuen Bebens liegt, wurde zudem bereits 2016 von Hurrikan Matthew schwer getroffen – mehr als 500 Menschen starben damals. Jetzt gibt es nach Zahlen von Haitis Zivilschutzbehörde neben mindestens 724 Toten mehr als 2800 Verletzte. Rettungskräfte und Bürger hätten zahlreiche Menschen aus den Trümmern geborgen. Bilder zeigen eingestürzte Wohnhäuser, Hotels, Schulen, Kirchen. Menschen seien darunter begraben, berichtete ein Augenzeuge aus Les Cayes, einer der größten Städte des Landes, dem Online-Portal Haiti Press Network. Mehrere Kinder wurden demzufolge in einer Kirche getötet, als eine Taufe abgehalten wurde. Bewohner des Departments Nippes, in dem das Epizentrum des
Bebens lag, sendeten einen verzweifelten SOS-Ruf an die Behörden, weil die Krankenhäuser überlastet sind.
Mehr als fünfzig Ärzte des allgemeinen Krankenhauses in Port-auPrince machten sich auf den Weg, um medizinische Hilfe zu leisten.
Nicht nur, dass dem Internationalen Roten Kreuz zufolge auch Krankenhäuser beschädigt wurden – der Zugang zum Süden ist durch gewalttätige Banden abgeschnitten, die in der Hauptstadt um Kontrolle über Gebiete kämpfen. Das ganze Ausmaß der Zerstörung wird sich wohl erst im Laufe der Bergungsarbeiten in den nächsten Tagen zeigen. „Eins ist ganz klar, wir befinden uns inmitten einer humanitären Notlage“, sagte Leila Bourahla, Landesdirektorin der Kinderhilfsorganisation Save the Children in Haiti.
Schon naht auch das nächste Ungemach: Tropensturm Grace ist in
Richtung Haiti unterwegs. „Er könnte die gleichen Gegenden treffen, die vom Erdbeben getroffen wurden“, warnte das Internationale Rote Kreuz, das bei Such- und Rettungsarbeiten in der besonders betroffenen Region im Einsatz ist.
Das Beben war diesmal mit 7,2 noch etwas stärker als der Vorgänger von 2010, der mit 7,0 gemessen wurde. Das Zentrum lag damals allerdings nahe der dicht besiedelten Hauptstadt Port-au-Prince. Die größte Stadt im am schlimmsten betroffenen Gebiet ist diesmal Les Cayes, 200 Kilometer entfernt, mit weniger als 100 000 Einwohnern.
Es ist, als laste ein Fluch auf Haiti. Das erste unabhängige Land der Karibik schlittert heute von einer Katastrophe in die nächste. „Es fühlt sich an, als hätten wir einfach nur Pech“, schrieb die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka, deren Vater aus Haiti stammt, bei Twitter. Sie kündigte an, ihr Preisgeld ihres nächsten Turniers für Hilfsarbeiten in Haiti zu spenden.
Mindestens 724 Menschen sind gestorben