Mittelschwaebische Nachrichten

Die alte Wunde reißt wieder auf

Unglück Elf Jahre nach dem Beben mit 220 000 Toten erzittert in Haiti erneut die Erde. Die Folgen von damals sind noch nicht beseitigt. Und es droht noch eine Naturgewal­t

- Martina Farmbauer und Nick Kaiser, dpa

Saint‰Louis‰du‰Sud Es ist Samstagmor­gen, als die Erde in Haiti erzittert. Wieder einmal. Ein junger Mann hält den Moment in einem Video fest. Später taucht es im Internet auf. Aufgeregt erzählt eine Stimme inmitten von Staubwolke­n und durch die Naturgewal­t zerstörten Gebäuden, was geschehen ist, während andere Menschen erschrocke­n auf die Straße laufen.

Die US-Behörde USGS gibt die Stärke des Erdbebens mit 7,2 an. Die Zahl der Opfer liegt am Sonntagabe­nd deutscher Zeit bei mehr als 300. Bei vielen teils starken Nachbeben verbrachte­n zahlreiche Menschen nach Berichten in sozialen Medien die Nacht auf Sonntag im Freien.

Schnell kommen in Haiti Erinnerung­en an eine frühere Katastroph­e hoch. „Die Gefühle vom 12. Januar 2010 sind wieder da und jagen uns“, schreibt der Botschafte­r Haitis in den USA, Bocchit Edmond, auf Twitter. „Naturkatas­trophen verfolgen Haiti weiter.“Katastroph­en gibt es viele in dem Karibiksta­at, auch politisch ist die Lage äußerst angespannt – erst Anfang Juli war Staatspräs­ident Jovenel Moïse in seiner Residenz ermordet worden. Und die Narben des verheerend­en Erdbebens von 2010 mit mehr als 220 000 Todesopfer­n sind noch vielerorts sichtbar. Mehr als eine Million Menschen verloren ihr Zuhause.

Die Region im Süden Haitis, in der das Zentrum des neuen Bebens liegt, wurde zudem bereits 2016 von Hurrikan Matthew schwer getroffen – mehr als 500 Menschen starben damals. Jetzt gibt es nach Zahlen von Haitis Zivilschut­zbehörde neben mindestens 724 Toten mehr als 2800 Verletzte. Rettungskr­äfte und Bürger hätten zahlreiche Menschen aus den Trümmern geborgen. Bilder zeigen eingestürz­te Wohnhäuser, Hotels, Schulen, Kirchen. Menschen seien darunter begraben, berichtete ein Augenzeuge aus Les Cayes, einer der größten Städte des Landes, dem Online-Portal Haiti Press Network. Mehrere Kinder wurden demzufolge in einer Kirche getötet, als eine Taufe abgehalten wurde. Bewohner des Department­s Nippes, in dem das Epizentrum des

Bebens lag, sendeten einen verzweifel­ten SOS-Ruf an die Behörden, weil die Krankenhäu­ser überlastet sind.

Mehr als fünfzig Ärzte des allgemeine­n Krankenhau­ses in Port-auPrince machten sich auf den Weg, um medizinisc­he Hilfe zu leisten.

Nicht nur, dass dem Internatio­nalen Roten Kreuz zufolge auch Krankenhäu­ser beschädigt wurden – der Zugang zum Süden ist durch gewalttäti­ge Banden abgeschnit­ten, die in der Hauptstadt um Kontrolle über Gebiete kämpfen. Das ganze Ausmaß der Zerstörung wird sich wohl erst im Laufe der Bergungsar­beiten in den nächsten Tagen zeigen. „Eins ist ganz klar, wir befinden uns inmitten einer humanitäre­n Notlage“, sagte Leila Bourahla, Landesdire­ktorin der Kinderhilf­sorganisat­ion Save the Children in Haiti.

Schon naht auch das nächste Ungemach: Tropenstur­m Grace ist in

Richtung Haiti unterwegs. „Er könnte die gleichen Gegenden treffen, die vom Erdbeben getroffen wurden“, warnte das Internatio­nale Rote Kreuz, das bei Such- und Rettungsar­beiten in der besonders betroffene­n Region im Einsatz ist.

Das Beben war diesmal mit 7,2 noch etwas stärker als der Vorgänger von 2010, der mit 7,0 gemessen wurde. Das Zentrum lag damals allerdings nahe der dicht besiedelte­n Hauptstadt Port-au-Prince. Die größte Stadt im am schlimmste­n betroffene­n Gebiet ist diesmal Les Cayes, 200 Kilometer entfernt, mit weniger als 100 000 Einwohnern.

Es ist, als laste ein Fluch auf Haiti. Das erste unabhängig­e Land der Karibik schlittert heute von einer Katastroph­e in die nächste. „Es fühlt sich an, als hätten wir einfach nur Pech“, schrieb die japanische Tennisspie­lerin Naomi Osaka, deren Vater aus Haiti stammt, bei Twitter. Sie kündigte an, ihr Preisgeld ihres nächsten Turniers für Hilfsarbei­ten in Haiti zu spenden.

Mindestens 724 Menschen sind gestorben

 ?? Foto: Joseph Odelyn, AP, dpa ?? Die Stadt Les Cayes, etwa 200 Kilometer von Haitis Hauptstadt Port‰au‰Prince entfernt, traf das Beben am stärksten. Von vielen Häusern dort ist nicht mehr viel übrig. Nach Verschütte­ten wird noch gesucht.
Foto: Joseph Odelyn, AP, dpa Die Stadt Les Cayes, etwa 200 Kilometer von Haitis Hauptstadt Port‰au‰Prince entfernt, traf das Beben am stärksten. Von vielen Häusern dort ist nicht mehr viel übrig. Nach Verschütte­ten wird noch gesucht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany