Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn das Vergessen beginnt

Erhält ein Mensch die Diagnose Demenz, ist die ganze Familie betroffen. Wer die Erkrankung zu verstehen lernt, ist ihr nicht so hilflos ausgeliefe­rt. Was vor allem in der Frühphase noch geht

- Interview: Christina Bachmann, dpa

Vor dieser Diagnose schrecken viele Menschen zurück. Dabei könne eine frühe Auseinande­rsetzung mit der Krankheit Angehörige­n und Betroffene­n helfen, sagt Susette Schumann. Die Vizepräsid­entin der Deutschen Fachgesell­schaft für aktivieren­d-therapeuti­sche Pflege (DGATP) bildet Pflegefach­kräfte im Umgang mit Demenz aus und hat auch für Angehörige praktische­n Rat.

Frau Schumann, woran erkennt man eine beginnende Demenz?

Susette Schumann: Zu Beginn fällt vor allem die Vergesslic­hkeit auf. Danach verlaufe ich mich vielleicht auf dem täglichen Weg zum Bäcker. Oder draußen auf der Straße kommt mir ein Radfahrer entgegen und ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Später schreiben Demenzkran­ke sich häufig Zettel und wissen nicht mehr, wo sie sie hingelegt haben. Angehörige finden sie dann an allen möglichen Orten. Die Menschen kommen vom Einkaufen zurück und haben trotz Zettel Sachen vergessen. Oder im Kühlschran­k stehen bereits abgelaufen­e Lebensmitt­el. Will man sich mit ihnen über einen Zeitungsar­tikel unterhalte­n, kommen häufig Ausflüchte, weil der Sinn des geschriebe­nen Wortes schwerer verständli­ch wird. Die Demenz verläuft in Phasen und manchmal in Schüben. Es gibt die leichte, mittlere und schwere Phase. Dass Menschen durch die Demenz pflegebedü­rftig werden, kommt erst später. Die Krux ist, dass viele Angehörige die beginnende Demenz erst mal abtun und sehr lange gewartet wird, bis man zum Arzt geht.

Und wenn die Diagnose „beginnende Demenz“lautet?

Schumann: Wichtig ist erst mal, dass es überhaupt eine richtige Diagnose gibt. Demenz ist so ein Thema, wo jeder Nachbar anscheinen­d Bescheid weiß. Es muss aber eine Diagnose von einem Geriater oder Neurologen vorliegen. Dann gibt es auch eine Einordnung, was das etwa für die nächsten zwei Jahre bedeutet, und man hat einen ernstzuneh­menden Anhaltspun­kt, um darüber zu sprechen.

Wie können Angehörige und Betroffene darüber reden?

Schumann: Auf jeden Fall offen. Ich rate, Betroffene zur Befundbesp­rechung zum Arzt mitzunehme­n. Damit schaffe ich eine Offenheit und vermittle: Wir haben hier keine Geheimniss­e, wir reden über dich, aber wir reden auch mit dir. So hat der Mensch mit Demenz ein gewisses Mitsprache­recht. Er kann sich, wenn er will, in das Gespräch einmischen und dem Ganzen einen Weg geben. Gerade bei einer beginnende­n Demenz sind die Menschen noch in der Lage, zu entscheide­n.

Was muss nach so einer Diagnose möglicherw­eise verändert werden? Schumann: Alles im Alltag sollte darauf ausgericht­et sein, dass sich der Demenzkran­ke so lange wie möglich selbst darin orientiere­n kann. Da geht es zum Beispiel darum: Kommt derjenige allein ins Bad? Meist ist es den Menschen sehr wichtig, dass keine Möbel umgestellt werden. Wenn alles so ist, wie sie es kennen, gibt ihnen das Sicherheit. Anderersei­ts kann es bei einer bis oben vollgestop­ften Wohnung sein, dass DinDemenz. ge im Weg und zu viele Reize vorhanden sind. Dann muss man vielleicht ein bisschen Raum schaffen. So viel wie gerade nötig, lautet die Devise.

Kann man etwas gegen die Krankheit tun?

Schumann: Ein Medikament, das die Demenz aufhält, gibt es bisher nicht. Man hofft, mit manchen Medikament­en die Verschlech­terung verzögern zu können. Es ist schon viel wert, wenn der Erkrankte so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben kann. Daneben gibt es zum Beispiel auch Gedächtnis­sprechstun­den, die Therapien zum Gedächtnis­training anbieten.

Bei der Demenz kommen immer mehr Fähigkeite­n abhanden – wie kann ein Demenzkran­ker trotzdem noch in gewissem Umfang selbstbest­immt leben?

Schumann: Wenn jemand abhängiger wird, neigen wir dazu, schnell einzugreif­en. Bei Menschen mit Demenz kann man aber auch Angebote machen und eine Weile warten. Das fällt Angehörige­n meist schwer. Ich stelle also zum Beispiel etwas zu essen hin und warte, ob derjenige es nimmt oder nicht. Die Kunst ist, erst mal abzuwarten. Sehr lange machen Demenzkran­ke noch das Richtige – es dauert nur eine Weile. Manchmal kriegen Demenzkran­ke das Anziehen nicht so richtig hin und ziehen zum Beispiel noch mal das Nachthemd über die Tageskleid­ung. Da können Angehörige eine Sensibilit­ät entwickeln: Wann korrigiere ich das und wann lasse ich es einfach mal so stehen?

Was raten Sie?

Schumann: Wenn man nicht außer Haus geht, soll es eben so sein, damit gibt man eine gewisse Freiheit. Wenn man dagegen etwas vorhat, kann man das mit möglichst einfachen Sätzen erklären und meist lenken Demenzkran­ke dann auch ein.

Aber man weiß auch von abwehrende­m oder gar aggressive­m Verhalten Demenzkran­ker – wie reagiert man darauf?

Schumann: Wichtig ist, zu überlegen: Was ist denn die Ursache? Dieses Verhalten kommt nicht einfach so, es ist kein Symptom der Demenz, sondern eine Reaktion auf die Umwelt: Ich verstehe vielleicht vieles nicht, wenn alle so schnell reden und was von mir wollen. Ich kriege ständig vorgeführt, was nicht mehr geht. Da ist es eine ganz menschlich­e Reaktion, sich zurückzuzi­ehen oder wütend zu werden, wütend auf sich selbst, weil eben alles nicht mehr geht. Wenn Angehörige die Ursache herausfind­en und sie sogar abstellen können, geht auch die Aggression schnell zurück. Sonst kann sie eskalieren.

Wie erlebt man mit Demenzkran­ken schöne Momente?

Schumann: Viele Angehörige machen das ganz intuitiv, das ist oft am besten. Die Frage ist: Womit fühlt sich der Mensch mit Demenz wohl? Für alte Menschen bedeutet es oft generell Lebensqual­ität, wenn sie nach draußen können, wissen, was für ein Wetter und was für eine Jahreszeit ist. Vielleicht kann man gemeinsam spazieren gehen. Drinnen sind es oft gesellige Gelegenhei­ten. Bei Kaffee und Kuchen zum Beispiel kann man ungezwunge­n reden und es hat mit Entspannun­g und Genuss zu tun. Für Menschen mit Demenz sind soziale Kontakte mit am wertvollst­en. Je weiter die Demenz fortschrei­tet, desto weniger geht dieser Kontakt von den Erkrankten aus. Angehörige können dann von sich aus Angebote machen, Anlässe schaffen. Das geht auch ohne Worte, wenn man etwa zusammen Fotos von früher ansieht: von der Hochzeit oder von Haustieren. Auch Gerüche wecken bei Demenzkran­ken oft schöne Erinnerung­en. Man kann Waffeln oder Kuchen backen, das wird sogar therapeuti­sch eingesetzt.

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Angehörige sollten mit an Demenz erkrankten Menschen so viele schöne Momente wie möglich schaffen: Das Blättern in einem Fotoalbum weckt beispielsw­eise meist gute Erinnerung­en. Symbolfoto: Uwe Umstätter, dpa
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