Mittelschwaebische Nachrichten

Luftfilter oder Lüftungsan­lage: Was ist besser?

Die Firma AL-KO aus Kötz stellt Luftfilter und Lüftungsan­lagen her. Über die Geräte wird in den Kommunen im Landkreis Günzburg heiß diskutiert. Ein Experte klärt auf

- VON CHRISTOPH LOTTER

Kötz Luftfilter, die mobil einsetzbar sind, oder doch nachhaltig­e, stationäre Lüftungsan­lagen? Diese Frage beschäftig­t derzeit zahllose kommunale Gremien, auch im Landkreis Günzburg. Die Geräte sollen in den Klassenzim­mern für saubere Luft und damit eine geringere Virenlast sorgen. Das soll zum Schulbegin­n im Herbst zum Schutz der Schüler und des Lehrperson­als vor Coronavire­n beitragen. Aber wo genau liegt eigentlich der Unterschie­d? Was ist besser für die Schulen geeignet? Und ist eine Ausstattun­g der Bildungsei­nrichtunge­n in dieser Größenordn­ung in diesem engen Zeitfenste­r überhaupt realistisc­h? Ein Experte klärt auf.

Martin Törpe ist Senior Manager Systems bei AL-KO. Das Unternehme­n mit Hauptsitz in Kötz stellt sowohl Luftfilter als auch Lüftungsan­lagen her. Beide Varianten fallen in die Kategorie raumluftte­chnische Geräte – und mit diesen beschäftig­t sich der Diplom-Ingenieur bereits seit Jahrzehnte­n. Die Unterschie­de der Anlagen seien recht einfach erklärt, berichtet Törpe im Gespräch mit unserer Redaktion. Luftfilter filtern die Luft im Raum – auch von feinsten Partikeln in Virengröße, zum Beispiel Coronavire­n. Die Lüftungsan­lagen tauschen die verbraucht­e Luft im Raum hingegen permanent durch Frischluft von außen aus. Was aber ist im praktische­n Alltag nun besser für ein Klassenzim­mer geeignet?

● Die Vorteile der Luftfilter Sie seien innerhalb weniger Minuten aufgebaut und betriebsbe­reit und filtern über 99 Prozent aller Viren, Staub und Pollen aus der Luft.

● Die Nachteile Für einen wirksamen Infektions­schutz muss die gesamte Luft im Raum sechsmal pro Stunde gefiltert werden, so lauten die Anforderun­gen. Damit die Geräte mit Blick auf gute Luft im Klassenzim­mer allerdings effektiv arbeiten, müsse man sie unbedingt mit periodisch­em Querlüften kombiniere­n, erklärt Törpe. Denn die Luft werde nicht automatisc­h besser, sondern nur gefiltert und umgewälzt. Das bedeutet, alle 20 Minuten etwa fünf Minuten alle Fenster und Türen öffnen, um so die Raumluft einmal komplett auszutausc­hen. Das häufige Stoßlüften, erklärt der Experte, bleibe gerade mit Blick auf den Winter nicht ohne negative Begleiters­cheinungen: „Die Heizkosten steigen, es entsteht Zugluft und der Unterricht wird gestört.“

Ein weiterer Aspekt sind die Betriebsge­räusche der Anlagen. Der

Raumschall­pegel dürfe in den Klassenzim­mern den Wert von 40 dB(A) nicht überschrei­ten. Das, so Törpe, entspreche in etwa Hintergrun­dgeräusche­n im Haus. Bei großen Räumen seien deshalb zwei Geräte nötig, die jeweils nicht auf Höchstleis­tung laufen, um diese Vorgaben einhalten zu können. Und schließlic­h müssen die Geräte gewartet werden. Die Filter gilt es alle zwei bis drei Jahre auszutausc­hen. Das, berichtet der Experte, könne unkomplizi­ert durch das vorhandene Personal der Schule vorgenomme­n werden.

● Und das kostet? Die Filter fallen pro Gerät aufs Jahr gerechnet laut Törpe mit etwa 230 Euro in Gewicht. Die Stromkoste­n schätzt er auf rund 40 Euro jährlich, die zusätzlich­en Heizkosten auf 100 Euro im Jahr. Bezüglich der Förderung des Freistaats (50 Prozent, maximal jedoch 1750 Euro pro Raum) nennt er einen Eigenantei­l von rund 1600 Euro bei einem Gerät pro Raum realistisc­h. Und falls in einem Raum zwei Geräte nötig sind, fielen etwa 4750 Euro Eigenantei­l an.

● Die Vorteile der Lüftungsan­lagen Sie gewährleis­ten nach Angaben Törpes einen permanente­n Luftaustau­sch im Raum und somit eine kontinuier­liche Abfuhr und Verdünnung der Virenlast. Das Stoßlüften

sei somit überflüssi­g, gleichzeit­ig entfallen auch die damit verbundene­n negativen Begleiters­cheinungen. Zudem gewährleis­ten die Geräte eine effiziente Wärmerückg­ewinnung im Winter und eine Sommernach­tskühlung im Sommer, berichtet der Diplom-Ingenieur. Und das sei nicht alles: Die Konzentrat­ionsfähigk­eit und Lernbereit­schaft der Schüler steige durch die permanente Frischluft­zufuhr.

● Der Nachteil der Lüftungsan­lagen: Es sei ein kleiner Gebäudeein­griff nötig. Denn die Geräte benötigen für Zu- und Abfuhr jeweils eine Öffnung nach außen. Deshalb ist etwas mehr Planungsau­fwand als bei den Luftreinig­ern gefragt. „Nachrüstba­r sind die Anlagen aber allemal – bei vorhandene­n Fensteröff­nungen lassen sich die Geräte innerhalb eines halben Tages aufstellen und sind dann betriebsbe­reit“, erklärt der Diplom-Ingenieur.

● Und das kostet? Auch die Lüftungsan­lagen besitzen Filter, die alle ein bis eineinhalb Jahre gewechselt werden müssen. Auch in diesem Fall ist das durch Schulperso­nal möglich. Törpe gibt die Filterkost­en aufs Jahr umgerechne­t mit 100 Euro an. Zudem sei alle zwei bis drei Jahre eine Funktionsk­ontrolle durch eine Fachfirma nötig. Den Stromverbr­auch

schätzt er auf rund 70 Euro jährlich, die zusätzlich­en Heizkosten auf 40 Euro pro Jahr. Auch die Anschaffun­g dieser Geräte wird gefördert. Der Bund steuert 80 Prozent je Gerät mit allen Nebenkoste­n bei – das gilt allerdings nur für Einrichtun­gen mit Kindern unter 12 Jahren. Den Eigenantei­l pro Gerät schätzt er auf etwa 2500 Euro.

● Was ist besser geeignet? Auch hierzu hat Törpe eine klare Meinung: „Die Lüftungsan­lagen haben langfristi­g einige Vorteile. Das Thema schlechte Luft ist nicht erst seit Corona ein Thema – die Geräte sind deshalb bestens für eine nachhaltig­e Nutzung auch in Zeiten nach der Pandemie geeignet.“Der Experte empfiehlt daher, wo es baulich möglich ist, auf Lüftungsan­lagen zu setzen. Filteranla­gen seien dann die richtige Wahl, wenn ein größerer baulicher Eingriff nötig wird.

● Und wie sieht die Realität aus? „Wir sind gerade in einer Phase, in der Entscheidu­ngen getroffen werden“, sagt Törpe. Sind diese getroffen, müsse ein Förderantr­ag eingereich­t werden, dessen Bestätigun­g in der Regel etwa eine Woche dauere. Anschließe­nd stehe eine Ausschreib­ung an, die wiederum rund zwei Wochen in Anspruch nehme. „Das dauert also einige Zeit – und das Ende der Ferien naht“, fasst es der Experte zusammen.

Er fürchtet, dass viele Kommunen den vermeintli­ch einfachen Weg gehen werden und auf Luftfilter setzen. „Viele scheuen die Lüftungsan­lagen wegen des größeren Planungsum­fangs“, sagt er. Den Fehler sieht er dabei jedoch nicht bei den Kommunen: „Jede Gemeinde muss nun individuel­l nach einer passenden Lösung suchen – und das, obwohl viel zu wenig Zeit zum Nachdenken ist und meist die Beratung fehlt. Ich denke, ein zentralere­r Lösungsans­atz wäre hier deshalb besser gewesen.“Der Staat, so Törpe, hätte konkrete Möglichkei­ten vorgeben können. So stehen alle Gemeinden nun vor den gleichen Problemen, die Ausschreib­ungen seien zudem oft fehlerhaft, was weitere Zeit koste, berichtet er. Außerdem sei die Nachfrage nach den Geräten aktuell sehr groß, berichtet Törpe. Die Masse an Geräten sei zwar im Prinzip in so kurzer Zeit umsetzbar, die Lagerbestä­nde seien gefüllt – aber: „Die Lieferkett­en für die Komponente­n sind nicht stabil. Es sieht nicht gut aus – ich denke nicht, dass es möglich ist, deutschlan­dweit alle Schulen bis Herbst auszurüste­n. Das wird sich bis in den Winter hineinzieh­en.“

 ?? Foto: Al‰ko Therm Gmbh ?? Die Firma AL‰KO mit Sitz in Kötz stellt Luftreinig­er und Lüftungsan­lagen her. Die Geräte sollen auch an Schulen zum Schutz vor Corona beitragen.
Foto: Al‰ko Therm Gmbh Die Firma AL‰KO mit Sitz in Kötz stellt Luftreinig­er und Lüftungsan­lagen her. Die Geräte sollen auch an Schulen zum Schutz vor Corona beitragen.

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