Mittelschwaebische Nachrichten
Als der Bomber der Nation noch Gerhard Müller war
Die Sammelleidenschaft von Rudolf Urban begann mit einem Klebealbum. Ein Bild zeigt den damals noch blutjungen Gerd Müller. Dessen Talent war schon 1964 in einem Spiel gegen den VfL Günzburg unverkennbar
Günzburg Wen die Sammelleidenschaft mal gepackt hat, den lässt sie nicht mehr los. Für den Günzburger Rudolf Urban fing alles mit einem Klebealbum für die Bundesliga-Saison 1965/66 an. Damals war noch keine Rede von selbstklebenden Stickern; man musste die Bilder der Fußballer mit Haushaltsklebstoff sauber ins Album pinnen. Gekauft hat Urban die Fotos der Fußballer im damaligen Schreibwarengeschäft Zeidler. „Keine Ahnung, was so ein Päckchen gekostet hat. Fünf Bildchen waren immer drin. Und die einen Fußballer gab es massenhaft, die anderen waren gesucht.“Weil das so war, existierte neben dem offiziellen Verkauf auch ein reger Tauschhandel, wie Urban sich erinnert. „Vor dem Laden standen immer Massen von Kindern und haben schon gewartet, bis man raus kam. Denn ohne Tauschen wären wir chancenlos gewesen, das Album fertig zu kriegen.“
Er hat’s geschafft. Und er hütet diesen Schatz bis heute. „Das ist mein ganzer Stolz, das hege und pflege ich“, sagt Urban über das Buch, das nach seiner Expertise derzeit einen Marktwert von 300 bis 400 Euro hat – aber natürlich unverkäuflich ist.
Erst vor wenigen Tagen hat der bekennende Fan des TSV 1860 München das bunte Album wieder mal in die Hände genommen und auf der Doppelseite des FC Bayern München aufgeschlagen. Es war ein trauriger Tag für den deutschen und den internationalen Fußball, denn an diesem 15. August 2021 starb Gerd Müller, der beste Torjäger aller Zeiten. In Urbans Album wird der damals noch blutjunge Angreifer aus Nördlingen korrekt als „Gerhard Müller“vorgestellt. Sein Foto hat sich Urban eine Zeit lang angeschaut und über den Fußball früherer Tage sinniert.
Eingefallen ist ihm dabei unter anderem eine Episode aus dem Jahr 1964. Damals, Anfang Mai war’s, bestritt der VfL Günzburg an einem Freitag vor 4500 Fans auf dem heimischen Sportplatz am Kugelfang ein Freundschaftsspiel gegen den TSV 1860 München (der Endstand lautete standesgemäß 2:10) und zwei Tage später ein Bezirksligaspiel beim TSV Nördlingen, das in ein 1:9-Desaster mündete. „Total unter die Räder gekommen“titelte die hinterher und vermerkte im Spielbericht, dass vier Treffer der Rieser auf das Konto von Müller gegangen waren. Dabei „war das eigentlich die beste Mannschaft, die der VfL Günzburg jemals hatte“berichtet Urban, der einige Jahre später beim VfR Günzburg kickte, aus dem 1995 der heutige FC Günzburg wurde.
Augenzeuge sei er zwar nicht gewesen, schildert der 68-Jährige. Aus Erzählungen weiß er aber, dass manche Zuschauer den für die Bewachung von Müller abgestellten Günzburger Manndecker regelrecht auslachten, weil dem Nördlinger im direkten Duell ebenso viele Tore gelungen waren wie zuvor Löwen-Legende Rudi Brunnenmeier, dem man das natürlich auch zugetraut hatte. Urban sagt dazu: „Und das war der beste Manndecker des Landkreises. Aber vom späteren Bomber der Nation konnte damals ja noch keine Rede sein, auch nicht davon, dass der Gerd Müller so eine Karriere macht.“
Übrigens betont Urban, der „schon ewig“Abonnent unserer Zeitung ist: „Ohne die
könnte ich das alles nicht machen, die Berichte sind meine Grundlage“. Fotos hat er teilweise aus privater Hand geschenkt bekommen, einiges mehr aus dem Nachlass des früheren Günzburger Fußballers Josef Morbach. „Wann immer mir was Interessantes unterkommt, hebe ich es auf.“