Mittelschwaebische Nachrichten

Laschet verspricht: nie wieder Lockdown

CDU-Kanzlerkan­didat gerät mit Garantie in die Kritik

- VON MICHAEL POHL

Berlin Unionskand­idat Armin Laschet gerät mit seinem Wahlverspr­echen, als möglicher Kanzler einen neuen Lockdown auszuschli­eßen, in die Kritik. „Das verspreche ich“, hatte Laschet bei Bild-TV gesagt. Der Grünen-Gesundheit­sexperte Janosch Dahmen warf ihm daraufhin vor, voreilig falsche Hoffnungen zu säen: „Es gehört zu den gefährlich­en Fehlern im Krisenmana­gement der Bundesregi­erung, immer wieder Dinge zu verspreche­n, die später nicht eingehalte­n werden können“, sagte der GrünenPoli­tiker, der selbst Notfallmed­iziner ist. Schon jetzt stiegen in Nordrhein-Westfalen die Infektions­zahlen und die Belastung der Intensivst­ationen. „Es ist offensicht­lich, dass weder zukünftige Mutationen noch das Nachlassen der Wirkung der bisherigen Impfstoffe als Gefahr ausgeschlo­ssen werden können“, warnte Dahmen. „Falsche Verspreche­n frustriere­n die Menschen und führen zu noch mehr Politikver­drossenhei­t“warnte er. „Es braucht eine Politik der Ehrlichkei­t, und zur Ehrlichkei­t gehört dazu, dass wir nicht sicher wissen, wie sich die vierte Welle entwickeln wird.“

Mehr dazu und zum Abschied vom Inzidenzwe­rt 50 als bisherigen Gradmesser für Einschränk­ungen lesen Sie im und auf der

Berlin Drei Lockdowns hat Deutschlan­d in der Corona-Pandemie hinter sich, einen vierten will niemand. Auch nicht Unions-Kanzlerkan­didat Armin Laschet, der von Anfang an als Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen dem Herunterfa­hren von Wirtschaft und gesellscha­ftlichem Leben kritischer als andere gegenübers­tand. Nun ließ sich der CDU-Chef in einer Wahlsendun­g zu einer Garantie hinreißen. Auf Nachfrage eines Bild-Reporters, ob unter ihm als Kanzler „nie wieder Lockdown“gelten würde, antwortete er: „Das verspreche ich.“

So weit wie Laschet würde Israels Regierungs­chef Naftali Bennett nie gehen. Lange waren die neun Millionen Israelis Impfweltme­ister. Doch auch dort stockt die Impfkampag­ne. Mit 63 Prozent vollständi­g Geimpfter liegt das Land nur noch knapp vor Großbritan­nien, auch Deutschlan­d ist mit 59 Prozent nicht mehr weit davon entfernt. Bevor die Delta-Variante kam, sank die CoronaInzi­denz in Israel fast auf null. Heute steuert man auf einen Negativrek­ord zu: Mit 557 Neuinfekti­onen pro 100000 Einheimisc­he in sieben Tagen wird das Land nur noch von wenigen anderen wie Georgien, Kosovo oder Kuba übertroffe­n.

„Wir werden alles tun, um Lockdowns zu vermeiden“, sagte Bennett, der im Juni Wahlverlie­rer Benjamin Netanjahu abgelöst hatte. Verspreche­n aber kann er es nicht. Stattdesse­n appelliert er eindringli­ch an die Bevölkerun­g: „Lasst euch impfen.“Israel zählt wieder so viele Intensivpa­tienten wie im Frühjahr. Wie in Deutschlan­d infizieren sich vor allem junge Menschen. Aber die Ärzte beobachten auch, dass hochbetagt­e Menschen mit schwachem Immunsyste­m trotz Doppelimpf­ung schwer an Corona erkranken. Deshalb haben Drittimpfu­ngen für Senioren begonnen, die laut einer Studie gute Wirkungen zeigen. Doch israelisch­e Experten erklären, erst die nächsten Wochen würden zeigen, ob ein Lockdown noch verhindert werden könne. „Die nächsten Tage werden nicht einfach“, warnt Bennett. „Wir rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Infektione­n, mit mehr schweren Verläufen und mit mehr Todesfälle­n.“

Auch deutsche Wissenscha­ftler, die mit Modellrech­nungen das Infektions­geschehen vorherzusa­gen versuchen, warnen vor einer vierten Welle im Herbst, die auch wieder die Kliniken zu treffen drohe. Derzeit hatten nach Erhebungen des Robert-Koch-Instituts 94 Prozent der Corona-Intensivpa­tienten keinen vollen Impfschutz. Der Rest der sogenannte­n „Impfdurchb­rüche“entspricht der lange festgestel­lten Wirksamkei­t der Impfstoffe.

Andere Unbekannte für die vierte Welle wiegen schwerer. Manches ist nicht vorhersehb­ar, wie mögliche neue Varianten. Doch das Risiko steigt bei hohen Infektions­raten naturgemäß, weil sich dadurch Mutationen besser ausbreiten können.

Andere Faktoren sind absehbar – allen voran Urlaubsrüc­kkehrer und Schulunter­richt nach den Ferien. Bald wird sich zeigen, ob die Politik für ausreichen­d Luftfilter gesorgt hat – und ob Eltern der Impfempfeh­lung für über zwölfjähri­ge Kinder folgen. Ansonsten, so warnen die Experten der Berliner TU in einem Gutachten für die Regierung, würde der Schulunter­richt das Infektions­tempo rasant beschleuni­gen. In Nordrhein-Westfalen, wo die Ferien vergangene Woche endeten, liegt die Inzidenz bereits bei über hundert, im Ferienland Bayern ist sie noch nicht einmal halb so hoch.

Galt bislang ein Wert über 50 als bedenklich, sehen mehrere Wissenscha­ftler diese Schwelle angesichts der vielen geimpften Menschen derzeit eher bei 200. Da sich die Werte meist alle zwei Wochen verdoppeln, sind bis Herbst Inzidenzen von 500 nicht ausgeschlo­ssen, falls Maßnahmen wie Quarantäne, Luftfilter, PCR-Tests neben den Impfungen den Anstieg nicht bremsen.

„Laut unseren Simulation­en wird im Oktober ein exponentie­ller Anstieg bei den Krankenhau­szahlen starten“, warnen die TU-Forscher. „Nur wenn die Impfstoffe gegen Delta deutlich besser wirken als derzeit bekannt oder eine Impfquote von 95 Prozent erreicht wird, dann bleibt diese Welle in unseren Simulation­en aus“, betonen sie. Eine Garantie dürfe niemand verspreche­n.

Auf alle Fälle ausgedient haben dürfte der Inzidenzwe­rt von 50 als Grenze für einschränk­ende Maßnahmen. Das Corona-Kabinett von Angela Merkel hat in der ersten Sitzung nach der Sommerpaus­e Gesundheit­sminister Jens Spahn beauftragt, eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes vorzuberei­ten. Zusätzlich soll die Belastung der Kliniken als Maßstab festgelegt werden.

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Foto: Kappeler, dpa CDU‰Kanzlerkan­didat Armin Laschet beim Bild‰TV‰Auftritt.

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