Mittelschwaebische Nachrichten
Laschet verspricht: nie wieder Lockdown
CDU-Kanzlerkandidat gerät mit Garantie in die Kritik
Berlin Unionskandidat Armin Laschet gerät mit seinem Wahlversprechen, als möglicher Kanzler einen neuen Lockdown auszuschließen, in die Kritik. „Das verspreche ich“, hatte Laschet bei Bild-TV gesagt. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen warf ihm daraufhin vor, voreilig falsche Hoffnungen zu säen: „Es gehört zu den gefährlichen Fehlern im Krisenmanagement der Bundesregierung, immer wieder Dinge zu versprechen, die später nicht eingehalten werden können“, sagte der GrünenPolitiker, der selbst Notfallmediziner ist. Schon jetzt stiegen in Nordrhein-Westfalen die Infektionszahlen und die Belastung der Intensivstationen. „Es ist offensichtlich, dass weder zukünftige Mutationen noch das Nachlassen der Wirkung der bisherigen Impfstoffe als Gefahr ausgeschlossen werden können“, warnte Dahmen. „Falsche Versprechen frustrieren die Menschen und führen zu noch mehr Politikverdrossenheit“warnte er. „Es braucht eine Politik der Ehrlichkeit, und zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass wir nicht sicher wissen, wie sich die vierte Welle entwickeln wird.“
Mehr dazu und zum Abschied vom Inzidenzwert 50 als bisherigen Gradmesser für Einschränkungen lesen Sie im und auf der
Berlin Drei Lockdowns hat Deutschland in der Corona-Pandemie hinter sich, einen vierten will niemand. Auch nicht Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet, der von Anfang an als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen dem Herunterfahren von Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben kritischer als andere gegenüberstand. Nun ließ sich der CDU-Chef in einer Wahlsendung zu einer Garantie hinreißen. Auf Nachfrage eines Bild-Reporters, ob unter ihm als Kanzler „nie wieder Lockdown“gelten würde, antwortete er: „Das verspreche ich.“
So weit wie Laschet würde Israels Regierungschef Naftali Bennett nie gehen. Lange waren die neun Millionen Israelis Impfweltmeister. Doch auch dort stockt die Impfkampagne. Mit 63 Prozent vollständig Geimpfter liegt das Land nur noch knapp vor Großbritannien, auch Deutschland ist mit 59 Prozent nicht mehr weit davon entfernt. Bevor die Delta-Variante kam, sank die CoronaInzidenz in Israel fast auf null. Heute steuert man auf einen Negativrekord zu: Mit 557 Neuinfektionen pro 100000 Einheimische in sieben Tagen wird das Land nur noch von wenigen anderen wie Georgien, Kosovo oder Kuba übertroffen.
„Wir werden alles tun, um Lockdowns zu vermeiden“, sagte Bennett, der im Juni Wahlverlierer Benjamin Netanjahu abgelöst hatte. Versprechen aber kann er es nicht. Stattdessen appelliert er eindringlich an die Bevölkerung: „Lasst euch impfen.“Israel zählt wieder so viele Intensivpatienten wie im Frühjahr. Wie in Deutschland infizieren sich vor allem junge Menschen. Aber die Ärzte beobachten auch, dass hochbetagte Menschen mit schwachem Immunsystem trotz Doppelimpfung schwer an Corona erkranken. Deshalb haben Drittimpfungen für Senioren begonnen, die laut einer Studie gute Wirkungen zeigen. Doch israelische Experten erklären, erst die nächsten Wochen würden zeigen, ob ein Lockdown noch verhindert werden könne. „Die nächsten Tage werden nicht einfach“, warnt Bennett. „Wir rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Infektionen, mit mehr schweren Verläufen und mit mehr Todesfällen.“
Auch deutsche Wissenschaftler, die mit Modellrechnungen das Infektionsgeschehen vorherzusagen versuchen, warnen vor einer vierten Welle im Herbst, die auch wieder die Kliniken zu treffen drohe. Derzeit hatten nach Erhebungen des Robert-Koch-Instituts 94 Prozent der Corona-Intensivpatienten keinen vollen Impfschutz. Der Rest der sogenannten „Impfdurchbrüche“entspricht der lange festgestellten Wirksamkeit der Impfstoffe.
Andere Unbekannte für die vierte Welle wiegen schwerer. Manches ist nicht vorhersehbar, wie mögliche neue Varianten. Doch das Risiko steigt bei hohen Infektionsraten naturgemäß, weil sich dadurch Mutationen besser ausbreiten können.
Andere Faktoren sind absehbar – allen voran Urlaubsrückkehrer und Schulunterricht nach den Ferien. Bald wird sich zeigen, ob die Politik für ausreichend Luftfilter gesorgt hat – und ob Eltern der Impfempfehlung für über zwölfjährige Kinder folgen. Ansonsten, so warnen die Experten der Berliner TU in einem Gutachten für die Regierung, würde der Schulunterricht das Infektionstempo rasant beschleunigen. In Nordrhein-Westfalen, wo die Ferien vergangene Woche endeten, liegt die Inzidenz bereits bei über hundert, im Ferienland Bayern ist sie noch nicht einmal halb so hoch.
Galt bislang ein Wert über 50 als bedenklich, sehen mehrere Wissenschaftler diese Schwelle angesichts der vielen geimpften Menschen derzeit eher bei 200. Da sich die Werte meist alle zwei Wochen verdoppeln, sind bis Herbst Inzidenzen von 500 nicht ausgeschlossen, falls Maßnahmen wie Quarantäne, Luftfilter, PCR-Tests neben den Impfungen den Anstieg nicht bremsen.
„Laut unseren Simulationen wird im Oktober ein exponentieller Anstieg bei den Krankenhauszahlen starten“, warnen die TU-Forscher. „Nur wenn die Impfstoffe gegen Delta deutlich besser wirken als derzeit bekannt oder eine Impfquote von 95 Prozent erreicht wird, dann bleibt diese Welle in unseren Simulationen aus“, betonen sie. Eine Garantie dürfe niemand versprechen.
Auf alle Fälle ausgedient haben dürfte der Inzidenzwert von 50 als Grenze für einschränkende Maßnahmen. Das Corona-Kabinett von Angela Merkel hat in der ersten Sitzung nach der Sommerpause Gesundheitsminister Jens Spahn beauftragt, eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorzubereiten. Zusätzlich soll die Belastung der Kliniken als Maßstab festgelegt werden.