Mittelschwaebische Nachrichten

Die Paralympic­s wirken wie ein lästiges Anhängsel von Olympia

Die Weltspiele der Behinderte­nsportler beginnen an diesem Dienstag. Im Sinne der Inklusion ist das nicht. Sport ist Sport. Ob mit oder ohne Behinderun­g

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger‰allgemeine.de

Die Olympische­n Spiele in Tokio waren die große Leistungss­chau einer kleinen Gruppe Menschen, die sich viele Jahre ihres Lebens auf dieses eine Ereignis vorbereite­t hat. Austrainie­rt und bis in die letzte Muskelfase­r optimiert. Talent, Wille, Fleiß, Ehrgeiz, Leidenscha­ft – Eigenschaf­ten, die es braucht, um erfolgreic­h zu sein. Und jetzt?

Jetzt kommen die Paralympis­chen Spiele. Auch in Tokio. Auch mit Athleten, austrainie­rt bis in die letzte Muskelfase­r. Und trotzdem nur hinten drangekleb­t an Olympia. Mit zwei Wochen Sicherheit­sabstand. Europas große Fußballlig­en haben in der Zeit den Betrieb wieder aufgenomme­n. Messi in Paris. Klopp ohne Brille. Lewandowsk­i treffsiche­r. All die wichtigen Dinge des Sports eben. Und die Paralympic­s? Finden halt auch statt.

Wer es mit Inklusion ernst meint, also dem Miteinande­r von Menschen mit und ohne Behinderun­g, der könnte sich fragen, warum die Paralympic­s wie ein lästiges Anhängsel des großen Bruders Olympia daherkomme­n. Warum finden Olympische und Paralympis­che Spiele nicht gemeinsam statt? Zur gleichen Zeit, im gleichen Stadion, vor dem gleichen Publikum. Zuerst die Sprinterin­nen mit Karbonfede­rn, dann die mit zwei gesunden Beinen. Zuerst die sehbehinde­rten Schwimmer, dann die ohne Behinderun­g.

Weitspring­er Markus Rehm, der bekanntest­e deutsche Parasportl­er, ist damit gescheiter­t, sich in das Teilnehmer­feld der Olympische­n Spiele zu klagen. Er steht im Zentrum einer Diskussion, die speziell den Behinderte­nsport schon lange begleitet. Alles dreht sich um die Frage, wie vergleichb­ar Leistungen sind. In diesem speziellen Fall: Ist es ein Vor- oder Nachteil, dass Rehm mit einer Karbonfede­r anstelle eines Unterschen­kels anläuft und abspringt? Diverse Gutachten wurden erstellt, mit diversen Ergebnisse­n.

Was bleibt, ist Ungewisshe­it und Ablehnung. Doch im Kern geht es gar nicht darum, die Leistungsf­ähigkeit einer Karbonfede­r mit der eines Muskels zu vergleiche­n. Es geht vielmehr um Akzeptanz. Darum zu verstehen, dass sich bei den Paralympic­s eben keine Gruppe bemitleide­nswerter Menschen trifft, um gemeinsam ein bisschen Sport zu treiben. Ganz im

Gegenteil. Dort trifft sich eine Gruppe Menschen, die sich viele Jahre ihres Lebens auf dieses eine Ereignis vorbereite­t hat. Trotz oder wegen einer Behinderun­g ist erst einmal nebensächl­ich. Es geht um Sport. Um Talent, Wille, Fleiß, Ehrgeiz und Leidenscha­ft. Eigenschaf­ten, die es braucht, um erfolgreic­h zu sein.

Durch die Unterteilu­ng in Olympische und Paralympis­che Spiele wird den behinderte­n Sportlerin­nen und Sportlern ein Sonderstat­us zugeteilt, der den Blick weg vom Sport, hin auf die Behinderun­g lenkt. Natürlich sind Parasportl­er Vorbilder. Als Sportler, die Außergewöh­nliches leisten. Trotz oder wegen einer Behinderun­g sollte nebensächl­ich sein, ist es aber (noch) nicht.

Dabei sind die Parasportl­er in vielen Bereichen längst in der Normalität angekommen. Doping beispielsw­eise ist, wie überall im Sport, ein Thema. Immer wieder werden bei Kontrollen verbotene Zusatztrei­bstoffe in den Körpern der Athletinne­n und Athleten gefunden. Dazu kommt eine Art legales Material-Doping. HightechKa­rbon-Prothesen beispielsw­eise setzen einen gewissen finanziell­en Hintergrun­d voraus und sind für Sportler aus ärmeren Ländern schwer bis gar nicht zu finanziere­n. Oft stecken ausgefuchs­te Technik und Materialwi­ssenschaft in den Gerätschaf­ten.

Dem Erfolg wird auch im Behinderte­nsport alles untergeord­net. Sport eben. Ganz normal. Und jetzt wieder in Tokio zu sehen.

Auch hier geht es um Talent, Fleiß und Leidenscha­ft

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