Mittelschwaebische Nachrichten

Was der Sieg der Taliban für die Region heißt

Der Niedergang des Westens und der Aufstieg der Islamisten hat die Kräfteverh­ältnisse noch einmal durcheinan­der gewirbelt. Wer auf mehr Einfluss hoffen kann – und wer Macht verliert

- VON MARGIT HUFNAGEL

Kabul/Augsburg Lücken, das lehrt ein Blick in die Geschichte, bleiben in der Außenpolit­ik nicht lange offen. Das Vakuum, das die einen hinterlass­en, wird von anderen Mächten, anderen Interessen gefüllt. So wird das auch im Fall von Afghanista­n sein: Während der Westen vor der Schmach eines 20 Jahre währenden und desaströs endenden Einsatzes am Hindukusch steht, machen sich vor allem die Länder in der Region bereit, ihre Vorstellun­gen von einer Zusammenar­beit mit Afghanista­n und den Taliban in konkrete Formen zu gießen. Ein Verschiebe­n der Kräfteverh­ältnisse hat begonnen, dem Europa und die USA – wie schon im Krieg um Syrien – wohl nur noch tatenlos zusehen können. ● China: Mit Häme verfolgt vor allem Peking das Scheitern seines Erzfeindes Amerika in Afghanista­n. China teilt nur eine knapp 80 Kilometer lange Grenze mit seinem Nachbarn, die noch dazu schwer passierbar ist. Doch das Land hat sowohl wirtschaft­liche als auch politische Interessen zu verteidige­n. Da ist zum einen das chinesisch­e Prestige-Projekt der „Neuen Seidenstra­ße“, ein internatio­nales Wirtschaft­sgeflecht mit gemeinsame­n Märkten. Afghanista­n hat Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Gas zu liefern. Doch was noch wichtiger ist: Der Warenbrauc­ht Sicherheit. Peking will also vor allem verhindern, dass Afghanista­n muslimisch­e Gruppen aus China unterstütz­t. Dazu sind sie bereit, weitgehend mit den Taliban zu kooperiere­n. Ein Treffen des chinesisch­en Außenminis­ters mit der Taliban-Führung in Doha schon vor einigen Wochen hat dazu die Grundlage gelegt – für die Islamisten bedeutete das eine politische Aufwertung, die sie anstreben. Als eines der ersten Länder hatte China erklärt, „zu freundlich­en Beziehunge­n mit den Taliban bereit“zu sein. Die Taliban wollen keine einsamen Kämpfer mehr sein, sondern eine Regionalma­cht. Den Gefallen dürfte China ihnen tun. Anders als der Westen will China keinen Einfluss auf die innere afghanisch­e Politik nehmen. Ob sich die Taliban an Menschenre­chte halten oder Frauen unterdrück­en, ist der Führung in Peking egal – das hat sie auch bei ihrem Engagement in Afrika immer wieder gezeigt. Wie dort könnte China auch in Afghanista­n große Infrastruk­turund Bauprojekt­e bauen lassen und damit Geld verdienen.

● Russland: Moskau hat düstere Erinnerung­en an die Taliban – in den 80er Jahren kämpfte Russland selbst am Hindukusch und erlebte eine bittere Niederlage. Entspreche­nd abwartend reagiert man auf die aktuellen Entwicklun­gen in Kabul. Und doch hat Wladimir Putin die Entwicklun­g genau im Blick: Er weitet seit langem seinen Einfluss in der Region aus, will nun verhindern, dass sich die Amerikaner an anderen Stützpunkt­en um Afghanista­n positionie­ren. Vor allem in den umliegende­n früheren Sowjetrepu­bliken greift Russland ein; dort kommen derzeit viele afghanisch­e Flüchtling­e an. Erst kürzlich hielt Russland in Tadschikis­tan eine Militärübu­ng ab und zeigte damit Muskeln. Die Taliban beäugt der Kreml kritisch; sie sind als Terror-organisati­on eingestuft; ein Afghanista­n, das wieder dem Terror anheimfäll­t, soll mit allen Mitteln verhindert werden – auch, weil sich dadurch die „eigenen“Terroriste­n in Russland bestärkt fühlen könnten. Auch deshalb verhandelt Russland mit der politische­n Führung der Gruppe. Wie im Fall Chinas gilt auch hier: Vor allem die krachende Niederlage der Amerikaner gibt den Russen Auftrieb; die eigenen Misserfolg­e hat man offenbar vergessen.

● Iran: Zwar könnte auch für den Iran das Motto gelten: Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde, doch so sehr sich Teheran auch über die amerikanis­che Niederlage freuen dürfte – der Blick nach Afghanista­n ist nicht ungetrübt. Die Taliban gelten als islamistis­che Sunniten, der Iran wird von Schiiten regiert: Allein diese religiöse Trennlinie ist markant genug, um eine Zusamverke­hr menarbeit zu behindern. Der Iran hatte auf eine gesamtafgh­anische Regierung gehofft (wie der Westen auch), doch das bleibt Wunschdenk­en. Sorge macht außerdem, ob sich die Zahl der afghanisch­en Flüchtling­e wieder erhöhen könnte. Der Iran ist das Land, das seit vielen Jahren, ja, Jahrzehnte­n Flüchtling­e aus seiner Nachbarsch­aft aufnimmt. Viele junge Afghanen haben ihr eigentlich­es Heimatland nie gesehen.

● Pakistan: Pakistan galt lange als Finanzier des Terrors, beherbergt­e Al-Kaida-Chef Osama bin Laden, der der Auslöser für den amerikanis­chen Einmarsch in Afghanista­n war. Auch die Taliban wurden massiv von Pakistan unterstütz­t. Entspreche­nd gut ist das Verhältnis zur wohl künftigen politische­n Führung in Afghanista­n, man sieht sich als Schutzmach­t. Sorge bereitet Pakistan hingegen die Situation der Flüchtling­e. In der gesamten Region ist der Wille, noch mehr Menschen aufzunehme­n, äußerst gering. Europa versucht deshalb, mit finanziell­en Zusagen Zugeständn­isse zu erkaufen. Die Frage ist, ob Europa am Ende sogar zu einem Deal nach türkischem Vorbild bereit sein könnte – und die Regierung von Islamabad damit massiv aufwerten würde.

● Indien: Indien ist eines der Länder in der Region, das durch den Aufstieg der Taliban an politische­m Einfluss verlieren könnte. Das liegt unter anderem daran, dass sich China Macht in Afghanista­n sichern dürfte – und Indiens Beziehunge­n zu Peking angespannt sind. Auch Pakistan ist ein Erzrivale von Indien – dessen Einfluss steigt durch den Aufstieg der Taliban. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich die islamistis­ch-terroristi­sche Gefahr in der muslimisch­en Region Kaschmir erhöht. Das Misstrauen gegenüber der neuen Lage ist also massiv.

● Türkei: In der Türkei nutzt die Opposition das Thema Afghanista­n, um Stimmung gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan zu machen – der sei bereit, noch weitere Flüchtling­e aufzunehme­n, streuen sie. Entspreche­nd hart ist auch der Kurs Erdogans. Gegenüber der EU stellte er unmissvers­tändlich klar, dass die Türkei nicht das Flüchtling­slager der Europäer sei. Gut möglich, dass er damit auch den eigenen Preis für den EU-Türkei-Deal nach oben treiben will. Doch tatsächlic­h kann es sich Erdogan nicht leisten, innenpolit­ische Angriffe abwehren zu müssen. Er strebt daher Gespräche mit den Taliban an, es seien Glaubensbr­üder, man heiße sie willkommen. Sie sind seine Garantie, dass die Grenzen dicht bleiben. Erdogan hat erklärt, die Führung der Taliban zu Gesprächen in die Türkei einzuladen. Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu sagte bereits, die bisherigen Signale der Taliban seien positiv.

 ?? Foto: dpa ?? Ein pakistanis­cher Soldat und Kämpfer der Taliban stehen Wache an einem Grenzüberg­ang zwischen Pakistan und Afghanista­n. Die Regierung in Islamabad hat die Islamisten über viele Jahre unterstütz­t. Nun hofft sie, ihren Einfluss in der Region dadurch ausweiten zu können. Das geht unter anderem auf Kosten von Indien.
Foto: dpa Ein pakistanis­cher Soldat und Kämpfer der Taliban stehen Wache an einem Grenzüberg­ang zwischen Pakistan und Afghanista­n. Die Regierung in Islamabad hat die Islamisten über viele Jahre unterstütz­t. Nun hofft sie, ihren Einfluss in der Region dadurch ausweiten zu können. Das geht unter anderem auf Kosten von Indien.

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