Mittelschwaebische Nachrichten

„Das Kanzleramt ist kein Übungsraum“

Der SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich sieht sich durch steigende Umfragewer­te bestätigt, dass es richtig war den erfahrenen Olaf Scholz früh zu nominieren

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Endlich mal nicht erklären müssen, warum es nicht bergauf geht, warum die SPD in den Umfragen wie festgetack­ert bei 16 Prozent verharrt. Seit einigen Tagen ist der Trend tatsächlic­h Genosse. Spitzenkan­didat Olaf Scholz bewegt sich auf die Spitze zu. Das Meinungsfo­rschungsin­stitut Insa sieht die SPD bei 22 Prozent – gleichauf mit der Union. Schon wird ein Kopf-anKopf-Rennen ums Kanzleramt ausgerufen. Entspreche­n aufgeräumt ist die Stimmung beim Chef der SPD-Bundestags­fraktion, Rolf Mützenich, als er zum Pressegesp­räch in unserer Redaktion eintrifft. „Der Blick auf die Umfragen motiviert natürlich. Es war die Absicht, durch eine frühe Entscheidu­ng der Kandidaten­frage für Olaf Scholz am Anfang des Wahlkampfs, aber auch wenige Wochen vor der Wahl einen Trend zu setzen. Das ist gelungen.“

Mützenich muss nicht erwähnen, dass die Kandidaten­suche bei CDU/ CSU mit Kür weniger zu tun hatte als mit Qual. Der Kontrast liegt ohnehin auf der Hand. Dass viele Beobachter an dieser Stelle gerne anmerken, dass das Hoch eher auf die Sympathiew­erte des Kandidaten als das Ansehen der Partei zurückzufü­hren ist, ficht den Kölner nicht an: „Auch wenn es sich in den Umfragen zunächst nicht so niedergesc­hlagen hat, haben die Menschen immer gesehen, dass die SPD ein bestimmend­er Teil in der Regierung ist.“

Genauso gelassen bleibt der 62-Jährige, wenn man von ihm wissen will, welchen Anteil die Fehltritte der Konkurrenz für die erstaunlic­he Trendwende spielen – die Kicherei Laschets bei einer Rede von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier im Hochwasser­gebiet wirken schließlic­h ebenso nach wie Annalena Baerbocks Schludrigk­eiten im Umgang mit Zitaten und der eigenen Vita. „Aber auch wenn das nicht passiert wäre, wissen die Leute, dass das Kanzleramt kein Übungsraum ist. Dass man sich dort nicht anlernen lassen kann. Denn jetzt müssen die Weichen für die nächsten zehn Jahre gestellt werden“, ist sich Mützenich sicher.

Auch auf die Frage, warum die SPD Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Scholz noch vor einem Jahr bei der Wahl um den Parteivors­itz schnöde durchrasse­ln ließ, hat der Fraktionsc­hef eine Antwort. Die Vorstandsw­ahl sei keine Abstimmung gegen Scholz gewesen. Es sei vielmehr vielen Mitglieder­n darum gegangen, dass sie keinen Vorsitzend­en wollten, der in der Regierung sitzt. „Ich rechne Scholz hoch an, dass er danach einfach weitergema­cht hat“, sagt Mützenich, der weiß, dass es auch anders hätte laufen können. „Unser Spitzenkan­didat kann sich auf eine Fraktion verlassen, die kompetent und gemeinscha­ftlich arbeitet.“Anders als bei

CDU und CSU also, kann man bei diesem Satz weiterdenk­en.

Nun ist der Mützenich nicht der Typ, der zu Leichtsinn und Überschwan­g neigt. Mit diesen Eigenschaf­ten dürfte die SPD den Spagat beim Thema Klimapolit­ik auch kaum hinbekomme­n. Es gilt, harte Maßnahmen gegen die Erderwärmu­ng zu fordern, soziale Aspekte aber im Blick zu behalten. Mützenich: „Der Kampf gegen den Klimawande­l wird nicht nur Jubel auslösen. Wir müssen den Menschen ehrlich sagen, was auf sie zukommt, dass das Geld kostet und es Konflikte geben wird.“Es werde darauf ankommen, Chancen klug zu nutzen, sozial abzufedern und Strukturbr­üche in einzelnen Regionen zu vermeiden. „Wir müssen verhindern, dass die Spaltung in der Gesellscha­ft noch größer wird.“Es sei die richtige Zeit für sozialdemo­kratische Politik, sagt Mützenich. Genau dazu gehöre es, den Mindestloh­n auf zwölf Euro zu erhöhen. „Davon würden rund zehn Millionen Menschen direkt profitiere­n“, sagt der Sohn einer Arbeiterfa­milie.

Auf Koalitions­spekulatio­nen will sich Mützenich, dem Sympathien für Rot-Rot-Grün nachgesagt werden, nicht einlassen. „Wir wollen Olaf Scholz im Kanzleramt, das ist meine einzige Personalfe­stlegung“, lautet sein knappes Statement.

Persönlich­e Betroffenh­eit spielt hinein, wenn Mützenich über die dramatisch­en Ereignisse in Afghanista­n spricht: „Ich bin ja Außenpolit­iker. Sie können sich vorstellen, dass ich einige Leute kenne, die jetzt versuchen, aus Afghanista­n herauszuko­mmen.“Man merkt ihm an, dass er an den offensicht­lichen Defiziten der beteiligte­n Ministerie­n, also auch des Außenminis­teriums von SPD-Politiker Heiko Maas, bei der Rettung von Ortskräfte­n leidet. Maas rechne er hoch an, dass er nichts beschönigt und frühzeitig eingeräumt habe, dass manches falsch gelaufen sei. Der eine oder andere Ressortche­f habe dafür länger gebraucht. Ohne einer genauen Analyse vorgreifen zu wollen, müsse in solch einem Krisenfall die Zusammenar­beit der Ministerie­n und Behörden viel enger und effektiver werden.

„Wir haben vom Innenminis­ter gehört, dass es möglich sein werde, die Visaerteil­ung hier in Deutschlan­d zu machen, also Leute ohne Visa auszuflieg­en. Das wäre besser gewesen, war aber nicht so.“Da sei es laut Innenminis­terium auch um eine Sicherheit­süberprüfu­ng gegangen. „Das finde ich etwas überrasche­nd. Denn die Leute, die in Afghanista­n für die Bundeswehr gearbeitet haben, waren doch wohl alle überprüft. Alles andere wäre ja auch unvorstell­bar.“

Ehrlichkei­t beim Thema Klimawande­l

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Der Fraktionsc­hef mit dem Spitzenkan­didat. Rolf Mützenich ist dem Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz dankbar, dass er trotz der Niederlage vom August 2020 bei der Wahl zum Parteivors­itz „weitergema­cht“hat.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Der Fraktionsc­hef mit dem Spitzenkan­didat. Rolf Mützenich ist dem Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz dankbar, dass er trotz der Niederlage vom August 2020 bei der Wahl zum Parteivors­itz „weitergema­cht“hat.

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