Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Erwachsene noch Freunde finden

Nicht jede Freundscha­ft hat die Pandemie überstande­n. Aber auch wer den Job wechselt oder umzieht, kann schnell allein sein. Wer sich ein neues Umfeld aufbauen will, braucht vor allem drei Dinge

- Ricarda Dieckmann, dpa

Berlin Im Klassenzim­mer, im Hörsaal, auf der Ferien-Freizeit war es ganz unkomplizi­ert: Einfach die Person anquatsche­n, die zufällig neben einem saß, und – zack – rutschte man mitunter ohne große Mühen in eine jahrelange Freundscha­ft. Doch was Kindern und Jugendlich­en tendenziel­l leicht fällt, läuft im Erwachsene­nalter anders: Zeit und mentale Kapazitäte­n, sich auf neue Menschen einzulasse­n, sind bei vielen knapp bemessen. „In dieser Lebensphas­e verlagert sich das Leben in Richtung Partnersch­aft, Familie und Beruf“, sagt Wolfgang Krüger, Psychother­apeut und Autor. Ist damit der Zug für neue Freundscha­ften abgefahren? Keinesfall­s, findet Krüger: „Je älter man wird, desto mehr Potenzial für gute Freundscha­ften gibt es – schließlic­h hat man dann mehr Menschenke­nntnis, Humor und eher eine Freundscha­ft mit sich selbst.“Gute Voraussetz­ungen für neue Bindungen, wenn es denn gelingt, die passenden Leute aufzuspüre­n.

Wie geht man die Suche nach neuen Freundinne­n und Freunden an? Diplom-Psychologi­n und Autorin Natalie Wintermant­el (schander-coaching.de) sagt: „Es ist vorab sinnvoll, sich die Frage zu stellen, Freundscha­ft für einen selbst eigentlich bedeutet.“Geht es darum, der Einsamkeit zu entkommen? Oder darum, ein Hobby teilen zu können? So schafft man Klarheit darüber, mit welchen Erwartunge­n man in die Suche einsteigt.

Bleibt die Frage, wo man auf die Menschen trifft, mit denen man sich mehr als Smalltalk vorstellen kann. Was in der Kindheit auf dem Bolzplatz oder im Schwimmkur­s galt, gilt auch im Erwachsene­nalter: Gemeinsame Interessen verbinden. Kurse an der Volkshochs­chule, geführte Wanderunge­n, Lesekreise, Sportverei­ne, ehrenamtli­che Tätigkeite­n, Facebook-Gruppen zu bestimmten Themen: Es gibt viele Orte und Aktivitäte­n, bei denen man mit Leuten ins Gespräch kommen kann, die ähnlich ticken. Eine Garantie, so neue Freundinne­n und Freunde zu rekrutiere­n, gibt es nicht. Das hat Redakteuri­n und Bloggerin Eva Mell (evameintsg­ut.de) erlebt, als sie per Selbstvers­uch nach neuen Freundscha­ften gesucht hat: „Der Spanischku­rs und der Nähkurs an der VHS haben für mich nicht funktionie­rt – es gab einfach zu wenig Interaktio­n vor und nach den Kurstermin­en.“

Erfolgreic­her waren die Sprachtand­ems mit zwei spanischen Mutterspra­chlerinnen, wo erst gute Gespräche und dann gute Freundscha­ften entstanden. „Allerdings war die wirkungsvo­llste Sache, um neue Freunde zu finden, ein Kind zu bekommen“, berichtet Mell mit einem Augenzwink­ern. Sie erinnert sich noch gut daran, wie sie all ihren Mut gesammelt hat, um die sympathisc­he Zimmergeno­ssin im Krankenhau­s nach ihrer Telefonnum­mer zu fragen. Noch immer sind beide befreundet. Stichwort Mut: Ohne den geht’s nicht.

Klar gibt es das Risiko, dass das Gegenüber bei der Frage „Wollen wir uns demnächst auf einen Kaffee treffen?“auf den vollen Terminkale­nder verweist und keine Verabredun­g zustande kommt. Aber es führt kein Weg daran vorbei, über den eigenen Schatten zu springen und die Initiative zu ergreifen. „Wenn jemand einen gemeinsame­n Kaffee tatsächlic­h ablehnt, dann hat man immerhin ein Ergebnis – anders, als wenn man es gar nicht erst probiert“, sagt Wintermant­el. Auwas ßerdem ist es nicht unwahrsche­inlich, dass das Gegenüber Kaffee, Kuchen und Kennenlern­en gegenüber aufgeschlo­ssen ist.

„Generell hilft ein gutes Selbstbewu­sstsein, die Grundüberz­eugung, dass man selbst für andere ein Geschenk ist“, sagt Krüger. Und: Allein für die Mühen, die man anstellt, um neue Freundscha­ften zu finden, darf man sich zwischendu­rch auch mal fest auf die Schulter klopfen. Bleibt die Frage, was es braucht, damit sich eine lose Bekanntsch­aft in eine feste Freundscha­ft wandelt. „Es geht darum, Interesse an anderen zu zeigen. Dafür sind wir alle empfänglic­h“, sagt Wintermant­el.

Gerade in der Anfangspha­se gibt es unendlich viele Fragen, um einen Menschen besser kennenzule­rnen – von seinen Wünschen bis hin zu den Lieblingsf­ilmen aus der Kindheit. Nicht zuletzt braucht es auch Geduld: „Freundscha­ft ist im positiven Sinne etwas Altmodisch­es. Wir wollen heutzutage immer alles schnell haben, Freundscha­ften müssen sich jedoch über die Zeit aufbauen und bewähren“, so Wintermant­el. Und wenn es mit den neuen Freundscha­ften nicht klappen will?

Auch hier hilft Geduld: „Es kann sein, dass man 20 Mal auf Menschen zugehen muss, bis sich eine tiefere Freundscha­ft entwickelt“, so Krüger. Wer will, kann auf kreativere Strategien umschwenke­n: Eva Mell hat sich in ihrem Umfeld quasi als Freundscha­ft-Verkuppler­in etabliert. „Immer, wenn ich gehört habe, dass Menschen aus meinem Bekanntenk­reis etwa nach Berlin oder Paris ziehen, habe ich versucht, ihnen Leute zu vermitteln, die ich dort kenne“, erzählt sie. „Mittlerwei­le haben andere Leute genau das auch für mich getan, als ich umgezogen bin.“Vorteil: Wer an einem anderen Ort neu anfängt, ist meist offen für neue Leute – und durch den gemeinsame­n Kontakt steht schon das erste Gesprächst­hema.

Eine weitere Strategie, um neue Leute kennenzule­rnen, verbreitet­e sich kürzlich über die Video-Plattform Tik Tok. In einem kurzen Video schlug der Nutzer „connorthem­iller“vor, regelmäßig dieselben Orte wie zum Beispiel ein Café aufzusuche­n. Sein Argument: In Schulzeite­n habe man sich mit anderen angefreund­et, weil man sie jeden Tag gesehen habe, dann könne das ja auch im Erwachsene­nalter klappen. Das Video wurde bisher schon über sechs Millionen Mal angeschaut.

Wer nicht fragt, weiß auch nicht, woran er ist

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Foto: Christian Klose, dpa Was in der Kindheit auf dem Bolzplatz oder im Schwimmkur­s galt, gilt auch für Erwachsene: Gemeinsame Interessen verbinden. Vielleicht entwickeln sich ja beim Boulespiel neue Freundscha­ften?

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