Mittelschwaebische Nachrichten

Drei Tote und ein Rätsel

In Starnberg soll ein 21-Jähriger seinen Kumpel und dessen Eltern erschossen haben. Die Ermittler hatten zunächst eine ganz andere Theorie. Aber nun gibt es ein grausiges Video

- Britta Schultejan­s, dpa

Starnberg/München Es sind erschrecke­nde, verstörend­e Bilder. Sequenzen wie aus einem Horrorfilm: „Der atmet noch“, sagt jemand auf dem verwackelt­en, mit dem Handy aufgenomme­nen, nur wenige Sekunden langen Film – und fügt ein ungerührte­s „Hm“hinzu. Die Kamera hält dabei auf einen leblosen jungen Mann. Das zweite Video ist mindestens ebenso entsetzlic­h. Es zeigt den toten Vater des jungen Mannes – zusammenge­brochen in der Tür zu dem Schlafzimm­er, in dem seine ebenfalls erschossen­e Frau liegt. „Dann lass’ ich euch mal weiterschl­afen“, sagt die Stimme zynisch – und das Licht wird gelöscht.

Diese kurzen Filmsequen­zen haben Ermittler nach eigenen Angaben auf dem Handy eines 21-jährigen Deutschen gefunden, der seit Montag vor Gericht steht, weil er seinen guten Freund und dessen Eltern in deren Haus in Starnberg erschossen haben soll. Sie werden zum Prozessauf­takt gegen ihn und einen zwei Jahre jüngeren, slowakisch­en Mitangekla­gten am Landgerich­t München II gezeigt. Dreifachen Mord wirft die Staatsanwa­ltschaft dem Mann vor, Mittätersc­haft bei einem Mord dem

Mitangekla­gten. Sie geht davon aus, dass die beiden an die Waffen des Sohnes der Familie kommen wollten, die dieser illegal besaß.

Zuerst schien der Fall für die Ermittler klar. Sie gingen davon aus, dass der Sohn, ein Waffennarr, zuerst seine Eltern und dann sich selbst erschoss. Einige Wochen später dann die spektakulä­re Wende: Die Staatsanwa­ltschaft München geht nun davon aus, dass der Sohn nicht Täter, sondern selbst Opfer wurde –

Opfer seines engen Freundes, der ihn und seine Eltern auf dem Gewissen haben soll. Der Mitangekla­gte soll seinen Freund zum Haus der Familie gefahren und während der Tat dort gewartet haben. Die Ermittler fanden später illegale Waffen bei dem Hauptangek­lagten, die er aus dem Haus der Familie gestohlen haben soll.

Bei der Polizei soll der Ältere der beiden Angeklagte­n das so gestanden haben – vor Gericht will er zu den grauenvoll­en Vorwürfen aber nichts mehr sagen. Auch der Mitangekla­gte schweigt zumindest zunächst. Ausführlic­h äußert sich der arbeitslos­e Hauptangek­lagte allerdings – wenn auch nicht frei von drastische­n Widersprüc­hen – zu seinen persönlich­en Verhältnis­sen. Er spricht von heftigem Alkohol- und Drogenkons­um, von Problemen mit seiner Mutter und von Mobbing in der Schule. Zweifel daran, dass er verurteilt wird, scheint er nicht zu haben. Später, „sobald ich in Strafhaft komme“, wolle er eine handwerkli­che Ausbildung machen, sagt er über seine Zukunftspl­äne. Und dann wolle er ein Haus bauen – „wenn ich rauskomme“.

Die Verteidigu­ng des Mitangekla­gten äußert massive Zweifel an der Version, die die Staatsanwa­ltschaft ihrer Anklage zugrunde legt und attackiert die Anklagebeh­örde in gleich drei nach US-amerikanis­chem Vorbild verfassten Eröffnungs­statements. Die Staatsanwa­ltschaft folge in ihrer Anklage „einer simplen Logik“, sagt Rechtsanwa­lt Alexander Betz. „Vier Personen sind in einem Haus, einer kommt lebendig raus, und damit ist der vierte der Mörder.“Dies sei aber nur eine von zahlreiche­n denkbaren Varianten. Es gebe mehrere Hypothesen, die genauso plausibel, wenn nicht sogar plausibler seien. Die Anklage habe „ihre Wissenslüc­ken mit viel Fantasie statt mit Ermittlung­sarbeit gefüllt“, kritisiert Rechtsanwa­lt Alexander Stevens.

Was geschah damals im Januar 2020 in dem Haus in Starnberg? Die Vorsitzend­e Richterin Regina Holstein spricht von einem „Nebel“, den die Hauptverha­ndlung werde lichten müssen. 54 Prozesstag­e hat die Jugendkamm­er dafür angesetzt. Das Urteil könnte dann genau zwei Jahre nach der Tat fallen: am 11. Januar 2022.

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Foto: Sven Hoppe, dpa In Handschell­en wurde der mutmaßlich­e Mörder in den Münchner Gerichtssa­al geführt.

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