Mittelschwaebische Nachrichten
Die Königin Elina Garanca
„Fausts Verdammnis“von Berlioz als Sängerfest – eingeebnet jedoch in dramatischer Hinsicht
Salzburg Aus Goethes „Faust“ein musikalisches Drama für lediglich drei Protagonisten zu destillieren, dafür braucht es Mut zur Lücke und Umdeutung. Hector Berlioz hatte diesen Mut, komponierte seine rund zweieinhalbstündige dramatische Legende „La Damnation de Faust“als eine Folge von Phantasmagorien – und, dramaturgisch klug, als eine Folge von Tanz, Lied, Sakralgesang, Fuge, Marsch, Ballett, EngelsChor. Diverse Genres aus der angewandten Musik bestimmen wie selbstverständlich Fausts Sturz in die Hölle und Marguerites Fahrt in den Himmel.
Wenn nun die Salzburger Festspiele das kühn komponierte Werk konzertant aufs Sommerprogramm setzen, dann geht das – soll es erfolgreich sein – nicht ohne exzellente Besetzung. Es braucht für den Faust einen außerordentlich hohen Tenor mit Durchschlagskraft, einen beseelten Mezzo für Marguerite und für Méphistophélès einen Bass, der höhnisch-wohltönend ins Verderben stürzt. Verführung ist sein Gift.
Und es braucht einen Dirigenten, der aus einem groß besetzten Orchester (vier Harfen!) den dramatischen Funken schlägt – zumal im vierten Teil, beim Höllenritt. Da hat es zu blitzen.
Das Eine war jetzt gegeben im Großen Salzburger Festspielhaus. Charles Castronovo (Faust), Elina Garanca (Marguerite) und Ildar Abdrazakov (Méphistophélès) lieferten das erhoffte Sängerfest – Castronovo fast zu edel, zu empfindsam für den eigener Aussage nach lebensüberdrüssigen und kalten Faust, Abdrazakov so geschmeidig wie markig und ironiegrundiert; Elina Garanca aber einmal mehr sternstundengleich mit unerhörter Sopran-Opulenz,
die ausreichend wäre selbst für ein doppelt so großes Auditorium. Sie betritt wie eine Königin als Letzte die Konzertbühne und verlässt sie nach Lied, Romanze und Duett auch wieder als Erste. Aber sie schüttet aus ihrem vokalen Füllhorn überwältigend Strahlendes und feinst Ästhetisches, weil sie die Balance halten kann zwischen diskreter Seelenselbstbetrachtung und expressiver Entäußerung. Alles klingt bei ihr in jeder Hinsicht: stimmig.
Das Andere aber war nicht so recht gegeben. Alain Altinoglu versteht zwar die Wiener Philharmoniker, die dieser Tage in Salzburg gut ausgelastet sind (vier Opernserien, fünf Konzertprogramme mit Doppelbzw. Dreifach-Aufführung), zu Raffinesse, Eleganz, organischen Übergängen in französischem Geiste zu führen, aber unter dem Strich bremst er ein wenig aristokratisch die Wirkung der Partitur mit ihrem
Ungarischen Marsch und dem wahrlich soghaften Höllenritt-Finale vor der harmonieseligen, zuckersüßen Apotheose. Gewiss, Alain Altinoglu hat einen guten Namen sowie Verdienste – und wird nun auch als Chefdirigent das Sinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt übernehmen, wo schon immer mehr verlangt wurde als rein musikantische Professionalität.
Aber „La Damnation de Faust“hat man dennoch schon dringlicher, zwingender vernommen, weil sie sich durch musikalische Stauchungen und Dehnungen, durch starke Dynamik und Kontraste triftig gestalten, ja geradezu dramatisch überrumpelnd „inszenieren“lässt. In Salzburg aber blieb jetzt einiges eingeebnet, manches sogar unpräzise. Es wäre – zumal bei dieser Sängerbesetzung – mehr drin gewesen. Berlioz war gewiss kein moderater Komponist.