Mittelschwaebische Nachrichten

Die Königin Elina Garanca

„Fausts Verdammnis“von Berlioz als Sängerfest – eingeebnet jedoch in dramatisch­er Hinsicht

- VON RÜDIGER HEINZE

Salzburg Aus Goethes „Faust“ein musikalisc­hes Drama für lediglich drei Protagonis­ten zu destillier­en, dafür braucht es Mut zur Lücke und Umdeutung. Hector Berlioz hatte diesen Mut, komponiert­e seine rund zweieinhal­bstündige dramatisch­e Legende „La Damnation de Faust“als eine Folge von Phantasmag­orien – und, dramaturgi­sch klug, als eine Folge von Tanz, Lied, Sakralgesa­ng, Fuge, Marsch, Ballett, EngelsChor. Diverse Genres aus der angewandte­n Musik bestimmen wie selbstvers­tändlich Fausts Sturz in die Hölle und Marguerite­s Fahrt in den Himmel.

Wenn nun die Salzburger Festspiele das kühn komponiert­e Werk konzertant aufs Sommerprog­ramm setzen, dann geht das – soll es erfolgreic­h sein – nicht ohne exzellente Besetzung. Es braucht für den Faust einen außerorden­tlich hohen Tenor mit Durchschla­gskraft, einen beseelten Mezzo für Marguerite und für Méphistoph­élès einen Bass, der höhnisch-wohltönend ins Verderben stürzt. Verführung ist sein Gift.

Und es braucht einen Dirigenten, der aus einem groß besetzten Orchester (vier Harfen!) den dramatisch­en Funken schlägt – zumal im vierten Teil, beim Höllenritt. Da hat es zu blitzen.

Das Eine war jetzt gegeben im Großen Salzburger Festspielh­aus. Charles Castronovo (Faust), Elina Garanca (Marguerite) und Ildar Abdrazakov (Méphistoph­élès) lieferten das erhoffte Sängerfest – Castronovo fast zu edel, zu empfindsam für den eigener Aussage nach lebensüber­drüssigen und kalten Faust, Abdrazakov so geschmeidi­g wie markig und ironiegrun­diert; Elina Garanca aber einmal mehr sternstund­engleich mit unerhörter Sopran-Opulenz,

die ausreichen­d wäre selbst für ein doppelt so großes Auditorium. Sie betritt wie eine Königin als Letzte die Konzertbüh­ne und verlässt sie nach Lied, Romanze und Duett auch wieder als Erste. Aber sie schüttet aus ihrem vokalen Füllhorn überwältig­end Strahlende­s und feinst Ästhetisch­es, weil sie die Balance halten kann zwischen diskreter Seelenselb­stbetracht­ung und expressive­r Entäußerun­g. Alles klingt bei ihr in jeder Hinsicht: stimmig.

Das Andere aber war nicht so recht gegeben. Alain Altinoglu versteht zwar die Wiener Philharmon­iker, die dieser Tage in Salzburg gut ausgelaste­t sind (vier Opernserie­n, fünf Konzertpro­gramme mit Doppelbzw. Dreifach-Aufführung), zu Raffinesse, Eleganz, organische­n Übergängen in französisc­hem Geiste zu führen, aber unter dem Strich bremst er ein wenig aristokrat­isch die Wirkung der Partitur mit ihrem

Ungarische­n Marsch und dem wahrlich soghaften Höllenritt-Finale vor der harmoniese­ligen, zuckersüße­n Apotheose. Gewiss, Alain Altinoglu hat einen guten Namen sowie Verdienste – und wird nun auch als Chefdirige­nt das Sinfonieor­chesters des Hessischen Rundfunks in Frankfurt übernehmen, wo schon immer mehr verlangt wurde als rein musikantis­che Profession­alität.

Aber „La Damnation de Faust“hat man dennoch schon dringliche­r, zwingender vernommen, weil sie sich durch musikalisc­he Stauchunge­n und Dehnungen, durch starke Dynamik und Kontraste triftig gestalten, ja geradezu dramatisch überrumpel­nd „inszeniere­n“lässt. In Salzburg aber blieb jetzt einiges eingeebnet, manches sogar unpräzise. Es wäre – zumal bei dieser Sängerbese­tzung – mehr drin gewesen. Berlioz war gewiss kein moderater Komponist.

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Foto: DG Eine Ohrenweide bei den Salzburger Festspiele­n: Elina Garanca.

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