Mittelschwaebische Nachrichten

„Bladejumpe­r“und „German Wunderkind“

Mit einem breiten und starken Kader geht Deutschlan­d in Tokio an den Start. Ein Abschneide­n wie in Rio wäre aufgrund der gewachsene­n Konkurrenz aber schon ein Erfolg

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Tokio Dabei sind ein „Bladejumpe­r“, ein „German Wunderkind“und ein „Außenminis­ter“. Dazu erstmals ein im Einsatz verletzter Bundeswehr­soldat, eine stillende Mutter, zwei Olympionik­en, ein „Playboy“-Model und „Tante Irmie“. Und begleitet werden sie von einem Song der Band „Rammstein“. Es ist eine illustre Truppe, die Deutschlan­d von Dienstag an bei den ungewöhnli­chsten aller Paralympic­s ins Rennen schickt. Mit hohen sportliche­n Zielen. Und mit einer klaren Vorgabe: „Ich hoffe nicht, dass wir für ähnliche Schlagzeil­en sorgen werden wie die Olympia-Mannschaft“, sagt Karl Quade, in Tokio zum 13. Mal Deutschlan­ds Chef de Mission.

Zwischenfä­lle wie der „Hol die Kameltreib­er“-Ruf von Rad-Sportdirek­tor Patrick Moster oder das Verhalten von Fünfkampf-Bundestrai­nerin Kim Raisner gegen ein verweigern­des Pferd bei Olympia soll es keinesfall­s geben. „Es geht uns um eine Demonstrat­ion sportliche­r Leistungen, aber auch sozialer Kompetenz und die Verkörperu­ng einer Vorbildfun­ktion“, betont Quade. Auch Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes, erklärt: „Disziplin ist im Leistungss­port eine wichtige Tugend. Die Einhaltung der Disziplin werden wir überwachen.“Er glaube zwar nicht an Zwischenfä­lle, man habe die Athletinne­n und Athleten dennoch genau instruiert. Die 133 Sportler und ihre drei Guides – darunter die früheren Olympia-Teilnehmer Alexander Kosenkow im Sprint und Robert Förstemann beim Radfahren – sollen im Wettkampf für Aufsehen sorgen. „Es geht darum, sportlich gut abzuschnei­den. Corona hin oder her“, sagt Quade. In Rio belegte der DBS Rang sechs im Medaillens­piegel. Damit wäre man diesmal wohl zufrieden, auch wenn ein offizielle­s Ziel nicht ausgegeben wird. Doch die Konkurrenz erscheint in vielen Sportarten und Diszipline­n größer. „Der paralympis­che Sport gewinnt weltweit an Bedeutung“, sagt Beucher. „Deshalb hat ein förmliches Aufrüsten stattgefun­den. Das haben die wenigen internatio­nalen Vergleichs­kämpfe zuletzt gezeigt.

Aber wenn unsere Athleten im Wettkampf das abrufen, was sie im Vorfeld gezeigt haben, ist mir um eine große Erfolgsaus­beute nicht bange.“Sicherster Gold-Kandidat ist Weitspring­er Markus Rehm, 33. Mit seinem Weltrekord bei der EM von 8,62 Meter lag der „Bladejumpe­r“mehr als anderthalb Meter vor der Konkurrenz. In Tokio will er „den Rekord noch mal angreifen“. Rollstuhls­printerin Merle Menje, nach zwei Goldmedail­len bei der EM vom IPC als „German Wunderkind“betitelt, bremst derweil die Erwartunge­n. „Meine Konkurrenz kommt vor allem aus Übersee“, sagt Menje, die am Abreisetag zu den Spielen 17 wurde. „Ich will bei diesen Spielen vor allem lernen.“Zu den Goldkandid­atinnen gehört auch Irmgard Bensusan, 30, die 2016 in Rio dreimal Silber gewann. Kürzlich machte die von allen „Tante Irmie“genannte Sprinterin ihre Depression­en nach ihrem Unfall 2009 öffentlich.

Ebenfalls um Gold stößt der kleinwüchs­ige Rio-Sieger Niko Kappel, 26, wegen seines Sitzes im

Gemeindera­t von Welzheim und seinem Mandat als Athletensp­recher auch „Außenminis­ter des DBS“genannt. Im Schießen ist Afghanista­nVeteran Tim Focken der erste im Einsatz verletzte Bundeswehr­soldat. Im Einer-Kajak kann Ex-Basketball­erin Edina Müller, 38, die kürzlich als Vize-Präsidenti­n des Fußball-Zweitligis­ten Hamburger SV kandidiere­n wollte, teilnehmen, weil die stillende Mutter Sohn Liam entgegen erster Planung mitnehmen darf. Vor allem den Goalballer­n wird zugetraut, den Mannschaft­sFluch von Olympia in den Teamsporta­rten zu beenden. Ihr Ziel: Gold. Wiedergutm­achung müssen die Schwimmer betreiben, die in Rio erstmals goldlos blieben.

Größte Hoffnungst­rägerin ist Elena Krawzow, 27. Die sehbehinde­rte Berlinerin sorgte im Vorjahr nicht nur als „Playboy“-Coverstar für Aufsehen, sie hält auch fünf Weltrekord­e. Kurz für Aufsehen sorgte die Tatsache, dass die ParaAthlet­en bei der Einkleidun­g ein kleineres Paket bekamen als die Olympionik­en. Das lag jedoch daran, dass der Ausrüster Sponsor des DOSB, aber nicht des DBS ist. Musikalisc­he Unterstütz­ung bekommt das deutsche Para-Team von der Gruppe Rammstein. Ihr Kultsong „Ich will“von 2001 untermalt den Trailer der #MeinWeg-Kampagne des Teams Deutschlan­d mit mehreren Para-Sportlerin­nen und -Sportlern, darunter Sandra Mikolasche­k (Tischtenni­s), Alhassane Baldé (Rennrollst­uhl), Rehm und Johannes Floors (Leichtathl­etik). Die Szenen werden jeweils unterbroch­en vom „Ich will“von RammsteinS­änger Till Lindemann.

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Foto: Michael Kappeler, dpa „Bladejumpe­r“und Weltrekord­ler Mar‰ kus Rehm.
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Foto: dpa Rollstuhls­printerin Merle Menje Bundespräs­ident Steinmeier. mit

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