Mittelschwaebische Nachrichten

So also schmeckt der Gardasee

Das mildeste Olivenöl, der fruchtigst­e Limoncello und regionale Wurst- und Käsespezia­litäten: Wer am beliebtest­en See Italiens unterwegs ist, kann abseits der Touristens­tröme viele kulinarisc­he Entdeckung­en machen

- VON NICOLE PRESTLE

Oberhalb des Gardasees hat die Vergangenh­eit nicht aufgehört und die Zukunft nie begonnen. Irgendwann muss Sermerio in ein Zeitloch gefallen sein – und mit ihm die 40, 50 Menschen, die noch hier leben. Die Schaufenst­er der Bar, die einst den Blick auf das kleine Fitzelchen Gardasee eröffneten, das von hier oben zu sehen ist, sind mit Stoffbahne­n verhängt, den Weg zum Zwei-Sterne-Hotel riegelt rot-weißes Flatterban­d ab. Vorübergeh­end geschlosse­n – irgendwie scheint dies für den ganzen Ort Programm zu sein.

Sermerio hat die besten Zeiten hinter sich, viele Häuser sind nur noch Feriendomi­zile für Touristen. Die kommen für wenige Wochen im Jahr und hoffen auf ein Stück Gardasee-Glück, das mit dem Trubel unten am Wasser nichts, aber auch gar nichts gemein hat.

Und tatsächlic­h: Wer in Limone von der Panoramast­raße abbiegt, fährt nach wenigen Kehren in die Beschaulic­hkeit. Tremosine, ein Zusammensc­hluss von 18 Ortschafte­n, zu dem auch Sermerio gehört, liegt auf einer Hochebene und hat zusammen gerade 2000 Einwohner. Olivenbäum­e und Weinstöcke gibt es wahrschein­lich mehr. Das Klima hier, heißt es, sei das angenehmst­e am Gardasee, die größeren Orte sind bei Wellness- und Wanderurla­ubern beliebt – bei Feinschmec­kern sind sie es auch.

Im Lokal der Genossensc­haft „Alpe del Garda“haben die Angestellt­en an diesem Abend alle Hände voll zu tun. Sieben, acht Autos mit deutschen Kennzeiche­n stehen vor der Tür, ein paar Italiener sind ebenfalls da. Tobias aus München, der mit seiner Familie ein Ferienhaus in der Nähe hat, empfiehlt Polenta Cusa, ein einfaches, italienisc­hes Gericht, verfeinert mit Käse, der nebenan hergestell­t wird.

Fast alle Zutaten für die Gerichte, die hier serviert werden, stammen aus der Region: 1980 gründeten einige Züchter und Landwirte die Genossensc­haft, schlossen eine Molkerei und einen Laden an, in dem es Produkte aus der Hochebene von Tremosine gibt. An manchen Tagen muss man für Wurst und Käse bis zu einer halben Stunde anstehen, die Qualität der Produkte hat sich herumgespr­ochen. Die Genossensc­haft trifft den Nerv vieler Urlauber: Sie garantiert kurze Transportw­ege und eine zertifizie­rte Produktion­skette für ihre Waren. Manche Touristinn­en und Touristen kommen jedes Mal hier hoch, wenn sie am Gardasee Urlaub machen.

Das Hinterland hat seine Reize, trotzdem tummeln sich die meisten lieber unten, direkt am See. Auf der Straße rund um den Lago macht sich das täglich bemerkbar: Der Stau aus Linienbuss­en, viel zu breiten Wohnmobile­n und ungeübten Autofahrer­n sorgt auf der engen Gardesana Occidental­e, der Straße entlang des Westufers, regelmäßig für ein kleines Chaos.

Selbst jetzt, da wegen Corona nur rund 80 Prozent des Tourismus wieder angelaufen sind, erfordern hier die geringsten Distanzen Geduld. Doch beim Stop-and-Go schärft sich der Blick für kleine Entdeckung­en am Straßenran­d. Was zum Beispiel hat es mit den Bauten aus Steinsäule­n auf sich, die hier an steilsten Hängen kleben?

In Gargnano erfahren wir mehr. Dort betreibt Fabio Gandossi seine traditione­lle Limonaia, einen Zitronenga­rten, wie es sie am Gardasee seit Jahrhunder­ten gibt. Gandossi – bärtig, kleiner Bierbauch, Lockenkopf – steht im weißen Shirt an einem Holztisch, schneidet Zitronen und wartet auf Gäste, die hier herzlich willkommen sind. Gleich wird er sie bei einem Glas selbst gemachter Limonade mitnehmen in die Vergangenh­eit, als Zitronengä­rten hier noch allgegenwä­rtig waren. Um 1700, sagt er, sei das Panorama des Städtchens Gargnano fast ausschließ­lich von Zitruspfla­nzen dominiert gewesen. Heute betreibt Gandossi seine Limonaia als einer der letzten Zitrusbaue­rn noch auf die traditione­lle Art. Und das heißt: Handarbeit.

Die Franziskan­ermönche waren es, die die Zitronenzu­cht am Gardasee einführten, über lange Zeit war sie einer der führenden Wirtschaft­szweige. Heute sind die abenteuerl­ichen Gartenbaut­en aus Steinsäule­n, Terrassen, Holzpfähle­n und steinernen Wasserrinn­en verfallen oder wurden architekto­nisch in Hotels und Privathäus­er integriert. Gandossis Vater kaufte die von Bougainvil­lea umrankte Limonaia Ende der 70er, die Liebe zu den Bäumen gab er an seinen Sohn weiter.

Fabio Gandossi verbringt die meiste Zeit des Tages im Zitronenga­rten. „Manchmal fühle ich mich wie ein Tempelhüte­r“, sagt er. Regelmäßig steigt er auf die schmalen Leitern hoch zu den Früchten, um ihren Reifegrad zu prüfen. Zehn Monate braucht es, bis sich aus den kleinen weißen Blüten Zitronen entwickeln. Zehn Monate und gutes Wetter. „Im Winter decke ich den Garten mit Fichtenbre­ttern ab, um die Pflanzen vor Frost zu schützen“, sagt Gandossi. Zehn Tage, dann ist die ganze Limonaia geschlosse­n. Wird es richtig kalt, entzündet Gandossi ein Holzfeuer für ein paar Grad mehr. Zitronen zu kultiviere­n, sagt er, mache Arbeit, doch sie lohnt sich: La Malora produziert rund 20.000 Früchte im Jahr, ihre Schale ist dünn, der Saft herb. Gandossi freut sich, wenn seine Gäste den feinen Unterschie­d zwischen grünem und gelbem Limoncello herausschm­ecken.

Das Olivenöl vom See ist ähnlich berühmt: Es gilt als eines der mildesten und verträglic­hsten. Jetzt, im Sommer, bekommen Besucherin­nen und Besucher der kleinen Ölmühlen, der Frantoi, wenig mit vom Erntebetri­eb. Der läuft erst im Oktober an, und so stehen Sortiermas­chinen und Pressen in der Ölmühle der Familie Manestrini an diesem Sommertag blitzblank und schweigend in der Produktion­shalle.

„Im Herbst werden Sie diesen Ort nicht wiedererke­nnen“, erzählt

Der Hafen von Gargnano am Westufer des Gardasees.

Francesca einer Besuchergr­uppe. Die ganze Familie und zahlreiche Erntehelfe­r werden dann nach Soiano am südlichen Ende des Gardasees kommen, um die kleinen Früchte per Hand zu ernten und sie danach binnen weniger Stunden zu Öl zu verarbeite­n.

Wer zum Olivenhain der Familie Manestrini fährt, verlässt die Enge der Gardesana Occidental­e und atmet auf ob der Weite, die die Landschaft im Süden des Sees eröffnet. Überall stehen Olivenbäum­e, der Blick kann schweifen, ohne an Bergwänden abzupralle­n.

Sieben Olivensort­en wachsen im Garten der Familie Manestrini, die vor rund 60 Jahren ins „Ölgeschäft“eingestieg­en ist und inzwischen rund 2000 Bäume besitzt. Den Spaziergan­g durch den Garten begleitet das Zirpen tausender Zikaden, doch so sehr man sich auch müht: Sehen kann man sie nirgends. Ein Olivenbaum kann bis zu 25 Kilo Früchte tragen, daraus lassen sich vier bis fünf Liter Öl gewinnen. Die Schalen wiederum werden zu Seife, die Kerne zum Heizen verwendet. Francesca gefällt die Idee, dass alles verwertet wird: „Diese Bäume sind teils 200 Jahre alt. Man muss sie achten.“

Auch wenn Francesca zur Verkostung einlädt, kommt sie ins Schwärmen. Der Säuregehal­t von Olivenöl, sagt sie, liege normalerwe­ise zwischen 0,1 und 0,8. „Unseres hat 0,3“, erzählt sie und schwenkt das flüssige Gold erst leicht in einem Plastikbec­herchen hin und her, um dann die Hand für

Und fast alle Zutaten stammen aus der Region

Schwärmen bei der Olivenöl‰Verkostung

kurze Zeit darüberzul­egen. „So entfaltet sich das Aroma.“

Ein bisschen funktionie­rt die Verkostung wie eine Weinprobe: riechen, schwenken, riechen, Hand drüber, riechen, probieren – aber halt: nicht schlucken. „Sie müssen das Olivenöl durch Ihren Mund ziehen, am besten lächeln sie dabei und ziehen ein bisschen Luft ein“, erklärt die junge Frau. „Geschluckt wird später, dann erst spüren sie die leichte Schärfe des Öls.“

Das liebste Produkt ist den Touristinn­en und Touristen hier ein Öl aus zwei Olivensort­en, ein Cuvée sozusagen: „Unser DOP-Öl wird nur aus Oliven dieses kleinen Gebiets hergestell­t.“Es ist, verrät Francesca, der Lamborghin­i unter den Olivenölen.

Auch in der Trattoria Il Riolet in Gordone wird zum Abendessen Olivenöl aus der Region serviert. Viele Restaurant­s arbeiten inzwischen mit Hersteller­n aus der Nachbarsch­aft zusammen, um nachhaltig­e Produkte anbieten zu können. Eines davon ist die Coregone, ein magerer Fisch aus dem Gardasee, in dem davon abgesehen auch der Hecht und der Alborella zuhause sind.

Während im Riolet noch diniert wird, sind in Sermerio für diesen Abend schon die meisten Lichter ausgegange­n. Irgendwann, munkeln die Bewohner, könnte sich das aber wieder ändern: Ein Investor hat offenbar Interesse am Hotel angemeldet. Dann könnte vielleicht auch Sermerio wieder stärker vom Gardasee-Glück profitiere­n …

 ?? Fotos: Nicole Prestle ?? Die Hochebene von Tremosine (oben) mit Blick auf den Gardasee ist nicht nur bei Wanderern beliebt, sondern auch bei Fein‰ schmeckern. Unten zu sehen: Polenta Cusa, verfeinert mit Käse aus der Hochebene von Tremosine, ist eine Spezialitä­t im Lokal der Genossensc­haft Alpe del Garda in Sermerio. Dazu wird Rindfleisc­h mit Käse und Gemüse serviert.
Fotos: Nicole Prestle Die Hochebene von Tremosine (oben) mit Blick auf den Gardasee ist nicht nur bei Wanderern beliebt, sondern auch bei Fein‰ schmeckern. Unten zu sehen: Polenta Cusa, verfeinert mit Käse aus der Hochebene von Tremosine, ist eine Spezialitä­t im Lokal der Genossensc­haft Alpe del Garda in Sermerio. Dazu wird Rindfleisc­h mit Käse und Gemüse serviert.
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 ??  ?? Der Zitronenga­rten Malora in Gargnano wird auf traditione­lle Weise betrieben.
Der Zitronenga­rten Malora in Gargnano wird auf traditione­lle Weise betrieben.
 ??  ?? Der Olivenhain der Familie Manestrini, die aus den Oliven Öle presst.
Der Olivenhain der Familie Manestrini, die aus den Oliven Öle presst.
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