Mittelschwaebische Nachrichten
Für Volt steht Florian Lipp unter Strom
Warum sich der 31 Jahre alte Industriedesigner aus Günzburg für die proeuropäische Kleinpartei Volt engagiert und im Wahlkreis Neu-Ulm um Stimmen wirbt
Günzburg Schottland und Schweden im Norden, Malta im Süden, Portugal im Westen und Rumänien im Osten. Das sind – grob umrissen – die Außenmarkierungen des Feldes, auf dem sich die junge Partei Volt bewegt. Die Partei, im Jahr 2017 unter anderem von Damian Hieronymus Johannes Freiherr von Boeselager gegründet (der Großvater war Widerstandskämpfer in NaziDeutschland), versteht sich als progressiv, pragmatisch und paneuropäisch. Boeselager sitzt für Volt Europa übrigens seit 2019 im Europaparlament. Außerdem ist seit März dieses Jahres die niederländische Sektion in die Zweite Kammer mit drei (von 150) Abgeordneten eingezogen. Es ist die wichtigere der beiden Parlamentskammern.
In 29 europäischen Ländern ist die junge Partei politisch aktiv, in über der Hälfte davon (16) ist sie national zugelassen, erzählt der Günzburger Florian Lipp, der im Wahlkreis Neu-Ulm Volt-Direktkandidat für die Bundestagswahl ist.
Der Industriedesigner hätte es vermutlich vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehalten, dass er sich einmal politisch engagiert. Seine Eltern wundern sich noch heute darüber, sagt er und grinst.
Wie aber ist es dazu gekommen, dass es zwischen dem 31-Jährigen und Volt gefunkt hat? Vermutlich lag’s am Wahl-O-Mat – einer Wahlentscheidungshilfe, die von der Bundeszentrale für politische Bildung seit nun fast 20 Jahren vor wichtigen Wahlen betrieben wird. Online können eigene Positionen mit der von Parteien in vielen Politikfeldern verglichen werden. Zum Schluss wird der Grad an Übereinstimmung aufgelistet.
Lipp war im Vorfeld der Europawahl mit dem Resultat nicht zufrieden. Mit den etablierten Parteien – egal ob Grüne, SPD oder Union – lagen die Gemeinsamkeiten zwischen 60 und 70 Prozent. „Nicht sonderlich viel“, sagt Lipp. Volt fiel ihm zu dieser Zeit auf, weil die proeuropäische Kleinpartei vor dem Kölner Verwaltungsgericht erfolgreich gegen den Wahl-O-Mat in seiner damaligen Form geklagt hatte. Sie sah sich durch entsprechende Einstellungen, die Nutzer treffen müssten, benachteiligt. Das hat Lipp imponiert.
Wenn man als Partei ganz am Anfang steht, kann es mit einer innerparteilichen Karriere ziemlich schnell gehen. Vor gut einem Jahr ist der frühere Schüler des AlbertusGymnasiums Lauingen in die Partei eingetreten – just zu jenem Zeitpunkt, als die Menschen den ersten Lockdown hinter sich hatten und Corona eine kurze Sommerpause einlegte. Inzwischen ist er Regionalgruppenleiter des Teams Ulm/NeuUlm – das sind etwa 20 politisch Gleichgesinnte. Ein Viertel davon bringt sich aktiv ein – ist dabei, wenn Wahlplakate aufgehängt werden und an Infoständen der Versuch unternommen wird, mit potenziellen Wählerinnen und Wählern ins Gespräch zu kommen.
Welchem Lager kann Volt im politischen Spektrum zugerechnet werden? „Wir sind linker als die Union und die FDP“, sagt Florian Lipp, dem eine solche Einordnung eigentlich gar nicht gefällt, denn eine Assoziation mit dem LinksRechts-Lager sei zu eindimensional und werde den komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht gerecht. Überzeugt ist er davon, dass Klimaschutz mindestens auf europäischer Ebene angegangen werden muss. Im nationalen Kontext werde man zu wenig erreichen.
Noch scheinen die Menschen nicht viel mit Volt und ihrer Position anfangen zu können – vorgeworfen würde ihnen vom Neoliberalismus bis zum Sozialismus alles. Wenn der Blick aber nicht flüchtig bleibe, sondern sich am Wahlkampfstand ein Gespräch entwickle, „haben wir danach fast nur positive Rückmeldungen. Ich würde sagen es sind ungefähr acht von zehn.“
Soziale, ökologische und liberale Aspekte vereinen sich Lipp zufolge in seiner Partei. Zu den Forderungen gehören beispielsweise der massive Ausbau digitaler Angebote insbesondere im Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Kohleausstieg Deutschlands bis 2030 und die Klimaneutralität im Jahr 2040. Dazu kann nach Lipps Auffassung die Landwirtschaft in einem spürbaren Maß beitragen – indem Tierbestände auf sinnvolle Weise reduziert und der Preis von Fleisch angemessen erhöht würde: ein Programm gegen die Massentierhaltung und unerfreuliche Begleiterscheinungen.
Seit fünf Jahren arbeitet Lipp nach seinem Industriedesign-Studium in München bei Busse Design+Engineering in Elchingen (Kreis Neu-Ulm). Jetzt hat er sich für vier Wochen eine unbezahlte Auszeit genommen, um Volt und die Botschaft der Partei zu den Menschen zu bringen – auf öffentlichen Plätzen, aber auch von Haustür zu Haustür. Den Verzicht auf das Monatsgehalt nimmt der Überzeugungstäter in Kauf.