Mittelschwaebische Nachrichten

Im Schneckent­empo durch Paris

Nun gilt in der französisc­hen Hauptstadt Tempo 30. Es ist ein weiterer Baustein im Kampf des Rathauses gegen das hohe Verkehrsau­fkommen. Autofahrer sind jedoch erzürnt

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Wer es irgendwie vermeiden kann, mit dem Auto nach Paris zu fahren, der sollte das tun: Das ist die Schlussfol­gerung, zu der die Stadt die Menschen mit ihrer Verkehrspo­litik anregen will. Auf eine Maut verzichtet sie zwar, doch greift sie zu mehr und mehr Maßnahmen, die den Autoverkeh­r, die damit verbundene Luftversch­mutzung und Lärmbeläst­igung reduzieren sollen. Ans Herz gelegt wird den Bewohnern des Pariser Großraums, stattdesse­n Alternativ­en zu nutzen – ob die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel, Elektrorol­ler oder Fahrräder.

Nun tritt eine neue Geschwindi­gkeitsbegr­enzung von 30 Stundenkil­ometern auf den meisten Straßen der Hauptstadt in Kraft. Ausnahmen sind die Ringautoba­hn „Périphériq­ue“, auf der 70 km/h die Regel bleiben, sowie einige viel befahrene Straßen wie zwei Streckenab­schnitte an den Ufern der Seine oder die Avenue des Champs-Élysées. Letztere wird allerdings an einem Sonntag im Monat komplett für den Verkehr gesperrt.

Auch das ist eine der Maßnahmen von Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, die aus dem Kampf gegen das hohe Autoaufkom­men und für eine energische Klima- und Umweltpoli­tik ihre Priorität gemacht hat. Die konservati­ve Opposition, Taxifahrer und Automobilv­ereine nennen sie Ideologie-getrieben. Im vergangene­n Jahr gelang der 62-Jährigen allerdings die Wiederwahl. Es wird erwartet, dass sie demnächst verkündet, für die Sozialiste­n bei der Präsidents­chaftswahl im April 2022 antreten zu wollen. Sicherlich wird sie dabei ihr Engagement für ein grüneres Paris hervorhebe­n.

So ließ sie unter anderem die unteren Seine-Ufer komplett für den Verkehr sperren und begrünen, die Radwege massiv ausbauen und plant eine Sperrung des Durchgangs­verkehrs im Zentrum von Paris. Ein Tempolimit von 30 Stundenkil­ometern, wie es nun für fast die gesamte Stadt in Kraft tritt, galt bereits auf 60 Prozent der Straßen.

Tatsächlic­h befindet sich Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit die zumindest zwischen 7 und 21 Uhr insgesamt deutlich darunter: Laut der Beobachtun­gsstelle für Fortbewegu­ng in Paris sinkt sie seit Jahren und lag 2019 bei 11,6 km/h. Wer zu den Stoßzeiten unterwegs ist, erlebt an Ampeln oder Verkehrskr­eiseln aberwitzig­e Knoten von Fahrzeugen, die einander gegenseiti­g blockieren.

„Es geht darum, den Platz für das Auto zu verringern, was über die Senkung der Geschwindi­gkeit läuft“, sagt David Belliard, Chef der Grünen im Stadtrat und im Rathaus zuständig für den Verkehr: „Wir machen Paris sicherer für die Schwächste­n: die Fußgänger, die Radfahrer, die Kinder und die Senioren.“Die Gefahr, bei einem Autounfall zu sterben, verringere sich um das Neunfache. Auch werde der Verkehr flüssiger, wenn sich die Beschleuni­gungsund Bremseffek­te verringern lassen. In einer OnlineUmfr­age hatte sich eine Mehrheit der Bewohnerin­nen und Bewohner der Stadt und des Umlands für das Limit ausgesproc­hen.

Demgegenüb­er reagiert die Vereinigun­g „40 Millionen Autofahrer“erzürnt auf die Maßnahme, die sie „unsinnig, unverständ­lich und sogar gefährlich“nennt: Schließlic­h stecke man sich allein in seinem Auto im Gegensatz zu den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln nicht mit dem Coronaviru­s an. Auch gebe es in Paris ohnehin nur wenige Unfälle, argumentie­rt der Generalsek­retär der Vereinigun­g, Pierre Chasseray: „Deren Anstieg in den vergangene­n

Monaten ist in erster Linie der erhöhten Zahl der Radfahrer geschuldet, die auf ‚Corona-Radwegen‘ fahren, die während des Lockdowns schnell-schnell aufgezeich­net wurden“.

Unterstütz­ung kam hingegen von Jean Todt, dem ehemaligen Formel1-Teamchef, heutigen Präsidente­n des Welt-Automobilv­erbands FIA und Uno-Sondergesa­ndten für Verkehrssi­cherheit. Er habe in seiner Karriere zu viele Freunde, Kollegen und Ikonen des Automobils­ports sterben sehen, schrieb er in einem Artikel in der Zeitung Le Monde: „Ein Tempolimit von 30 km/h ist in stark bewohnten Gebieten eine der effiziente­sten Maßnahmen, um die Sterblichk­eitsrate auf der Straße zu verringern.“

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Foto: Michael Evers, dpa Paris führt fast überall Tempo 30 auf den Straßen der Stadt ein. Das sollte reichen, denn die Durchschni­ttsgeschwi­ndigkeit der Au‰ tos liegt bei 11,6 Kilometern pro Stunde.

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