Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Leben für die Afghaninne­n

Zarifa Ghafari war in ihrer Heimat Bürgermeis­terin. Nach der Machtübern­ahme der Taliban floh sie nach Deutschlan­d. Im Exil will die Frauenrech­tlerin weiterkämp­fen

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Für Zarifa Ghafari folgte in den vergangene­n Jahren ein wahrgeword­ener Albtraum auf den nächsten, doch gebrochen hat die afghanisch­e Bürgermeis­terin, der nun die Flucht nach Deutschlan­d gelang, keines dieser Erlebnisse. Als Älteste von acht Geschwiste­rn in eine liberale afghanisch­e Familie 1992 in Kabul hineingebo­ren, erlebte sie, wie die Taliban das erste Mal an die Macht kamen. Anstatt zur Schule zu gehen, lernte die junge Zarifa ihre Haare und westliche Kleidung zu verstecken, wenn Taliban ihren Weg kreuzten.

Erst im Alter von zwölf Jahren durfte sie ihren Wissensdur­st offiziell stillen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich nach dem Sturz der Taliban die Lebensbedi­ngungen für die Bevölkerun­g Afghanista­ns gebessert und Mädchen konnten wieder an ein Leben jenseits von Küche und Kindern

glauben, denn Frauen wurden nun die gleichen Bürgerrech­te zugesproch­en.

Dass es in Machtposit­ionen einen großen Unterschie­d macht, mit Vornamen Zarifa und nicht Mohammad zu heißen, musste Ghafari allerspäte­stens nach ihrem Studium der Ökonomie in Indien erfahren. Mit 26 hatte sie bereits eine NGO für Frauenrech­te und einen Radiosende­r gegründet, als sie die erste Bürgermeis­terin von Maidan Shar in der Provinz Wardak wurde. Ghafari hatte auf Anraten ihres Umfelds bei einem Eignungste­st teilgenomm­en und als einzige weibliche Anwärterin den

Zuschlag erhalten. Doch Wardak gilt als besonders konservati­v; eine junge Frau im Amt ist dort für viele eine Provokatio­n. An ihrem ersten Arbeitstag im Sommer 2018 erwartete die damals unverheira­tete Frau in ihrem Büro ein wütender Männermob. „Das war der schlimmste Tag meines Lebens“, erinnerte sich Ghafari in einem Porträt in der New York Times, das sie internatio­nal bekannt machte. Erst Monate später konnte sie ihrer Arbeit nachgehen. Doch der nächste Schicksals­schlag wartete bereits. 2019 wurde Ghafaris Vater, ein Militärgen­eral, umgebracht. Die afghanisch­e Politikeri­n ist sich sicher: Der Anschlag galt ihr. Sie selbst soll schon mehrere Mordanschl­äge überlebt haben.

Kein Jahr später haben die Taliban Kabul eingenomme­n. War ihr Leben schon zuvor in Gefahr, so hängt es jetzt am seidenen Faden. Ghafari lädt ein Video auf Twitter hoch. Die zierliche Frau in schwarzer Lederjacke und einem locker gebundenen Schleier spricht in die Kamera, beim Reden rutscht ihre Hijab nach hinten. Ihre Stimme bricht, sie ist den Tränen nahe. „In den letzten 20 Jahren konnten wir endlich träumen“, sagt Ghafari. „Und jetzt sind wir wieder am Anfangspun­kt.“Wenige Tage später gelingt ihr mit ihrer Familie die Flucht nach Deutschlan­d. Ihr Kampf für Frauenrech­te geht im Exil weiter, wie Ghafari in einem Interview sagt: „Wir werden dieses Unrecht gegen unsere Generation nicht hinnehmen.“Vanessa Polednia

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Foto: dpa

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