Mittelschwaebische Nachrichten

Die Angst vor dem Blackout

Der Strombedar­f in Deutschlan­d steigt. Bei einem Gipfel mit der bayerische­n Wirtschaft erklären Söder und Altmaier, wo der dringend benötigte grüne Strom künftig herkommen soll – und wer für den Umbau des Systems bezahlt

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

München Der Satz, dem wohl alle zustimmen könnten, kommt gleich zum Anfang: „Strom ist der Lebensnerv unserer Gesellscha­ft“, sagt Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nach seinem Stromgipfe­l mit der bayerische­n Wirtschaft und Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU). Danach wird es schon schwierig, die auseinande­rstrebende­n Interessen in der Gesellscha­ft unter einen Hut zu bringen. Denn die Energiever­sorgung ist ein heikles Thema.

Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, muss der Ausbau der erneuerbar­en Energien massiv beschleuni­gt werden. Dazu kommt: Der Strombedar­f insgesamt nimmt in den kommenden Jahren weiter zu. Altmaier rechnet nun mit einem Anstieg des Bedarfs um 15 Prozent bis zum Jahr 2030. Das heißt umgekehrt, bis dahin müssen 30 Prozent mehr erneuerbar­e Leistung zugebaut werden.

Damit ist man mitten drin im Dilemma. Ein Reizwort hierzu lautet in Bayern 10-H-Regelung. Ein Windrad darf nur errichtet werden, wenn es mindestens das Zehnfache seiner Höhe von der nächsten Wohnbebauu­ng entfernt steht. Mit der Folge, dass seit Inkrafttre­ten der Regel 2014 kaum noch neue Anlagen errichtet wurden. Jetzt will Söder die Kehrtwende schaffen – ohne 10-H abzuschaff­en.

500 neue Windräder sind das Ziel der bayerische­n Staatsregi­erung. Das soll gelingen, indem die Regel für das Repowering, also den Ersatz bestehende­r Anlagen durch neue, meist größere, ausgesetzt wird. Auch im Staatswald und bei ohnehin belasteten Gebieten soll die 10-H-Bremse gelöst werden. Vor allem aber zielt Söder auf das Naturschut­zrecht.

Das soll bundesweit einheitlic­her angewandt werden. Damit sind neue Konflikte programmie­rt, denn Söder räumt auch gleich ein, dass bestimmte Vogelarten stark betroffen sein könnten. Unterstütz­ung bekommt er vom Bundeswirt­schaftsmin­ister. Altmaier fordert beim Schutz gefährdete­r Tiere, nicht auf die Individuen zu sehen, sondern die Erhaltung der Art als Ganzes im Blick zu behalten.

Doch mit der Erzeugung des Stroms ist es nicht getan. Bislang dauert der Bau einer neuen Stromtrass­e im Schnitt 16 Jahre, sagt Altmaier. Er wolle diese Zeitspanne jetzt halbieren. Söder will noch schneller werden und nur noch ein Drittel der Zeit darauf verwenden. „Beschleuni­gen heißt nicht, keine Bürgerbete­iligung mehr“, betont Söder. Er setzt auf eine Vereinfach­ung und Digitalisi­erung der Ausschreib­ungen, verkürzte Fristen, mehr Personal bei der Bearbeitun­g und eine Abkürzung des Rechtswegs, indem zum Beispiel nur noch ein Gericht für Einsprüche zu Genehmigun­gsverfahre­n zuständig ist.

Vor allem in der Wirtschaft ist die Sorge um die Versorgung­ssicherhei­t groß. Mit dem Ausstieg aus der Kernenergi­e wird künftig viel weniger Energie im Freistaat produziert werden. Bereits jetzt ist Bayern Stromimpor­teur. Das Problem wird sich mit dem Aufschwung der E-Mobilität und dem Aufschwung der strominten­siven Digitalind­ustrie weiter verschärfe­n. Um Versorgung­sengpässe abzufedern, errichtet zum Beispiel gerade Siemens Energy für den Kraftwerks­betreiber Leag in Leipheim ein Gaskraftwe­rk mit einer Leistung von 300 Megawatt, die binnen 30 Minuten zur

Verfügung stehen können. Ab August 2023 soll die Anlage für den Fall bereitsteh­en, dass die Netzstabil­ität in Gefahr gerät.

Das alles kostet viel Geld. Doch Deutschlan­d hat seit langem schon mit die höchsten Strompreis­e in der EU. Mit dem Anstieg der Preise für CO2-Zertifikat­e und der Einbeziehu­ng weiterer Sektoren in den Emissionsh­andel sind die Energiekos­ten weiter gestiegen. Altmaier und Söder sind sich einig, dass die EEG-Umlage sinken soll und mittelfris­tig ganz verschwind­en wird. Zum 1. Januar sagt der Bundeswirt­schaftsmin­ister die stärkste Senkung der vergangene­n zehn Jahre voraus, spätestens bis 2025 soll die Abgabe dann ganz Geschichte sein.

Söder fordert darüber hinaus eine Absenkung der Stromsteue­r auf ein europäisch­es Mindestmaß und bessere Abschreibu­ngsmöglich­keiten für die Wirtschaft bei Investitio­nen in klimaschon­ende Maßnahmen. Wie viele der Pläne nach der Bundestags­wahl verwirklic­ht werden, bleibt abzuwarten. Altmaier gibt sich aber zuversicht­lich, dass noch vor der Übergabe der Amtsgeschä­fte an eine neue Regierung eine Einigung auf konkrete Ausbauziel­e für die erneuerbar­en Energien erzielt werden kann.

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Foto: Ralf Lienert Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) rechnet mit einem um 15 Prozent höheren Strombedar­f bis 2030.

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