Mittelschwaebische Nachrichten

„Das Dahinveget­ieren hat ein Ende“

In Erlangen wird ein Medikament an Long-Covid-Patienten getestet. Einer kommt aus dem Allgäu – und ist begeistert

- VON HELMUT KUSTERMANN

Aitrang/Erlangen Oliver Goldbach hat ein schönes Wochenende verbracht. Er betreute ein Allgäuer Team beim Ötztaler Radmaratho­n, stand an einer Verpflegun­gsstelle am Brenner und saß dann gemütlich in einem Café. Noch vor wenigen Wochen wäre all das für ihn unmöglich gewesen. Der 51-Jährige konnte nach einer Corona-Erkrankung kaum Treppen steigen, litt an Gedächtnis­störungen und zitterte so stark an Hand und Arm, „dass ich dachte, ich habe Parkinson“. Doch eine Infusion an der Erlanger Uniklinik habe aus ihm wieder einen anderen Menschen gemacht, sagt der Ostallgäue­r. Die Long-CovidSympt­ome seien wie weggeblase­n gewesen: „Das Dahinveget­ieren hat ein Ende.“Das Medikament, das noch nicht zugelassen ist, soll nun in einer klinischen Studie erprobt werden. Sogenannte Heilversuc­he bei insgesamt vier Patientinn­en und Patienten waren erfolgreic­h.

Für Oliver Goldbach lief es gut im Leben. Der Vertriebsm­anager aus Aitrang (Kreis Ostallgäu) arbeitete erfolgreic­h bei einem Software-Unternehme­n. In seiner Freizeit bereitete ihm der Sport viel Freude, Goldbach war Ironman-Triathlet und Skilangläu­fer. Doch dann brach innerhalb weniger Monate alles zusammen. Erst habe ihn seine Frau verlassen, sagt der 51-Jährige, und dann kam dieser 7. Mai 2020. Goldbach arbeitete im Homeoffice, „als ich plötzlich mit meiner Energie ziemlich am Ende war und Konzentrat­ionsproble­me hatte“. Am nächsten Tag bekam er Schüttelfr­ost. Und der begeistert­e Sportler war schon beim Rasenmähen außer Puste und konnte kaum noch schlafen.

Ein Test beim Hausarzt förderte die Ursache der Beschwerde­n zutage: Goldbach hatte sich mit dem Coronaviru­s infiziert. „In den ersten zwei Wochen habe ich neun Kilo Muskelmass­e abgebaut“, erinnert er sich. Und die Probleme wurden immer größer: „Ich konnte auch nicht mehr lesen oder einen Film anschauen. Denn ich habe den Inhalt nicht im Kopf behalten.“Von einem solchen „Gehirnnebe­l“berichten viele Long-Covid-Patienten. Goldbach spricht auch von Zusammenbr­üchen, Panikattac­ken und epileptisc­hen Anfällen.

Zwei Klinikaufe­nthalte, bei denen er psychiatri­sch behandelt wurde, hätten ihn nicht weitergebr­acht. Und auch der Versuch einer berufliche­n Wiedereing­liederung scheiterte im August 2020: „Ich war in vier

Stunden so produktiv wie früher in zehn Minuten. Mein Selbstbewu­sstsein war auf null gesunken. Auch das ist ein typisches Merkmal von Long-Covid.“Wegen seiner Gleichgewi­chtsproble­me konnte er häufig weder Autofahren noch aufs Fahrrad oder Motorrad steigen.

Unterdesse­n hatte die Uniklinik Erlangen mithilfe einer Studie herausgefu­nden: Wer eine Corona-Erkrankung hinter sich hat, bei dem wird die Netzhaut noch Monate später nur eingeschrä­nkt durchblute­t. Die Forschende­n nahmen an, dass dies nicht auf das Auge begrenzt ist, sondern den gesamten Körper betrifft. Nach einer Covid-Erkrankung seien sogenannte Autoantikö­rper im Blut, die Körperstru­kturen schädigen und die Durchblutu­ng beeinträch­tigen können, sagt Augenärzti­n Dr.Bettina Hohberger. Das Medikament BC 007 könne diese Antikörper neutralisi­eren. Anfang Juli gab es laut Uniklinik den „weltweit ersten erfolgreic­hen Heilversuc­h bei einem 59-jährigen Long-Covid-Patienten“.

Ein Freund habe das mitbekomme­n und ihn informiert, erzählt Goldbach. Für den Ostallgäue­r war das ein Strohhalm, nach dem er sofort griff: „Ich habe der Uniklinik geschriebe­n und meine Symptome geschilder­t.“Dann ging alles sehr schnell: Goldbach bekam den Anruf eines Oberarztes, es folgte eine Untersuchu­ng in Erlangen und zwei Wochen später die Infusion mit BC 007, das ein Berliner Start-up-Unternehme­n entwickelt hatte.

Als zweiter Patient bekam Goldbach die Infusion. Mehrere Mediziner seien dabei gewesen, erzählt der Aitranger: „Ihnen habe ich mein ganzes Vertrauen geschenkt.“75 Minuten dauerte die Prozedur, und schon während der Infusion hatte der Allgäuer ein gutes Gefühl: „Da hörte bereits mein Zittern auf.“Als noch am selben Tag eine Untersuchu­ng stattfand, „bin ich eine Treppe runtergesp­rungen, ohne den Handlauf zu benutzen. Ein unglaublic­h gutes Gefühl“. Etwa vier Wochen liegt die Infusion nun zurück, und Goldbach ist nach wie vor guter Dinge: „Ja, es geht wieder, und das Leben macht Freude.“Die Infusion hat er am 28.Juli bekommen. Für Goldbach ist das sein „zweiter Geburtstag“.

In Erlangen haben Heilversuc­he mit vier Long-Covid-Patientinn­en und -Patienten stattgefun­den. Nun habe man einen Fördergeld-Antrag beim Bundesfors­chungsmini­sterium gestellt, sagt Prof. Dr. Christian Mardin, leitender Oberarzt der Augenklini­k. „Dann könnten wir vielleicht noch dieses Jahr mit einer klinischen Studie starten.“Dies ist eine Voraussetz­ung dafür, dass das Medikament zugelassen wird. Bei den von der Uniklinik Erlangen betreuten Patientinn­en und Patienten hätten sich mehrere Vorteile von BC 007 gezeigt, sagt Bettina Hohberger: „Es wirkt sofort, beseitigt alle Symptome und hat keine Nebenwirku­ngen.“Ihres Wissens nach sei es das einzige Medikament gegen Long-Covid, das derzeit in Deutschlan­d getestet werde.

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Foto: Martina Diemand Der Allgäuer Oliver Goldbach litt mona‰ telang an den Folgen einer Covid‰Er‰ krankung.

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