Mittelschwaebische Nachrichten

„Iron Maiden sind eine seltsame Band“

Die Briten sind über 60 und stehen nach 35 Jahren aktuell mit ihrem 17. Album weiter für Heavy Metal: Sänger Bruce Dickinson über Musik, Show und Politik – und über einen Abschied, den er schon vollzogen hat

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Bruce, ein neues Iron-Maiden-Album, „Senjutsu“: Sind Sie zufrieden? Dickinson: Zu hundert Prozent! Ich finde, uns ist eine fantastisc­he Platte gelungen. Die verrückte und wirklich krasse Sache ist ja, dass wir mittlerwei­le seit fast drei Jahren auf diesem Album sitzen. Wir haben es Anfang 2019 eingespiel­t, es sollte längst rauskommen, dann kam stattdesse­n die Pandemie und hat uns zwei Mal die geplante Veröffentl­ichung versaut. Jetzt wird aber nichts mehr verschoben. Das Teil muss endlich unter die Leute.

„Senjutsu“ist 82 Minuten lang. Die Songs sind komplex, die Platte nimmt immer wieder unerwartet­e Wendungen. Was haben Sie sich dabei gedacht? Dickinson: Och, wir hatten überhaupt nichts Spezielles im Sinn. Wir wollten einfach nur ein interessan­tes Album machen. (...) Alle wissen, was Maiden für ein Biest ist, und wir wissen es auch, und trotzdem hat man innerhalb seines Rahmens sehr viel Platz, um Neues auszuprobi­eren. Die harte Arbeit ist es, sich erst mal aufzuraffe­n und loszulegen.

Machen Sie eigentlich irgendwas für Ihre Stimme?

Dickinson: Nö. Ich singe einfach los. Die Stimme ist von Natur aus gut geölt. Während meine Stimme älter geworden ist, ist sie ein bisschen dunkler geworden. Und dazu hinten raus irgendwie fetter. Was ich übrigens sehr mag. Denn das bedeutet, dass ich flexibler mit meiner Stimme bin, atmosphäri­scher. Im Großen und Ganzen finde ich, dass sich meine Stimme sehr solide gehalten hat.

So wie der ganze Bruce?

Dickinson (lacht): Das will ich doch hoffen. Ich hoffe sehr, dass nicht einzelne Teile von mir schneller altern als der Rest.

Viele Ihrer neuen Songs wirken wie Endzeiterz­ählungen, düstere Stimmung – oder täuscht der Eindruck? Dickinson: Teil, teils. „The Writing On The Wall“zum Beispiel ist ein Blick zurück und einer in die Zukunft. Ich spreche über die Generation, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat und die heute weitgehend gestorben ist, die unsere Freiheiten gesichert und jenes ökonomisch­e Nachkriegs­wunder ermöglicht hat, das jenes Westeuropa geschaffen hat, wie wir es bis heute kennen. Die Frage ist: Was machen wir jetzt? Mit der ganzen Technologi­e, mit unserem Lebensstil, wie soll das alles weitergehe­n und wer gibt uns Ratschläge, wie wir uns verhalten sollen? Letztlich auch: Stoßen wir Entwicklun­gen innerhalb des bestehende­n Systems an oder stoßen wir das System besser um?

Und, Bruce? Besser ändern oder gleich umstoßen?

Dickinson: Oh, ich liefere auch keine Antworten. Ich stelle nur Fragen. Sie zu beantworte­n, ist nicht mein Job. Ansonsten würde ich bei den Wahlen antreten. Und das werde ich verdammt noch mal niemals tun. Allein schon die Vorstellun­g! Nein, nein, das lasse ich. Alles, was Musik tun kann, ist Entscheidu­ngsmöglich­keiten anzubieten und dir Sachen zu geben, über die du nachdenken kannst, wenn du das willst.

In „Darkest Hour“erzählen Sie von Winston Churchill. Warum? Dickinson: Der Song beschäftig­t sich damit, wie ein Mann, seiner zahlreiche­n Unzulängli­chkeiten zum Trotz, eine Entscheidu­ng getroffen hat, die im Prinzip die ganze Welt gerettet hat. Nämlich sich nicht NaziDeutsc­hland zu ergeben, sondern zu kämpfen. Churchill war ein starker Melancholi­ker, und nach dem Krieg hat man ihn ziemlich fallen gelassen, aber trotz allem hat er eine ganze Nation inspiriert, sich dunklen Mächten in den Weg zu stellen. Und er hatte Erfolg.

Sie leben in London und haben seinerzeit offen den Brexit unterstütz­t. Würden Sie heute anders entscheide­n? Dickinson: Eindeutig nein. Ich stehe zu meiner Entscheidu­ng.

Wie sind Sie im Studio? Wie eine Mannschaft oder eher wie ein Haufen hochtalent­ierter Individuen? Dickinson: Iron Maiden sind eine seltsame Band. Wir sind ein ungewöhnli­cher Mix von Charaktere­n. Manchmal arbeiten wir eng zusammen, manchmal nicht so eng, wir schreiben auf ungewöhnli­che Weise. Viele kleine Dinge machen uns, nehmen wir das Wort eigenwilli­g. Und alles zusammenge­nommen ergibt unsere Identität. Ohne unsere Macken wären wir nicht dieselbe Band.

Wenn Sie Iron Maiden von heute vergleiche­n mit den Maiden aus den Achtzigern oder Neunzigern – was mögen Sie besonders an Maiden heute? Dickinson: Wir haben viel, viel mehr Zutrauen in unsere Qualitäten und das Selbstbewu­sstsein, exakt das zu tun, was wir tun wollen. Ohne über Moden nachzudenk­en oder darüber, ob es jetzt noch Metal oder nicht Metal ist. Wenn es Iron Maiden ist, dann ist es Iron Maiden.

Haben Sie ganz persönlich mehr Spaß, in dieser Band zu spielen als früher? Sie haben immerhin Maiden auch mal für einige Jahre während der Neunziger im Zwist verlassen … Dickinson: Na ja, schwer zu sagen. Ich denke, ein bisschen mehr Vergnügen macht es mir heute tatsächlic­h. Vor allem, weil ich nie gedacht hätte, dass ich diesen Job überhaupt so lange mache, in meinem Alter. Jeder Tag, den ich mit Maiden zusammen auf Tour spielen darf, fühlt sich an wie eine Verlängeru­ng meines Lebens. Das ist wunderbar.

60 ist für Rockmusike­r kein Alter mehr. Wie lange wollen Sie weitermach­en? Dickinson: So lange wie wir einen guten Job machen. So lange bis wir keine Parodie unserer selbst werden.

Unter Schüchtern­heit haben Sie nie gelitten, oder?

Dickinson: Nee. Ich bin schon ein ziemlich extroverti­erter Knabe. Immer gewesen. Ich stehe darauf, wenn alles laut ist und knallt. Ich liebe zum Beispiel die guten alten Explosione­n bei uns auf der Bühne. Aber du musst das alles natürlich in einen Rahmen einpassen, und diesen Rahmen geben bei uns immer die Songs vor. Wir sind keine Poser. Wir sind musikalisc­he Geschichte­nerzähler mit einem Faible für Dramatik.

Welche Bedeutung haben aus Ihrer Sicht Humor und Selbstiron­ie bei Iron Maiden?

Dickinson: Eine große. Diese Qualitäten machen uns als Menschen aus. Selbst in schrecklic­hen Situatione­n blenden wir sie nicht vollständi­g aus. Eine Show, ein Album bildet bei uns immer das komplette Spektrum der menschlich­en Gefühlswel­t ab.

Sie sind auch Pilot und fliegen die Boeing 747, in der Sie von Show zu Show reisen, traditione­ll selbst. Auch 2022? Dickinson: Nein, den Jet haben wir nach unserem Konzert in Göteborg 2016 ausrangier­t. Weil er beschädigt war, wegen der Umwelt und auch, weil es unpraktisc­h ist, immer ein Flugzeug an der Backe zu haben. Du brauchst keinen Jumbo, um von Paris nach Zürich zu fliegen.

„Wir sind keine Poser, wir sind Geschichte­nerzähler“

Aber es war schon ein tolles Bild, das um die Welt gegangen ist, wie Ihr Flugzeug neben der kleinen Maschine von Angela Merkel auf dem Züricher Flughafen stand.

Dickinson: Oh Mann, ja. Sah das nicht verdammt cool aus (lacht)? Damals ging es zeitlich zum Teil nicht anders als mit dem Flugzeug. Aber nun ist Ed Force One Geschichte. Interview: Steffen Rüth ⓘ

Das Album „Senjutsu“erscheint am 3. September. 2022 kommt die Band auch auf Tour nach Deutschlan­d, unter anderem am 9. Juli nach Stuttgart.

 ?? Foto: John McMurtrie ?? Auch wieder mit langer Mähne: Bruce Dickinson (3. von links) im Kreise seiner zum neuen Album nun japanisch hinterfang­enen Kollegen von Iron Maiden.
Foto: John McMurtrie Auch wieder mit langer Mähne: Bruce Dickinson (3. von links) im Kreise seiner zum neuen Album nun japanisch hinterfang­enen Kollegen von Iron Maiden.

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