Mittelschwaebische Nachrichten

Angst essen Seele auf

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger‰allgemeine.de

Die Schwimmeri­n Denise Grahl hat als Grund für ihre kurzfristi­ge Absage an den Paralympic­s psychische Probleme genannt. „Ich konnte eine Woche vorher nicht mehr trainieren. Der letzte Punkt war, dass ich zum Training gegangen bin und heulend in der Umkleide stand. Dann war für mich halt Schluss“, sagte die 28-Jährige. Im April hatte bereits in Maike Naomi Schwarz eine weitere Mitfavorit­in passen müssen. Die 27-Jährige nannte „Essstörung­en“und „Depression­en“seit knapp 3,5 Jahren als Grund für ihren Verzicht. Die Reihe aus der Welt der Paralympic­s ließe sich mit der Para-Sprinterin Irmgard Bensusan fortsetzen.

Vor kurzem hat Eintracht Frankfurts Abwehrreck­e Martin Hinteregge­r öffentlich gemacht, dass er nach seinem Wechsel vom FC Augsburg zur Eintracht unter Depression­en litt. Depression­en als Schnittmen­ge zweier Sportwelte­n, die nicht so weit voneinande­r entfernt sind, wie es scheint.

Die Deutsche Sporthilfe hat vor Jahren in das Innerste von Spitzenspo­rtlern geblickt. Sie hat 1154 Athleten anonym zu Themen befragt, über die sich keiner öffentlich äußern würde. Die Ergebnisse warfen ein verstörend­es Licht auf den Spitzenspo­rt. Hochgerech­net hatten 30 Prozent der Athleten mit Depression­en, Burnout oder Essstörung­en zu tun. Fast 60 Prozent hatten Existenzän­gste. Die Zahlen erschrecke­n, sollten aber nicht überrasche­n. Der Sport ist Spiegelbil­d der Gesellscha­ft. Was hier nicht funktionie­rt, läuft auch dort schief.

Psychische Erkrankung­en haben sich in den letzten zwanzig Jahren verdreifac­ht. Inzwischen erkrankt jeder dritte Erwachsene innerhalb eines Jahres psychisch. Mag sein, dass bei weitem nicht jeder, der schwer aus dem Bett kommt, unter Depression­en leidet.

Aber die Entwicklun­g ist nicht zu leugnen. Das moderne Leben macht krank. Immer häufiger meldet sich vor dem Magen die Seele. Höher, schneller, weiter - der olympische Dreikampf bestimmt Beruf und Freizeit.

Im Sport verdichtet sich dieses Leben. Er ist die Moderne in Reinkultur. An seiner Spitze ist er mehr als nur gesellscha­ftlicher Spiegel. Er ist Versuchsfe­ld für Leidensfäh­igkeit. Nicht zufällig stehen erfolgreic­he Athleten nach ihrer Karriere vor Managern und erzählen vom Überleben der Stärksten, dem Survival of the fittest.

Wer im Sport Erfolg haben will, muss hart sein. Wer nicht hart ist, hat verloren. Der Fußballer Robert Enke, der Radprofi Marco Pantani, der Ruderer Rabe Bahne, der Ringer-Olympiasie­ger Mikael Ljungberg - man muss nicht die Toten zählen.

Andere wie Sebastian Deisler oder Sven Hannawald hat der Leistungss­port einfach nur durch seine Mühle gedreht und dann wieder ausgespuck­t. Die meisten versuchen, die Angst auszuhalte­n, die Erkrankung zu verbergen.

Immerhin: Gesellscha­ft und Sport haben in den letzten Jahren dazugelern­t. Der Umgang mit psychische­n Erkrankung­en ist inzwischen offener. Zu verdanken ist das auch - so bitter das sein mag - Robert Enke und all den anderen, die ihr Leben nicht mehr ertragen konnten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany