Mittelschwaebische Nachrichten
Wie München Autofahrer aus der Innenstadt vertreiben will
Die Landeshauptstadt gibt Bussen, Fahrrädern und Passanten mehr Platz. Für Autos werden Straßen dafür enger und Parkplätze weniger. Der Handelsverband sieht das kritisch
München Fast jeden Tag fährt Maria Deingruber mit ihrem Fahrrad auf der Schwanthalerstraße südlich des Münchner Hauptbahnhofs zur Arbeit. Jedes Mal ist es ein dichtes Gedränge im Stoßverkehr, sowohl auf als auch neben den markierten Fahrradstreifen. Deingruber muss nicht nur auf plötzlich kreuzende oder auf dem Radweg parkende Fahrzeuge achten. Sie muss sich den etwa anderthalb Meter breiten Streifen auch noch mit Lastenrädern und E-Scootern teilen. Und dann gibt es da eine Stelle, an der es besonders brenzlig wird. Dann endet nämlich plötzlich der Radweg und Deingruber muss sich zwischen Bussen, Transportern und Autos durch den Berufsverkehr kämpfen.
Einfach mit der Situation abfinden will sich Maria Deingruber allerdings nicht. Die 36-Jährige setzt sich dafür ein, dass es auf Münchens Straßen für Fahrradfahrer und -fahrerinnen sicherer wird. Sie engagiert sich zum Beispiel im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), der seit vielen Jahren kritisiert, dass den Radfahrenden in deutschen Innenstädten zu wenig Platz eingeräumt wird. Auch die beiden Münchner Bürgerbegehren „Radentscheid“und „Altstadt-Radlring“mit über 160 000 Unterschriften hat der Klub mitinitiiert – seither ist die Stadt München mehr oder weniger dazu gezwungen, Radwege auszubauen. Doch das ist dem ADFC noch nicht genug. Er fordert darüber hinaus nicht nur breitere, sondern auch vom Autoverkehr baulich abgetrennte Radwege. Und dass Fahrräder an Ampeln Vorrang haben, sagt Maria Deingruber. „Nur wenn das Angebot stimmt und viele Menschen auf das Rad umsteigen, klappt es mit der Verkehrswende.“
In München sehen viele Autofahrer und -fahrerinnen solche Forderungen jedoch mit Sorge, weiß die Aktivistin. Denn der Platz auf den Straßen der über 1,5-MillionenEinwohner-Metropole ist nicht unbegrenzt. Mehr Raum für Radwege bedeutet im Umkehrschluss weniger Platz für Autos. Hinzu kommen im Sommer viele Baustellen im Stadtgebiet und die sogenannten Schanigärten – ehemalige Parkplatzflächen entlang der Straßen, die von Gastronomen und Gastronominnen in Restaurant-Außenbereiche umgewandelt wurden.
Viele Autofahrer beklagen deshalb: Es gibt mehr Staus und noch weniger Parkplätze. Die Landeshauptstadt will Schritt für Schritt immer mehr Autofahrende ausgrenzen, lautet gar der Vorwurf.
Offiziell heißt es seitens der Stadt München, man wolle bis 2025 den Anteil der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf 20 Prozent senken. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 lag in München der Anteil des Autoverkehrs an der gesamten Mobilität bei etwa einem Drittel. „Wir bauen in den nächsten Jahren massiv die Angebote für den sogenannten Umweltverbund aus, also für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Rad- und Fußverkehr“, sagt eine Sprecherin. Das trage nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern auch zur Stärkung der Aufenthaltsqualität in der Stadt. Derzeit arbeitet die Stadt daran, die Forderungen der beiden Bürgerbegehren in etwa 40 einzelnen Projekten umzusetzen. Ein Beispiel ist die Umwandlung der Pop-up-Radwege, die ursprünglich nur für begrenzte Zeit an großen Hauptstraßen angelegt waren und nun dauerhaft dort bleiben sollen.
Wenn es mit der Verkehrswende in München klappen soll, reicht ein Ausbau der Fahrradwege jedoch nicht annähernd aus. Denn auch der öffentliche Nahverkehr in München ist überlastet. Im Juni hat der Stadtrat deshalb beschlossen, bis 2035 drei neue U-Bahn-Linien und zehn neue Straßenbahnlinien zu bauen sowie den Busverkehr auszuweiten. Busse sollen auf eigenen Fahrspuren in der Stadt deutlich schneller unterwegs sein als heute. Auch Fußgängerinnen und Fußgänger sollen in der Landeshauptstadt mehr Platz bekommen. Alles in allem zeigt sich in den Beschlüssen: Der Autoverkehr ist auf der Prioritätenliste ganz unten angesiedelt.
Wolfgang Puff vom Handelsverband Bayern beobachtet diese Pläne kritisch. Er sagt, eine Weltmetropole brauche auch Menschen, die aus dem Umland mit dem Auto in die Stadt fahren. „Zur Mobilität gehört, dass alle Verkehrsteilnehmer Einlass zur Stadt haben.“
Viele Geschäfte in München seien auf ein gewisses kaufkräftiges Klientel angewiesen, das meist nur mit dem Auto unterwegs ist, sagt Puff. „Die städtischen Bauprojekte dürfen nicht immer zulasten des Autoverkehrs gehen.“Die große Auswahl an Läden trage maßgeblich zur Aufenthaltsqualität Münchens bei. „Die müssen wir behalten.“
Deingruber vom ADFC ist es wichtig, bei der Diskussion um die Verkehrswende nicht einzelne Verkehrsteilnehmende gegeneinander auszuspielen. Sie sagt: „Es geht uns nicht darum, den Autoverkehr zu schwächen, sondern die anderen Verkehrsteilnehmer und vor allem die Radfahrer zu stärken.“
Lesen Sie dazu auch den Kommentar „So geht Verkehrswende“auf der ersten Bayern-Seite.