Mittelschwaebische Nachrichten

Wie München Autofahrer aus der Innenstadt vertreiben will

Die Landeshaup­tstadt gibt Bussen, Fahrrädern und Passanten mehr Platz. Für Autos werden Straßen dafür enger und Parkplätze weniger. Der Handelsver­band sieht das kritisch

- VON OLIVER WOLFF

München Fast jeden Tag fährt Maria Deingruber mit ihrem Fahrrad auf der Schwanthal­erstraße südlich des Münchner Hauptbahnh­ofs zur Arbeit. Jedes Mal ist es ein dichtes Gedränge im Stoßverkeh­r, sowohl auf als auch neben den markierten Fahrradstr­eifen. Deingruber muss nicht nur auf plötzlich kreuzende oder auf dem Radweg parkende Fahrzeuge achten. Sie muss sich den etwa anderthalb Meter breiten Streifen auch noch mit Lastenräde­rn und E-Scootern teilen. Und dann gibt es da eine Stelle, an der es besonders brenzlig wird. Dann endet nämlich plötzlich der Radweg und Deingruber muss sich zwischen Bussen, Transporte­rn und Autos durch den Berufsverk­ehr kämpfen.

Einfach mit der Situation abfinden will sich Maria Deingruber allerdings nicht. Die 36-Jährige setzt sich dafür ein, dass es auf Münchens Straßen für Fahrradfah­rer und -fahrerinne­n sicherer wird. Sie engagiert sich zum Beispiel im Allgemeine­n Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), der seit vielen Jahren kritisiert, dass den Radfahrend­en in deutschen Innenstädt­en zu wenig Platz eingeräumt wird. Auch die beiden Münchner Bürgerbege­hren „Radentsche­id“und „Altstadt-Radlring“mit über 160 000 Unterschri­ften hat der Klub mitinitiie­rt – seither ist die Stadt München mehr oder weniger dazu gezwungen, Radwege auszubauen. Doch das ist dem ADFC noch nicht genug. Er fordert darüber hinaus nicht nur breitere, sondern auch vom Autoverkeh­r baulich abgetrennt­e Radwege. Und dass Fahrräder an Ampeln Vorrang haben, sagt Maria Deingruber. „Nur wenn das Angebot stimmt und viele Menschen auf das Rad umsteigen, klappt es mit der Verkehrswe­nde.“

In München sehen viele Autofahrer und -fahrerinne­n solche Forderunge­n jedoch mit Sorge, weiß die Aktivistin. Denn der Platz auf den Straßen der über 1,5-MillionenE­inwohner-Metropole ist nicht unbegrenzt. Mehr Raum für Radwege bedeutet im Umkehrschl­uss weniger Platz für Autos. Hinzu kommen im Sommer viele Baustellen im Stadtgebie­t und die sogenannte­n Schanigärt­en – ehemalige Parkplatzf­lächen entlang der Straßen, die von Gastronome­n und Gastronomi­nnen in Restaurant-Außenberei­che umgewandel­t wurden.

Viele Autofahrer beklagen deshalb: Es gibt mehr Staus und noch weniger Parkplätze. Die Landeshaup­tstadt will Schritt für Schritt immer mehr Autofahren­de ausgrenzen, lautet gar der Vorwurf.

Offiziell heißt es seitens der Stadt München, man wolle bis 2025 den Anteil der Fahrzeuge mit Verbrennun­gsmotor auf 20 Prozent senken. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 lag in München der Anteil des Autoverkeh­rs an der gesamten Mobilität bei etwa einem Drittel. „Wir bauen in den nächsten Jahren massiv die Angebote für den sogenannte­n Umweltverb­und aus, also für den öffentlich­en Personenna­hverkehr (ÖPNV), Rad- und Fußverkehr“, sagt eine Sprecherin. Das trage nicht nur zum Klimaschut­z bei, sondern auch zur Stärkung der Aufenthalt­squalität in der Stadt. Derzeit arbeitet die Stadt daran, die Forderunge­n der beiden Bürgerbege­hren in etwa 40 einzelnen Projekten umzusetzen. Ein Beispiel ist die Umwandlung der Pop-up-Radwege, die ursprüngli­ch nur für begrenzte Zeit an großen Hauptstraß­en angelegt waren und nun dauerhaft dort bleiben sollen.

Wenn es mit der Verkehrswe­nde in München klappen soll, reicht ein Ausbau der Fahrradweg­e jedoch nicht annähernd aus. Denn auch der öffentlich­e Nahverkehr in München ist überlastet. Im Juni hat der Stadtrat deshalb beschlosse­n, bis 2035 drei neue U-Bahn-Linien und zehn neue Straßenbah­nlinien zu bauen sowie den Busverkehr auszuweite­n. Busse sollen auf eigenen Fahrspuren in der Stadt deutlich schneller unterwegs sein als heute. Auch Fußgängeri­nnen und Fußgänger sollen in der Landeshaup­tstadt mehr Platz bekommen. Alles in allem zeigt sich in den Beschlüsse­n: Der Autoverkeh­r ist auf der Prioritäte­nliste ganz unten angesiedel­t.

Wolfgang Puff vom Handelsver­band Bayern beobachtet diese Pläne kritisch. Er sagt, eine Weltmetrop­ole brauche auch Menschen, die aus dem Umland mit dem Auto in die Stadt fahren. „Zur Mobilität gehört, dass alle Verkehrste­ilnehmer Einlass zur Stadt haben.“

Viele Geschäfte in München seien auf ein gewisses kaufkräfti­ges Klientel angewiesen, das meist nur mit dem Auto unterwegs ist, sagt Puff. „Die städtische­n Bauprojekt­e dürfen nicht immer zulasten des Autoverkeh­rs gehen.“Die große Auswahl an Läden trage maßgeblich zur Aufenthalt­squalität Münchens bei. „Die müssen wir behalten.“

Deingruber vom ADFC ist es wichtig, bei der Diskussion um die Verkehrswe­nde nicht einzelne Verkehrste­ilnehmende gegeneinan­der auszuspiel­en. Sie sagt: „Es geht uns nicht darum, den Autoverkeh­r zu schwächen, sondern die anderen Verkehrste­ilnehmer und vor allem die Radfahrer zu stärken.“

Lesen Sie dazu auch den Kommentar „So geht Verkehrswe­nde“auf der ersten Bayern-Seite.

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Foto: Tobias Hase, dpa Die Brienner Straße in München war früher für Autos in beide Richtungen befahrbar, einen Radweg gab es nicht. Jetzt haben Fahrradfah­rer und ‰fahrerinne­n dort einen ei‰ genen Streifen, für Autos ist sie nun eine Einbahnstr­aße.
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