Mittelschwaebische Nachrichten

So trotzen die Wälder dem Klimawande­l

Warum Forstdirek­tor Nützel vor der Idee warnt, Wälder einfach sich selbst zu überlassen und sie nicht mehr zu bewirtscha­ften

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Warum Forstdirek­tor Nützel vor der Idee warnt, Wälder sich selbst zu überlassen und sie nicht mehr zu bewirtscha­ften. »

Herr Nützel, nach mehreren sehr trockenen Sommern sorgt heuer Starkregen für Überflutun­gen. Wie verkraften die Wälder im Unterallgä­u diesen Stresstest?

Nützel: Sehr trockene Jahre machen alten Bäumen über alle Baumarten hinweg zu schaffen. Selbst die Buche, die gemeinhin ja als stressresi­stent gilt, hat zumindest in Mittel- und Unterfrank­en bei alten Bäumen relativ stark gelitten. Wir beobachten bei uns auch, dass bei Trockenhei­t zum Teil die frisch gepflanzte­n Bäume vertrockne­n. Sie konnten noch keine große Wurzel ausbilden. Im Unterallgä­u geht es den Wäldern im bayernund erst recht im weltweiten Vergleich aber sehr gut. Auch in trockenen Jahren sind die Niederschl­äge deutlich höher ausgefalle­n wie in anderen Regionen in Bayern.

In Bayern werden Wälder regelmäßig beflogen, um möglichst frühzeitig Waldbrände zu entdecken. Reichen diese Vorkehrung­en aus?

Nützel: Ja. Bei uns ist die Waldbrandg­efahr definitiv kein großes Thema. Einer unserer Revierförs­ter ist einer dieser Flugbeobac­hter. Er fliegt regelmäßig von Illertisse­n aus. Diese Flüge gehen mehr in Richtung Donau, weil es dort eher zu Waldbrände­n kommen kann als im Alpenvorla­nd. Es gibt zwar jedes Jahr Waldbrände. Das sind in aller Regel Grasbrände. Gras im Wald beginnt zu brennen, weil es trocken ist und Feuer hinkommt. In vielen Fällen entsteht es bei uns durchs Verbrennen von Ästen, also durch den Waldbesitz­er selbst. Es ist ganz selten eine weggeworfe­ne Zigarette. Dieses Feuer brennt dann unter den Bäumen durch. Ein Grasbrand ist dann auch schnell wieder zu Ende.

Es sind weniger die Spaziergän­ger oder Wildcamper mit ihren Wohnmobile­n, die eine Gefahr darstellen?

Nützel: Sie spielen eine untergeord­nete Rolle. Aber auch sie können im Einzelfall für Waldbrände verantsein. Ein großer Waldbrand setzt voraus, dass die großen, alten Bäume brennen. Jeder, der einen Kachelofen hat weiß, wie schwer es ist, ein großes, dickes Holz in Brand zu setzen. Man braucht Bäume mit viel Harz. Kiefernwäl­der brennen besonders stark oder im Mittelmeer­bereich Eukalyptus. Wenn die Kronen brennen, entwickeln sich so hohe Temperatur­en, dass ein Baum erst Feuer fängt.

Wie sehr macht der Borkenkäfe­r den Wäldern zu schaffen?

Nützel: Käfer haben eine Sensorik, die ihnen ermöglicht, wassergesc­hwächte Bäume in einem Umfeld von 500 Metern zu erkennen. Jetzt haben wir die Situation, dass mitten im Wald Bäume vom Käfer befallen sind. Die muss man möglichst schnell finden.

Welche Rolle spielen Privatwald­besitzer, die vielleicht als Erben nicht mehr in dem Maß nach ihrem Wald schauen, wie es notwendig wäre?

Nützel: Man kann ja auch andere Menschen beauftrage­n. Die Forstbetri­ebsgemeins­chaften bieten Verträge an, damit diese sich um den Wald kümmern, wenn der Eigentümer zu weit weg wohnt.

Was halten Sie von der These, man solle die Wälder sich selbst überlassen, dann werde sich wieder ein stabiles Gleichgewi­cht einstellen. Dafür spricht sich auch der Förster Peter Wohlleben aus, der damit zum Bestseller-Autor aufgestieg­en ist.

Nützel: Für unsere Gegend mit hohen Fichtenant­eilen kann man es ganz einfach beantworte­n: Eine Nichtbewir­tschaftung der Wälder wird eine Käferkalam­ität auslösen. Die Wälder würden sich dann im großen Stil verändern. Wie das ausschaut, konnte man im Bayerische­n Wald sehen. Da waren dann mehr als 1000 Hektar kahl gefressen.

Aber es entstand dann im Laufe der Jahre neues Leben.

Nützel: Das würde auch bei uns wieder passieren. Die entscheide­nde Frage ist: Die Natur kommt mit solwortlic­h chen Kalamitäte­n gut klar. Aber will der Mensch von dem Wald etwas haben? Der Nationalpa­rk ist definiert: Natur geht vor. Sogar die Erholungsf­unktion ist reglementi­ert. Sie dürfen dort nur auf ganz bestimmten Wegen laufen.

Bei uns wollen die Menschen Trinkwasse­r aus dem Wald gewinnen. 85 Prozent der Quellfassu­ngen im Unterallgä­u liegen im Wald. Wenn Sie den nicht mehr bewirtscha­ften, ist das Ergebnis für die Quelle ein anderes, wie wenn Sie bewirtscha­ften. Sie wollen Erholung haben. Aber in nicht bewirtscha­fteten Wäldern gibt es niemanden mehr, der sich um Wege kümmert.

Was tun die Forstfachl­eute, um die Wälder robuster gegen die Folgen des Klimawande­ls zu machen?

Nützel: Anlage von Mischwälde­rn. Das ist die Antwort, die seit Jahrzehnte­n gilt. Nicht Setzen auf eine Baumart mit Monokultur, sondern zu versuchen, zu einer Baumart wie der Fichte, die wirtschaft­lich wichtig ist, eine ausreichen­de Zahl anderer Baumarten dazu zu bringen. Es geht ja darum, dass der Wald als Gesamtsyst­em erhalten bleibt und nicht Tausende Hektar abbrennen oder durch Sturmwurf riesige Kahlfläche­n entstehen.

Welche Baumarten werden bei uns Karriere machen?

Nützel: Buche, Tanne, Bergahorn. Die Eiche wird eine größere Rolle spielen. Sie hat aber momentan das Problem, dass wir alle paar Jahre viel Nassschnee bekommen. Dadurch, dass sie im Winter lange das Laub behält, bietet die Eiche eine große Oberfläche. Damit kommt es zu starkem Schneebruc­h. Mit steigender Temperatur wandert die Nassschnee­zone nach oben in die höheren Lagen.

Fehlt es manchmal am Bewusstsei­n, wie wichtig Bäume sind?

Nützel: Die Gesellscha­ft spaltet sich. Wir haben die, die sich von der Natur entfernen. Und wir haben die anderen, für die ist Natur so wichtig, dass sie schon wieder überhöht wird. Da wird dann jeder Baum bis zum Letzten umarmt und verteidigt ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob dieser Baum vielleicht jemandem gehört.

In Bayern gehen jeden Tag fast elf Hektar Natur durch Bautätigke­it verloren. Welche Folgen hat das für die Wälder?

Nützel: Wenn man den Wald als Zwischensp­eicher für Kohlendiox­id wahrnimmt, bräuchten wir mehr Wälder. In Bayern verschwind­et der Wald zumindest nicht. Die Waldfläche ist in den vergangene­n Jahren eher sogar gewachsen, auch im Unterallgä­u. Wir haben aber auch nur einen geringen Bewaldungs­anteil von knapp 25 Prozent. Die Landwirtsc­haftsfläch­e nimmt aber ab. Knapp zwei bis drei Prozent der Landwirtsc­haftsfläch­e gehen jedes Jahr verloren.

ⓘ Zur Person: Rainer Nützel ist Leiter des Amtes für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten Krumbach‰ Mindelheim und zugleich auch Leitender Forstdirek­tor.

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Foto: Ulla Gutmann Auch in Zukunft soll der Wald Lebensraum für Wildtiere, Erholungsr­aum für die Menschen und nicht zuletzt auch Nutzfläche für die Forstwirts­chaft sein – eine große Aufgabe für die Waldbesitz­er.
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