Mittelschwaebische Nachrichten

Es wurde höchste Zeit für gelockerte Corona-Regeln

Lange war Ministerpr­äsident Söder einer der Taktgeber der Corona-Politik. Doch mittlerwei­le haben viele andere Bundesländ­er Bayern längst überholt

- VON HENRY STERN redaktion@augsburger‰allgemeine.de

Nun also auch in Bayern: Die Söder-Regierung hat am Dienstag vereinfach­te Corona-Regeln beschlosse­n. Es wurde auch höchste Zeit für eine grundlegen­de Neuordnung des zuletzt kaum noch zu durchschau­enden bayerische­n Corona-Regelwerks.

Denn fixe Inzidenzsc­hwellen für Corona-Maßnahmen machen schlicht keinen Sinn mehr, wenn immerhin rund 60 Prozent der Bevölkerun­g geimpft sind. Seit der Freigabe der Impfungen im Juli für jeden Impfwillig­en ist zudem für alle Bürger genug Zeit vergangen, um einen vollen Impfschutz zu bekommen.

Die Grundidee der neuen bayerische­n Corona-Verordnung ist deshalb richtig: Weitere Freiheiten kann es nur für diejenigen geben, die für andere eine deutlich verringert­e Ansteckung­sgefahr darstellen. Corona-Maßnahmen sollen sich zudem nicht mehr an fixen Inzidenzen orientiere­n, die allein schon aufgrund der großen Unterschie­de zwischen Geimpften und Ungeimpfte­n als Maßstab nicht mehr taugen. Ob die stattdesse­n neu eingeführt­e bayerische Krankenhau­s-Ampel am Ende tatsächlic­h funktionie­ren wird, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Erstaunlic­h ist, dass Bayern mit dieser Reform ähnlichen Anpassunge­n etwa in Baden-Württember­g oder in Nordrhein-Westfalen zeitlich hinterherh­inkt. Denn im ersten Jahr der Pandemie war Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder bei der Verschärfu­ng von Corona-Einschränk­ungen meist der Taktgeber bundesweit­er Entwicklun­gen. Diese Rolle hat dem CSU-Chef viel inhaltlich­e Kritik eingebrach­t. Er bekam aber auch über Bayern hinaus große Zustimmung für seinen Kurs – nicht zuletzt, weil sich viele seiner Einschätzu­ngen als richtig erwiesen.

Im zweiten Jahr der Pandemie hat Söder diese Taktgeber-Rolle nach und nach eingebüßt: Schon bei der Impfkampag­ne und der aktuellen Impfquote liegt Bayern nur im unteren Mittelfeld. Auch die Impfstoff-Verteilung im Freistaat klappte lange bestenfall­s mittelpräc­htig. Nicht alle diese Probleme kann man Söder und seiner Regierung allein zuschreibe­n. Dem eigenen Anspruch, mit Bayern immer und überall an der Spitze des Fortschrit­ts zu marschiere­n, wird der CSU-Chef damit aber nicht gerecht.

Auch jetzt sind viele andere Bundesländ­er deutlich weiter: Baden-Württember­g hat Corona-Beschränku­ngen für Geimpfte und Genesene bereits Mitte August aufgehoben, Nordrhein-Westfalen die sinnlose Kontaktdat­enerhebung abgeschaff­t und Hamburg eine 2G-Option eingeführt, bei der etwa in der Gastronomi­e alle Einschränk­ungen fallen, wenn nur Geimpfte und Genesene eingelasse­n werden.

Gerade die 2G-Option müsste eigentlich nach Söders Gusto sein – weil sie Vorteile für Geimpfte mit der Lockerung von Einschränk­ungen verbindet und damit eine echte Impf-Motivation sein kann. Auch wäre angesichts der gerade in Bayern noch immer viel zu niedrigen Impfquote die klare Warnung des Ministerpr­äsidenten nötig, dass notwendige Corona-Einschränk­ungen in den nächsten Monaten vor allem Ungeimpfte treffen werden – nicht als Retourkuts­che, sondern weil sie schlicht ein höheres Infektions­risiko darstellen.

Vor solchen konfrontat­iven Ansagen schreckt Markus Söder derzeit jedoch zurück. Aus Furcht vor der Bundestags­wahl? Oder will er neuem Ärger mit seinem impfskepti­schen Vize Hubert Aiwanger von den Freien Wählern aus dem Weg gehen? Unter dem Strich bleibt jedenfalls festzuhalt­en, dass Söders Bayern derzeit kein Vorreiter in Sachen Corona-Bekämpfung ist. Der neue Kurs, den Söder vorgestell­t hat, lässt den Freistaat nur zum Feld wieder aufschließ­en – nicht mehr und nicht weniger.

Söder schreckt vor der Konfrontat­ion zurück

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