Mittelschwaebische Nachrichten
Es wurde höchste Zeit für gelockerte Corona-Regeln
Lange war Ministerpräsident Söder einer der Taktgeber der Corona-Politik. Doch mittlerweile haben viele andere Bundesländer Bayern längst überholt
Nun also auch in Bayern: Die Söder-Regierung hat am Dienstag vereinfachte Corona-Regeln beschlossen. Es wurde auch höchste Zeit für eine grundlegende Neuordnung des zuletzt kaum noch zu durchschauenden bayerischen Corona-Regelwerks.
Denn fixe Inzidenzschwellen für Corona-Maßnahmen machen schlicht keinen Sinn mehr, wenn immerhin rund 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Seit der Freigabe der Impfungen im Juli für jeden Impfwilligen ist zudem für alle Bürger genug Zeit vergangen, um einen vollen Impfschutz zu bekommen.
Die Grundidee der neuen bayerischen Corona-Verordnung ist deshalb richtig: Weitere Freiheiten kann es nur für diejenigen geben, die für andere eine deutlich verringerte Ansteckungsgefahr darstellen. Corona-Maßnahmen sollen sich zudem nicht mehr an fixen Inzidenzen orientieren, die allein schon aufgrund der großen Unterschiede zwischen Geimpften und Ungeimpften als Maßstab nicht mehr taugen. Ob die stattdessen neu eingeführte bayerische Krankenhaus-Ampel am Ende tatsächlich funktionieren wird, muss sich allerdings erst noch zeigen.
Erstaunlich ist, dass Bayern mit dieser Reform ähnlichen Anpassungen etwa in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen zeitlich hinterherhinkt. Denn im ersten Jahr der Pandemie war Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei der Verschärfung von Corona-Einschränkungen meist der Taktgeber bundesweiter Entwicklungen. Diese Rolle hat dem CSU-Chef viel inhaltliche Kritik eingebracht. Er bekam aber auch über Bayern hinaus große Zustimmung für seinen Kurs – nicht zuletzt, weil sich viele seiner Einschätzungen als richtig erwiesen.
Im zweiten Jahr der Pandemie hat Söder diese Taktgeber-Rolle nach und nach eingebüßt: Schon bei der Impfkampagne und der aktuellen Impfquote liegt Bayern nur im unteren Mittelfeld. Auch die Impfstoff-Verteilung im Freistaat klappte lange bestenfalls mittelprächtig. Nicht alle diese Probleme kann man Söder und seiner Regierung allein zuschreiben. Dem eigenen Anspruch, mit Bayern immer und überall an der Spitze des Fortschritts zu marschieren, wird der CSU-Chef damit aber nicht gerecht.
Auch jetzt sind viele andere Bundesländer deutlich weiter: Baden-Württemberg hat Corona-Beschränkungen für Geimpfte und Genesene bereits Mitte August aufgehoben, Nordrhein-Westfalen die sinnlose Kontaktdatenerhebung abgeschafft und Hamburg eine 2G-Option eingeführt, bei der etwa in der Gastronomie alle Einschränkungen fallen, wenn nur Geimpfte und Genesene eingelassen werden.
Gerade die 2G-Option müsste eigentlich nach Söders Gusto sein – weil sie Vorteile für Geimpfte mit der Lockerung von Einschränkungen verbindet und damit eine echte Impf-Motivation sein kann. Auch wäre angesichts der gerade in Bayern noch immer viel zu niedrigen Impfquote die klare Warnung des Ministerpräsidenten nötig, dass notwendige Corona-Einschränkungen in den nächsten Monaten vor allem Ungeimpfte treffen werden – nicht als Retourkutsche, sondern weil sie schlicht ein höheres Infektionsrisiko darstellen.
Vor solchen konfrontativen Ansagen schreckt Markus Söder derzeit jedoch zurück. Aus Furcht vor der Bundestagswahl? Oder will er neuem Ärger mit seinem impfskeptischen Vize Hubert Aiwanger von den Freien Wählern aus dem Weg gehen? Unter dem Strich bleibt jedenfalls festzuhalten, dass Söders Bayern derzeit kein Vorreiter in Sachen Corona-Bekämpfung ist. Der neue Kurs, den Söder vorgestellt hat, lässt den Freistaat nur zum Feld wieder aufschließen – nicht mehr und nicht weniger.
Söder schreckt vor der Konfrontation zurück