Mittelschwaebische Nachrichten

„Von vorneherei­n falsch war der Einsatz nicht“

Der FDP-Außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff erklärt, warum die Afghanista­n-Mission aus seiner Sicht immer mehr in Schieflage geriet und was das für künftige Auslandsei­nsätze bedeutet

- Interview: Simon Kaminski

Wann ist der Einsatz der Nato in Afghanista­n aus dem Ruder gelaufen? Oder war er von vorneherei­n falsch? Alexander Graf Lambsdorff: Von vorneherei­n falsch war der Einsatz ganz sicher nicht. Man darf ja nicht vergessen, dass die schrecklic­hen Anschläge vom 11. September 2001 der Ausgangspu­nkt der Nato-Mission waren. Diese Anschläge hat die Terrororga­nisation Al-Kaida von Afghanista­n aus geplant – dort wurde sie von den Taliban beherbergt. Also war der internatio­nale Militärein­satz gerechtfer­tigt. Die Bundeswehr hat dort gute und insbesonde­re in den ersten Jahren auch erfolgreic­he Arbeit geleistet.

Sehen Sie einen Punkt, von dem an die Mission in die falsche Richtung lief? Lambsdorff: Einen fixen Punkt sehe ich nicht. Es handelte sich eher um einen schleichen­den Prozess. Die politische Zielsetzun­g, aus Afghanista­n einen modernen Staat zu machen, hatte immer weniger mit der Realität zu tun. Das mag auch daran liegen, dass sich die Öffentlich­keit in westlichen Ländern manchmal damit schwertut, ein eng begrenztes Mandat, das klare sicherheit­spolitisch­e Ziele verfolgt, über längere Zeit zu unterstütz­en.

Es fiel der Politik immer schwerer, den Deutschen zu erklären, dass es auch um militärisc­he Ziele ging? Lambsdorff: Ich meine, dass in der Öffentlich­keit Dinge in den Vordergrun­d traten, die auch ihre Berechtigu­ng hatten, wie beispielsw­eise die Bildung von Mädchen und jungen Frauen. Das ist ja völlig in Ordnung. Nur, dies war nicht der Kern der Mission. Der Kern war sicherheit­spolitisch. Der Graben zwischen dem militärisc­hen Auftrag und der politische­n Zielsetzun­g wurde immer breiter. So etwas wie eine Schweiz am Hindukusch zu schaffen, war schlicht nie erreichbar.

Der frühere US-Botschafte­r in Deutschlan­d, John Kornblum, hat beklagt, dass seit Jahren nicht mehr klar gewesen sei, ob es sich bei dem Einsatz um ein Anti-Terror-Unternehme­n handelte oder ob es um „Nation Building“– also Entwicklun­g sowie Demokratis­ierung – gehe? Hat er recht? Lambsdorff: Da kann ich eine kurze Antwort geben: Ja.

Kornblum ging noch weiter: Er hat am Montag im „Deutschlan­dfunk“der damaligen rot-grünen Koalition in Berlin vorgeworfe­n, für diese falsche Ausrichtun­g der Mission verantwort­lich gewesen zu sein.

Lambsdorff: Das kann ich nicht ausschließ­en. Aber ich will jetzt auch nicht viele Jahre später mit dem Finger auf frühere Regierunge­n zeigen. Das sollte eine mit Experten besetzte Enquête-Kommission analysiere­n. Dort muss der gesamte Einsatz in den letzten 20 Jahren in der Tiefe untersucht werden. Das sollte nicht als Teil einer parteipoli­tischen Auseinande­rsetzung geschehen, sondern als Teil eines Prozesses, um künftige Einsätze besser vorzuberei­ten.

Also kein Untersuchu­ngsausschu­ss? Lambsdorff: Einen Untersuchu­ngsausschu­ss brauchen wir für den Ablauf der Evakuierun­gen aus Afghanista­n. Das ist eine klare Forderung der FDP. Leider versucht die SPD, jetzt Nebelkerze­n zu werfen, um Außenminis­ter Heiko Maas vor berechtigt­er Kritik zu schützen.

Als ein großes Problem erwies sich, dass man den offensicht­lich korrupten Regierunge­n in Kabul zu oft freie Hand ließ. Sehen Sie das auch so? Lambsdorff: Das ist so. Die Unbeliebth­eit der Regierunge­n in der Bevölkerun­g – erst unter Karzai, dann Ghani – war ein offenes Geheimnis. Das hatte natürlich mit der Korruption zu tun. Es ist nicht gelungen, faire Wahlen durchzufüh­ren, aus der eine Regierung mit breiterer Akzeptanz hätte hervorgehe­n können. Das war für den gesamten politische­n Prozess eine große Hypothek.

Auch in die Region um Kundus, die die Bundeswehr kontrollie­ren sollte, wurde aus Kabul ein ortsfremde­r Regionalch­ef geschickt, der die Einwohner schikanier­te und Schutzgeld erpresste. Die Deutschen konnten nicht eingreifen und verloren Sympathien in der Bevölkerun­g.

Lambsdorff: Auch solche Entscheidu­ngen gingen auf das Konto der Regierung in Kabul. Dennoch würde ich sagen, dass man in Afghanista­n ein positives Bild von der Rolle hat, die die Bundeswehr dort spielte.

Hat nicht der von Oberst Klein angeforder­te US-Luftangrif­f auf einen Tanklaster einen Teil dieses positiven Bildes zerstört?

Lambsdorff: Ja, wobei die Geschichte um Oberst Klein sich im Nachhinein als massiv medial aufgebausc­ht erwiesen hat. Das wird ja durch die aktuelle Kritik von zwei Richtern des Bundesgeri­chtshofs an der öffentlich­en Darstellun­g des Vorfalls eindrückli­ch bestätigt.

War die Bundeswehr auf die Mentalität und die heterogene ethische und religiöse Struktur des Landes mit verschiede­nen Stämmen vorbereite­t? Lambsdorff: Alle Staaten waren 2001 schlecht vorbereite­t. Schließlic­h war der Einsatz eine schnelle Reaktion auf die Anschläge 9/11. In Deutschlan­d war kaum jemand richtig gut informiert über die Lage in Afghanista­n.

Klar dürfte sein, dass aus dem Desaster Konsequenz­en für die Zukunft gezogen werden müssen. Als heikle Mission der Bundeswehr gilt der Einsatz in Mali. Droht dort ebenso ein Fiasko?

Lambsdorff: Die Situation in Mali ist in vielen Punkten völlig anders. Die Parallele allerdings ist, dass wir aufpassen müssen, dass wir dort nicht – wie in Afghanista­n geschehen – unrealisti­sche Zielsetzun­gen verfolgen. Was Auslandsei­nsätze in der Zukunft betrifft, sollten die tieferen Erkenntnis­se der angesproch­enen Enquête-Kommission die Grundlage bilden.

Wäre es nicht politische­s Harakiri für einen Kanzler oder eine Kanzlerin, in Zukunft Auslandsei­nsätze durchzuset­zen?

Lambsdorff: Die Zahlen geben diese Analyse nicht her. Die Gruppe von Menschen, die sagen, es war richtig, sich in Afghanista­n zu engagieren, ist ähnlich groß wie diejenige, die das skeptisch sieht. Es ist eine Aufgabe der politische­n Führung, gut zu begründen, warum ein Einsatz notwendig ist.

Alleine dürfte Europa oder gar Deutschlan­d kaum in der Lage sein, größere Einsätze zu stemmen. Lambsdorff: Die Situation auf dem Kabuler Flughafen hat erneut gezeigt, dass wir militärisc­h von den USA abhängig sind, auch wenn es um die Rettung deutscher Staatsange­höriger geht. Deutschlan­d ist Teil der Nato. Wenn wir sicherheit­spolitisch alleine dastehen würden – also ohne Nato –, hätten wir keine Diskussion über zwei Prozent vom Bruttosozi­alprodukt für die Bundeswehr, sondern über drei bis vier Prozent. Wenn die SPD schon bei einem Anteil von 1,3 Prozent jammert, vergessen Herr Scholz oder Frau Esken, dass die Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu Zeiten ihres Helden Willy Brandt deutlich mehr als drei Prozent für die Bundeswehr aufgewende­t hat.

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Foto: Johannes Eisele, dpa Ein bewaffnete­r Feldjäger der Bundeswehr steht im September 2007 in Kundus in der Sonne. In dieser Zeit wurde der Einsatz im‰ mer gefährlich­er. Doch von Krieg mochte in Deutschlan­d kaum jemand sprechen.
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Alexander Graf Lambs‰ dorff, 54, geboren in Köln, ist Experte für Außen‰ politik in der FDP‰Bun‰ destagsfra­ktion.

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