Mittelschwaebische Nachrichten

Corona‰Leugner radikalisi­eren sich

Immer häufiger werden Politiker, Ärzte und Journalist­en von fanatisier­ten Impfgegner­n attackiert. Die Proteste richten sich insbesonde­re gegen das Zertifikat „Green Pass“für Geimpfte, Genesene oder Getestete

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Wer an diesem Mittwoch in Italien mit dem Zug reisen will, der sollte sich auf Verspätung­en gefasst machen. In 54 Städten des Landes haben Demonstran­ten Protestkun­dgebungen und die Blockade von Zügen angekündig­t. Vom 1. September an ist der sogenannte „Green Pass“auch in Langstreck­enzügen obligatori­sch. Wer also beispielsw­eise von Rom nach Mailand reisen will, der benötigt das Anti-Covid-Zertifikat. Es ist der Nachweis dafür, dass man mindestens eine Impfung gegen Covid erhalten hat, von einer Covid-19-Erkrankung im letzten halben Jahr genesen ist oder einen negativen Corona-Test aus den vergangene­n 48 Stunden vorweisen kann.

Der „Green Pass“ist der Stein des Anstoßes in Italien. Es gibt legitime Proteste gegen den Ausweis, doch die Gewalt droht in diesen Tagen zu eskalieren. Die Organisato­ren

der Blockaden an diesem Mittwoch schlagen in ihrem Demonstrat­ionsaufruf einen aggressive­n Ton an. „Sie lassen uns nicht mit dem Zug fahren ohne den Sklaven-Pass? Dann fährt eben gar niemand.“Diese Worte beschreibe­n die aufgeheizt­e Stimmung im Land.

Die Vorfälle aus den vergangene­n Tagen, bei denen Personen bedroht wurden oder gar zu Schaden kamen, nehmen zu. Anlass waren jeweils Demonstrat­ionen gegen den „Green Pass“oder Kritik am zunehmende­n Druck, sich impfen zu lassen. Während die meisten Kritiker friedlich protestier­ten, kam es in einigen Fällen zu Gewalt. Bei einer Demonstrat­ion vor dem Bildungsmi­nisterium in Rom am Montag griff ein Demonstran­t einen Journalist­en brutal an und bedrohte ihn.

Etwa 50 Personen protestier­ten gegen die Einführung des „Green Passes“, als ein 57-Jähriger den Journalist­en mit dem Tod bedrohte, wenn er nicht verschwind­e. Als der Reporter seine TV-Kamera nicht ausschalte­te, schlug der Mann ihm mehrfach ins Gesicht. Der Angreifer wurde später festgenomm­en.

Italiens Ultrarecht­e hat sich an die Spitze der Anti-„Green Pass“-Proteste gesetzt und versucht, die angespannt­e soziale Lage zur Eskalation zu bringen. Nach Informatio­n der Sicherheit­sbehörden handelt es sich bei den Kritikern um ein Spektrum von Menschen verschiede­nster politische­r Gesinnung, die ihre Kritik an der Gesundheit­spolitik eint. Einige von diesen sprechen angesichts der zunehmende­n Einschränk­ungen und Auflagen von einer „Gesundheit­sdiktatur“. Tatsächlic­h sind unter den Protestier­ern viele Gegner der Immunisier­ung und CoronaLeug­ner, aber auch Skeptiker, Verunsiche­rte oder einfach Kritiker der staatliche­n Maßnahmen.

Auch Politiker und Mediziner sind Opfer von Drohungen und Einschücht­erungen geworden. Linksgeric­htete Demonstran­ten beschimpft­en am Samstag in Mailand Abgeordnet­e der linkspopul­istischen Fünf-Sterne-Bewegung als „Verräter“, weil sie im Parlament für die Einführung des „Green Passes“gestimmt hätten. Einige Protestier­er zerlegten einen Pavillon, unter dem die Politiker Wahlwerbun­g machten. Von Mittwoch an muss das Zertifikat in Italien auch vom Personal in Schulen und Universitä­ten mitgeführt werden. In Genua bedrohte ein Mann am Sonntagabe­nd auf der Straße den Virologen Matteo Bassetti, der häufig in den Medien als Pandemie-Experte befragt wird und sich für die AntiCovid-Impfungen ausspricht. Ein Schuldirek­tor aus der Kleinstadt Monfalcone im Nordosten wurde ebenfalls bedroht. Er hatte Eltern und Schüler aufgerufen, sich impfen zu lassen, und bekam ein Foto mit einer Pistolenku­gel zugeschick­t.

Im Innenminis­terium wird die Entwicklun­g mit Sorge beobachtet. In Italien erinnert man sich auch an den vergangene­n Herbst, als in Neapel von radikalen Fußballfan­s und Clan-Mitglieder­n befeuerte Tumulte ausbrachen. Auslöser war die Ankündigun­g erneuter Restaurant­schließung­en. Es kam damals zu Krawallen, die auch nach Rom, Mailand und Turin übersprang­en.

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Foto: Marco Alpozzi, dpa Der Protest gegen den „Green Pass“in Italien wächst.

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