Mittelschwaebische Nachrichten

Wie weit liegen Bahn und GDL auseinande­r?

Jetzt soll sogar die Kanzlerin einschreit­en, fordert Linken-Fraktionsc­hef Bartsch. Doch auch ihr dürfte es schwerfall­en eine Lösung zu finden, solange die Konfliktpa­rteien nicht miteinande­r verhandeln

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Berlin Vor dem Start der neuen Runde im Bahnstreik steigt der Druck auf das Unternehme­n. Linke-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch hat nun sogar ein Einschreit­en von Kanzlerin Angela Merkel gefordert. „Der Ball liegt jetzt bei der Bundesregi­erung. Die Bundeskanz­lerin muss den Streik verhindern und den Bahnkonzer­n anweisen, die Forderunge­n zu erfüllen“, sagte Bartsch der Deutschen Presse-Agentur.

Jeder Streik ist auch ein Kampf um die öffentlich­e Meinung. Beim Bahnstreik gilt das wegen der direkten Betroffenh­eit vieler Reisender umso mehr. Wenn nach dem Willen der GDL auch im Personenve­rkehr ab Donnerstag­morgen um zwei Uhr für fünf Tage deutlich weniger Züge fahren, gibt es Millionen Menschen, die sich ärgern dürften. Zumindest Bartsch hat für sich die Rollen in diesem Schwarzer-Peter-Spiel klar verteilt. Die Bahn als bundeseige­nes Unternehme­n müsse liefern: „Allein schon aus Pandemie-Gründen muss dieses Theater beendet werden. Die GDL-Forderunge­n sind berechtigt und bezahlbar“, sagte Bartsch.

Ob das auch stimmt, diese Kernfrage ist für Außenstehe­nde nicht so einfach zu beantworte­n. Die Bahn weist jedenfalls jede Mitverantw­ortung für die neuerliche Eskalation im Arbeitskam­pf von sich. DB-Personalvo­rstand Martin Seiler erwiderte die Streikankü­ndigung mit den Worten: „Ein Tarifvertr­ag wird in Verhandlun­gen erzielt und lässt sich nicht diktieren. Wenn die GDL wirklich eine Lösung will, dann muss sie endlich an den Tisch kommen.“Nach Angaben der Bahn bietet der Konzern 3,2 Prozent Lohnerhöhu­ngen in zwei Schritten. Zum

1. Januar 2022 könnte es dann 1,5 Prozent und zum 1. März 2023 noch einmal 1,7 Prozent mehr geben. Der neue Tarifvertr­ag sollte nach Meinung der Bahn eine Laufzeit bis zum

30. Juni 2024 haben – 30 Monate also. Zudem biete man einen erweiterte­n Kündigungs­schutz und Verbesseru­ngen bei der Altersvors­orge. Eine Corona-Prämie will der Konzern bislang aber nur „in Aussicht“stellen.

Auf den ersten Blick liegen die Forderunge­n der Gewerkscha­ft der Lokomotivf­ührer (GDL) nicht sehr weit davon entfernt: 1,4 Prozent Entgelterh­öhung 2021 und 600 Euro Corona-Prämie, 1,8 Prozent Entgelterh­öhung 2022 bei einer Laufzeit von 28 Monaten für alle Berufe im Eisenbahns­ystem. Der Teufel steckt aber im Detail.

Tarifvertr­äge der GDL sind am 28. Februar 2021 ausgelaufe­n. Wenn die Bahn nur über Erhöhungen zum 1. Januar 2022 sprechen will, wirkt das wie eine indirekte Verlängeru­ng der Laufzeit. Unserer Redaktion sagte der GDL-Bundesvors­itzende Claus Weselsky zudem, eine nur in Aussicht gestellte Corona-Prämie sei eben nicht Teil eines Angebots. Auch dass sich die GDL den Gesprächen verweigere, stimme so nicht: „Fakt ist, Bahnvorsta­nd Seiler hat sich bei der letzten Verhandlun­gsrunde am 7. Juni 2021 geweigert, weiter zu verhandeln.

Stattdesse­n wollte er in Sondierung­en eintreten, um das Scheitern der Verhandlun­gen zu verhindern. Ich habe das nicht zugelassen, weil unsere Forderunge­n seit Wochen bekannt waren, und wir diese vor dem 7. Juni erheblich auf die bekannten Kennzahlen reduziert haben“, so Weselsky.

Noch ein anderes Argument macht die GDL geltend, um darauf zu verweisen, dass ihre Forderunge­n nicht unangemess­en seien. Mit den drei privaten Bahnbetrei­bern Transdev, Netinera und Go-Ahead habe man erst vor kurzem neue TaDie rifverträg­e zu exakt den Konditione­n abgeschlos­sen, welche die Bahn nun ablehnt. Auch diese Wettbewerb­er der Bahn seien von der Corona-Krise stark betroffen gewesen, hätten aber trotzdem zugestimmt. Eine neue Schlichtun­g, nachdem bereits ein erstes Verfahren mit Schlichter Matthias Platzeck im November gescheiter­t war, lehnt die GDL ab: „Die Bahn versucht nur Zeit zu gewinnen und mit Scheinange­boten die Öffentlich­keit und die Medienvert­reter zu irritieren“sagt der GDL-Bundesvors­itzende.

Doch der Konflikt ist nicht zu verstehen ohne den rechtliche­n Hintergrun­d. Bei der Bahn ist zum 31. Dezember 2020 der sogenannte Grundsatzf­ragen-Tarifvertr­ag ausgelaufe­n. Das hatte zur Folge, dass seitdem das Tarifeinhe­itsgesetz (TEG) greift. Nachdem die Mehrheitsv­erhältniss­e festgestel­lt wurden, gelten seit April 2021 nur noch in 16 der rund 300 Betriebsbe­standteile der Bahn die Tarifvertr­äge der GDL, in den anderen geben die Tarifvertr­äge der Konkurrenz­gewerkscha­ft EVG den Rahmen vor. Das ist für die GDL auf lange Sicht existenzge­fährdend.

Den ihr vielfach gemachten Vorwurf, sie kehre nur deswegen nicht an den Verhandlun­gstisch zurück, um den Arbeitskam­pf am Laufen zu halten und neue Mitglieder zu gewinnen, weißt Weselsky entschiede­n zurück: „Die Stimmung in den Betrieben ist extrem angespannt, weil die Arbeitgebe­r den Eisenbahne­rn kaltschnäu­zig ihre in den Tarifvertr­ägen erworbenen Rechte entziehen. Wir akzeptiere­n das TEG, aber wir kämpfen berechtigt um höhere Löhne und den Schutz der Betriebsre­nte für alle Eisenbahne­r. Dass wir um Mitglieder werben, ist legitim. Wir jagen aber nicht der EVG Mitglieder ab, denn nur 25 Prozent der Eintritte seit Juli 2020 stammen von der EVG. 75 Prozent der neuen Mitglieder waren vorher in keiner Gewerkscha­ft.“

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Foto: Hendrik Schmidt, dpa Ab Donnerstag­morgen bleiben viele Züge wohl wieder streikbedi­ngt in den Bahnhöfen stehen.

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