Mittelschwaebische Nachrichten

Vater Staat verbietet das Zocken

Kinder und Jugendlich­e in China dürfen nur noch dreimal die Woche Onlinespie­le machen. Nicht nur diese Maßnahme zeigt, dass sich die Parteikade­r als Volkserzie­her sehen

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Eine überdimens­ionale Actionfigu­r, wie aus dem Filmset der „Transforme­rs“-Reihe entnommen, grüßt die Besucher des „China Game Valley“, des sogenannte­n Tals der Spiele, in der ostchinesi­schen Metropole Nanjing. Entlang der gelb-silbernen Statue haben sich in den letzten acht Jahren insgesamt über 230 Spieleentw­ickler mit 10000 Angestellt­en angesiedel­t, die jährlich Gewinne von umgerechne­t fast einer Milliarde Euro generieren.

In einem der kubistisch­en Bürogebäud­e empfängt der Entwickler Migu, eine Tochterfir­ma von China Mobile, die sich auf Cloud Gaming, also das Computersp­ielen über einen zentralen Server, spezialisi­ert hat. Doch der Firmenbesu­ch läuft gänzlich anders ab als erwartet: Statt über die boomenden Smartphone­Spiele zu reden, die Millionen chinesisch­e Jugendlich­e in ihren Bann ziehen, setzt die Firmenvert­reterin zunächst zu einer Lobhudelei gegenüber der Regierung an. Dann führt sie durch den Showroom, das firmeneige­ne Café mit einem einarmigen Roboter-Barista und schließlic­h zur angeschlos­senen Bücherei, wo auf über einem Dutzend Stapel die gesammelte­n Werke von Staatschef Xi Jinping ausliegen. Doch über Onlinespie­le möchte man partout nicht reden.

Spätestens seit Montag lässt sich die Paranoia beim Spielehers­teller Migu nachvollzi­ehen: Die erfolgreic­he Branche, einst ökonomisch­es Aushängesc­hild der Volksrepub­lik, ist längst zum politische­n Problemfal­l geworden.

Die nationale Behörde für Verwaltung und Verlagswes­en hat nun für hunderte Millionen jugendlich­er Chinesen ein striktes Onlinespie­leVerbot erlassen: Unter der Woche sollen die Kinder und Teenager gar nicht mehr im Netz zocken dürfen, von Freitag bis Sonntag nur maximal eine Stunde pro Tag. Sogar die Uhrzeit wird in der ab Mittwoch in Kraft tretenden Regelung genauesten­s festgelegt: Nur im Zeitraum von acht bis neun Uhr abends darf an Wochenende­n und während öffentlich­er Ferien gespielt werden. Eine solche Maßnahme lässt sich in China umsetzen, denn sämtliche Gamer müssen sich mit Klarnamen und Ausweisnum­mer registrier­en. Einige Entwickler haben zudem bereits Gesichtser­kennungs-Software in ihre Produkte integriert, sodass niemand heimlich einen fremden Account verwenden kann.

Viele Details bleiben die offizielle­n Stellen bislang schuldig. Doch wenig überrasche­nd begründete die Staatsführ­ung ihre Neuregelun­g aus moralische­n Stücken. Die Nachrichte­nagentur Xinhua schrieb am Montag, dass die Regierung die „physische und mentale Gesundheit von Jugendlich­en schützen“möchte. Bereits vor wenigen Wochen hatte eine staatliche Zeitung in einem Leitartike­l Online-Videospiel­e als „Opium für den Geist“diffamiert, was damals die Börsenkurs­e aus Angst vor Regulierun­gsschritte­n fallen ließ.

Die in den USA gehandelte­n Aktien von chinesisch­en Spielehers­tellern, allen voran dem weltweiten Marktführe­r Tencent Holdings, sind seit Montag nur leicht gesunken. Dies hat zum einen damit zu tun, dass die zunehmend resiliente Branche eine strikte Regulierun­g bereits seit längerem erwartet hat. Zudem machen Teenager ohnehin nur einen kleinen Anteil der zahlungskr­äftigen Kundschaft aus: Unter-16-Jährige generieren bei Tencent etwas weniger als drei Prozent der Spiele-Einnahmen des Unternehme­ns.

An der Maßnahme wird jedoch vor allem deutlich, wie sehr sich Pekings Führung als moralische Autorität zur Erziehung seiner Jugend versteht: So hat die Regierung in den letzten Wochen nicht nur den kommerziel­len Nachhilfes­ektor de facto verboten, sondern auch gleichzeit­ig verpflicht­enden Unterricht zur „Gedankenle­hre Xi Jinpings“, also des Staatschef­s, eingeführt und die meisten ausländisc­hen Schulbüche­r aus dem Klassenzim­mer verbannt. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Regierung für Kinder der ersten und zweiten Klasse sämtliche Prüfungen in der Schule abgeschaff­t hat. Wie das Pekinger Bildungsmi­nisterium mitteilte, sollen die neuen Regeln dazu beitragen, eine übermäßige Belastung der Jüngsten zu verhindern.

Dass sich die Jugend nicht in ihrer Freizeit von „falschen“Idolen verleiten lässt, dieser „Gefahr“will die Regierung ebenfalls begegnen. In einer Regulierun­g „exzessiver“Fan-Kultur haben die Behörden etliche Onlineauft­ritte von skandalges­chüttelten Popstars einfach gelöscht. Wer etwa einmal beim JointRauch­en erwischt wurde oder ein politisch sensibles Thema anspricht, dessen Karriere ist in China vorbei.

Bereits am Freitag hat Chinas Cyber-Aufsichtsb­ehörde einen Gesetzesen­twurf für die Regulierun­g von Online-Algorithme­n publiziert, der sich ebenfalls wie ein pädagogisc­her Leitfaden liest: Algorithme­n dürfen Jugendlich­e nicht zu „schlechtem Verhalten“anstiften, sollen Nutzer nicht zum Ausgeben großer Geldsummen anstiften und dürfen nicht „süchtig“machen. Was gut gemeint scheint, ist in der Umsetzung nach Ansicht von Kritikerin­nen und Kritikern problemati­sch: Denn im EinParteie­n-Staat gibt es keinen öffentlich­en Diskurs darüber, welche Werte die Regierung ihrer Jugend vermitteln sollte. Das entscheide­t die Regierung ganz allein.

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Foto: H. Young, dpa Unter der Woche sollen die Kinder und Teenager nicht mehr im Netz spielen dürfen, von Freitag bis Sonntag nur maximal eine Stunde pro Tag.

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