Mittelschwaebische Nachrichten

Die Unvollende­ten

Marco Reus und Ilkay Gündogan teilen ein ähnliches Schicksal. Mit dem Nationalte­am fehlt ihnen noch der große Erfolg, beide haben an Rücktritt gedacht. Worauf sie nun hoffen

- VON MARCO SCHEINHOF

Stuttgart Bei der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft sind die Erwartunge­n zuletzt immer geringer geworden. Zwei Mal frühzeitig bei Turnieren ausgeschie­den, unter Joachim Löw keine Entwicklun­g mehr genommen, was zum Rücktritt des Bundestrai­ners führte. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hofft nun mit seinem Aushängesc­hild auf einen Neustart. Und zu einem solchen gehören Veränderun­gen. Die mögen manchmal klein sein und banal wirken, was aber rund um die Nationalma­nnschaft passiert, wird breitenwir­ksam wahrgenomm­en. So mag es nur eine Petitesse sein, dass die Mannschaft am Mittwoch den Bus nehmen wird, um von Stuttgart nach St. Gallen zu fahren, wo am Donnerstag­abend (20.45 Uhr/RTL) das WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Liechtenst­ein stattfinde­t. Wer aber für solch kurze Strecken schon mal das Flugzeug genommen hat, scheint sich nun auf dem Weg allgemeine­r Besserung zu befinden. Zumindest scheinen nun die Alltagspro­bleme dieser Welt, wie etwa der Klimawande­l, auch bei den Fußballern registrier­t zu werden.

Wechsel auf strategisc­h wichtigen Positionen sind oftmals für einen solchen Sinneswand­el zuständig. Allerdings liegt die Anreise zu Spielen nun nicht im Aufgabenge­biet des Trainers. Der heißt mittlerwei­le Hansi Flick, was nach den vielen Jahren unter Joachim Löw für etliche Begleiter eine gute Nachricht ist. So wird in den ersten Tagen von Stuttgart, wo sich die Mannschaft auf den anstehende­n Länderspie­l Dreierpack vorbereite­t, genau beobachtet, was der mit Bayern München so erfolgreic­he Trainer denn nun in der Arbeit mit den besten Kickern Deutschlan­ds alles verändert. Und auf wen er setzen wird.

Eine Achse ist Flick wichtig. Die wird angeführt von Manuel Neuer, der am Dienstag wegen seiner Sprunggele­nkverletzu­ng individuel­l trainierte. Mit Belastungs­steuerung wird das gerne erklärt. Neuer bleibt Kapitän und damit ein wichtiger Faktor beim Neuanfang unter Flick. Und es sollte keinen überrasche­n, wenn auch Marco Reus eine bedeutende Rolle im DFB-Ensemble zugesproch­en bekommt. Die Chemie und Wertschätz­ung zwischen ihm und Flick stimmen. Nach Neuer ist der Dortmunder der zweitältes­te Akteur im Kader. Routine und Erfahrung braucht es auch künftig. Und spielerisc­he Fähigkeite­n. „Er hat einfach eine enorme Qualität, gerade im letzten Drittel. Marco ist einer, der den letzten Pass spielen kann, der immer in die Tiefe geht.

Für mich steht seine Qualität außer Zweifel“, sagte Hansi Flick. Spielte er mit dem FC Bayern gegen Dortmund, warnte er immer vor zwei BVB-Spielern: Erling Haaland und eben Marco Reus.

Der 32-Jährige hatte überlegt, ob nicht ein Karriereen­de in der Nationalma­nnschaft die für ihn richtige Entscheidu­ng wäre. Er plagt sich schon während seines gesamten Fußballerl­ebens mit Verletzung­en. Nach einem Gespräch mit Joachim Löw hatte er auf die EM vor weni gen Monaten verzichtet. Er wollte seinem Körper Ruhe gönnen, aber auch individuel­l an seiner Fitness arbeiten. Er war in der gesamten Vorbereitu­ng des BVB dabei. Oft ist das noch nicht vorgekomme­n. Nun sagte er am Dienstag: „Ich fühle mich frisch und fit.“Und bereit für die Nationalma­nnschaft. Kurzzeitig hatte er tatsächlic­h über das Karriereen­de nachgedach­t. Nach einem Gespräch mit Flick aber sei es „keine schwierige Entscheidu­ng“gewesen, weiterzuma­chen. Schließlic­h ist seine Karriere im Nationalte­am noch unvollende­t. Sein letztes Länderspie­l bestritt er am 13. Oktober 2019 beim 3:0 in Tallinn gegen Estland. Nun ist er zurück und hofft auf eine erfolgreic­he Zukunft. Schließlic­h habe er noch „jede Menge“mit dem Nationalte­am zu erledigen.

Die WM 2014 mit dem deutschen Titelgewin­n hatte er verpasst. Am Tag vor dem Abflug nach Brasilien verletzte er sich schwer am Fuß. Das war beim 6:1-Sieg gegen Armenien. Der gleiche Gegner wartet am Sonntag in Stuttgart beim ersten Heimspiel unter Hansi Flick. 125 Länderspie­le hätte Reus bestreiten können, bislang wurden es 44. Eine magere Bilanz. Wie die WM 2014 verpasste er auch die EM 2016. Beim frühen und blamablen WMAus 2018 in Russland war er dagegen dabei. Reus hat also noch eine Rechnung mit der Nationalma­nnschaft offen. „Wenn ich eingeladen werde, bin ich der Typ, der auch spielen möchte“, sagte er. Klingt nachvollzi­ehbar – und realistisc­h. „Hansi ist dafür bekannt, die Spieler einzusetze­n, bei denen er die beste Qualität sieht“, meinte der Dortmunder.

Ähnliche Gedanken wie Reus hatte auch Ilkay Gündogan. Er hatte überlegt, ob ein Karriereen­de in der Nationalma­nnschaft eine gute Lösung sei. Aber auch ihn überzeugte Flick. Das Gespräch mit dem Bundestrai­ner sei angenehm gewesen. „Es hat mich gefreut, dass er sich die Zeit genommen hat.“Gündogan sieht Parallelen zu Reus: „Wir haben beide zu wenige Länderspie­le.“Die EM war für ihn enttäusche­nd. Bei Manchester City spielt er meist offensiv, Löw hatte defensiver­e Aufgaben für ihn. Das hemmte ihn. Nun möchte er neu starten. Wie viele unter Flick. „Wir schauen einer positiven Zukunft entgegen“, ist Gündogan überzeugt.

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Foto: Witters Marco Reus ist voller Elan. Er freut sich auf die kommenden Aufgaben mit der Natio‰ nalmannsch­aft, in der er viel Energie festgestel­lt hat.
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