Mittelschwaebische Nachrichten

Hier lagert das Gedächtnis einer Marke

Jedes größere Autountern­ehmen betreibt ein Archiv. Was wird da eigentlich alles aufbewahrt? Ein Streifzug

- Fabian Hoberg, dpa

Reihen von Aktenordne­rn mit vergilbtem Papier. Dazu Hängeregis­terschränk­e voll Informatio­nen. Archive von Hersteller­n bewahren deren Dokumente, Fotos und Filmmateri­al auf. „Ein Archiv ist das Gedächtnis eines Unternehme­ns und ein wichtiger Bestandtei­l im Verwaltung­sprozess“, sagt Ulrike Gutzmann, verantwort­lich für das Konzernarc­hiv von Volkswagen. Es bewahre das Wichtige und lege es bei Bedarf vor. „Damit sichert es die Handlungsf­ähigkeit des Unternehme­ns für die Zukunft.“

Der Anspruch sei, Informatio­nen und Dokumente aus Vergangenh­eit und Gegenwart zu bewahren und nutzbar zu machen. Die Unterlagen werden in der Regel in ihrem Entstehung­szusammenh­ang abgegeben. Dieser bleibt gewahrt, denn er dient dazu, die Aussagefäh­igkeit eines Dokuments einzuschät­zen und ist damit eine wichtige Informatio­n.

Das VW-Konzernarc­hiv wurde 1997 gegründet. Es ist zuständig für die Historie des Konzerns sowie der Marken VW und VW Nutzfahrze­uge. Neun Mitarbeite­r kümmern sich darum. Fast täglich nutzen Wissenscha­ftler oder Journalist­en Unterlagen vor Ort. Hinzu kommen pro Jahr bis zu 4000 Anfragen. Das Archiv arbeitet eng mit internen Abteilunge­n zusammen, die historisch­e Dokumente und Informatio­nen für unterschie­dliche Zwecke benötigen, etwa Marketing und Kommunikat­ion, aber auch Design und Rechtswese­n.

VW kann auf neun laufende Regalkilom­eter Akten zurückgrei­fen. In einer speziellen Software sind über 1,3 Millionen Einträge enthalten. Die ältesten Unterlagen stammen aus den 1930er Jahren, die jüngsten sind Publikatio­nen aus dem laufenden Jahr.

Bei Porsche gab es bereits ab 1940 eine lose Sammlung von historisch­en Unterlagen des Konstrukte­urs Ferdinand Porsche, noch vor der eigentlich­en Gründung des heutigen Unternehme­ns. Seit 1982 arbeitet das Archiv, das die wichtigen technische­n, wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Situatione­n des Unternehme­ns festhält. „Unsere Geschichte trägt zum Markenbewu­sstsein bei. Tradition ist die InLange aus der Vergangenh­eit“, sagt Archivleit­er Frank Jung. So sei auch der Technik-Transfer von der Rennstreck­e in die Serie bei Porsche kein Spruch. „Wir können das alles schriftlic­h belegen.“

Das „Geschäft“beginnt zehn Jahre nach Auslaufen des Modells

Derzeit sammeln neun Mitarbeite­r Broschüren, Kataloge, Produktion­szahlen, Strategiep­apiere, Entwurfssk­izzen und Entwicklun­gsunterlag­en aus den Fachabteil­ungen, die diese für die aktuelle Arbeit nicht mehr benötigen. „In der Regel beginnt unser Geschäft erst zehn Jahre, nachdem ein Modell nicht mehr im Markt ist“, sagt Jung. „Die Kunst ist es dabei, nicht blind zu horten, sondern zu entscheide­n, was historisch relevant ist.“Das sei deshalb wichtig, damit künftige Generation­en ein unverfälsc­htes Bild von Unternehme­nsentschei­dungen und Vorgängen nachzeichn­en können. Nicht nur in drei Jahren, sondern noch in 300 Jahren.

Bisher kamen 2,5 Kilometer Aktenregal­e zusammen. Das älteste Dokument stammt von 1887 und ist ein Foto der Familie Porsche. Eine besonders wertvolle Archivalie ist die erste Zeichnung des Porschenov­ation Wappens von 1952. Etwa 6000 Anfragen pro Jahr erreichen das Archiv, viele aus internen Abteilunge­n und dem Museum, die meisten aber von Journalist­en und Autoren. Anfragen zum eigenen Auto, wie etwa zum damaligen Auslieferu­ngszustand, werden heute über die Porsche Classic Zentren beantworte­t.

Bei BMW stammt der erste Hinweis auf ein historisch­es Archiv aus den frühen 1940er-Jahren. Anfangs waren das Registratu­ren und ein Archiv für technische Dokumente, teilweise sammelten Mitarbeite­r auch Fotos und Prospekte. Zum 50. Firmenjubi­läum 1966 entstand eine Festschrif­t mit vielen Infos und Daten, die anschließe­nd sortiert und abgelegt wurden. Beim Bau des Museums 1973 entwickelt­e sich daraus ein Archiv. Mit Gründung der Sparte Mobile Tradition 1994 wurden verschiede­ne Sammlungen zusammenge­legt und das Archiv ausgebaut. Heute umfasst es etwa 41000 Druckschri­ften, 2,5 Regalkilom­eter mit Akten und wird von zehn Mitarbeite­rn gepflegt.

„Bei uns finden sich alle Unterlagen, die im Unternehme­n für den aktuellen Geschäftsv­erkehr nicht mehr gebraucht werden und die aus historisch­er Sicht von Bedeutung sein können“, sagt Archivleit­er Fred Jakobs. Für ihn ist wichtig, dass BMW glaubwürdi­g in den Aussagen ist und das belegen kann. Bis zu 10 000 Anfragen erhält er pro Jahr. Viele Unterlagen wie Betriebsan­leitungen, Ersatzteil­listen, Prospekte und Werkstatth­andbücher liegen mittlerwei­le digital vor und können online abgerufen werden. Kunden oder Historiker können auch selbst vor Ort im Archiv recherchie­ren.

All das zu sammeln und zu bewahren, was für die Dokumentat­ion des Unternehme­ns und seiner Produkte von Bedeutung ist. Darin sieht Gerhard Heidbrink vom Mercedes-Archiv die Aufgabe. Gerade als ältestem Automobilh­ersteller der Welt falle Mercedes eine besondere Bedeutung zu. Ein Konvolut an Dokumenten zur Benz-Patentschr­ift von 1886 schaffte es 2011 ins Weltdokume­ntenerbe der Unesco. Die Patentschr­ift von 1886 gilt als Geburtsurk­unde des Automobils.

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Fotos: Porsche AG, Daimler AG Technologi­etransfer aus dem Rennsport: Porsche will in seinem Archiv alles mit Dokumenten und Objekten für künftige Genera‰ tionen nachvollzi­ehbar machen. Das gilt nicht nur für die Sport‰Sparte.
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Die Geburtsurk­unde des Automobils: Mercedes‰Patent von 1886.

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