Mittelschwaebische Nachrichten
Nur ein Schlichter kann Weselsky zähmen
Der Tarifkonflikt ist derart festgefahren, dass lediglich ein unparteiischer Dritter den Knoten durchschlagen kann. Der Lokführer-Chef darf das nicht weiter ablehnen
Claus Weselsky scheint sein eigener Kommunikationsberater zu sein. Sonst würde er nicht ohne Unterlass sagen, was er denkt. Doch damit heizt der Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL als Mitglied des Vereins für deutliche Aussprache den Konflikt mit der Bahn weiter unnötig an. Der wortgewaltige Sachse wirkt, als wäre er der Franz Josef Strauß der Tarifpolitik. Wie einst das CSUUrgestein neigt auch CDU-Mitglied Weselsky dazu, genüsslich Gegner verbal in den Senkel zu stellen. So räumt der Gewerkschafter, was unklug ist, offen ein, die dritte und nun fünftägige Streikwelle „absichtlich“losgetreten zu haben.
Wenn Weselsky der Bahn-Führung vorwirft, eine PropagandaMaschine gegen die Lokführer-Gewerkschaft in Gang gesetzt zu haben und sich „die Taschen vollzumachen“, lässt seine Rhetorik nur einen Schluss zu: Er ist, obwohl der Konzern ein verbessertes Angebot vorgelegt hat, nicht bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Doch der kampfeslustige Mann hat sich verrannt: Längst liegen die Forderungen von GDL und Bahn nicht mehr derart weit auseinander, wie er es darstellt. Die Wahrheit ist vielmehr: Bei etwas gutem Willen hätten Tarifparteien anderer Branchen sich längst geeinigt.
Die Bahn ist eben ein wüstes tarifpolitisches Biotop, in dem seit geraumer Zeit und längst vor der Ära „Weselsky“unnötig mit den Muskeln gespielt wird. Daran sind beide Seiten, Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertreter, schuld. Die Konzern-Spitze müsste wissen, wie der GDL-Chef tickt, und psychologisch klug sein spezielles Naturell in die Strategie einbeziehen.
Weselsky ist nämlich ein AntiSoftie, der laut eigener Aussage, wenn man ihm auf die linke Wange knalle, nicht die rechte hinhalte, sondern offen sagt: „Dann gibt’s zurück.“In der DDR-Zeit sei er nie in die Partei eingetreten und hat nach eigenem Bekunden nicht geglaubt, was im Neuen Deutschland stand. „Ich war in der Familie der, der aus der Art schlug“, gesteht der Lokführer-Boss. Statt ihn nun ernst zu nehmen und zu deeskalieren, macht Bahn-Chef Richard Lutz das Gegenteil: Der Manager treibt den GDL-Lenker in die Enge, indem er ihm unterstellt, eine Tarifpolitik gegen die Eisenbahnerfamilie
zu betreiben.
Damit spricht Lutz dem Arbeiterführer das Ehrgefühl ab, was dazu führen kann, dass der Streik noch länger geht. Dabei müsste der Bahn-Chef wissen, dass Weselsky nicht nur um Lohnprozente, sondern um die Existenz seiner Organisation kämpft. Dazu wird er durch das widersinnige Tarifeinheitsgesetz getrieben, wurde dort doch der Grundsatz „ein Betrieb, eine Gewerkschaft“festgezurrt, im falschen Glauben, so ließe sich die Streiklust kleinerer Gewerkschaften wie der GDL massiv eindämmen. In den vielen Unternehmensteilen der Deutschen Bahn hat aber oft die größere Gruppierung EVG das Sagen. Die Lokführer kämpfen also um Respekt und Einfluss, was berechtigt ist.
Damit ist der Tarifkonflikt derart komplex geworden, dass nur noch ein Schlichter beiden Parteien einen Ausweg aufzeigen kann. Auch wenn Weselsky nach einem solch vergeblichen Versuch im vergangenen Jahr nichts davon hält, muss er sich bewegen, um nicht als „Mister No“der Republik zu gelten. Dabei haben sich bei der Bahn schon einige Politiker wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Bodo Ramelow und Gerhard Schröder als Moderatoren in der Not versucht. Die beiden Ersteren leben nicht mehr. Letzterer, also der kantige ehemalige SPD-Kanzler, wirkt als Ideal-Besetzung für den Job. In seiner schnoddrigen Art („Hol mir mal ’ne Flasche Bier“) und mit ruhiger Hand hat er zumindest eine Chance, Weselsky zu zähmen.
Auch der Bahn-Chef provoziert