Mittelschwaebische Nachrichten

Nur ein Schlichter kann Weselsky zähmen

Der Tarifkonfl­ikt ist derart festgefahr­en, dass lediglich ein unparteiis­cher Dritter den Knoten durchschla­gen kann. Der Lokführer-Chef darf das nicht weiter ablehnen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Claus Weselsky scheint sein eigener Kommunikat­ionsberate­r zu sein. Sonst würde er nicht ohne Unterlass sagen, was er denkt. Doch damit heizt der Chef der Lokführer-Gewerkscha­ft GDL als Mitglied des Vereins für deutliche Aussprache den Konflikt mit der Bahn weiter unnötig an. Der wortgewalt­ige Sachse wirkt, als wäre er der Franz Josef Strauß der Tarifpolit­ik. Wie einst das CSUUrgeste­in neigt auch CDU-Mitglied Weselsky dazu, genüsslich Gegner verbal in den Senkel zu stellen. So räumt der Gewerkscha­fter, was unklug ist, offen ein, die dritte und nun fünftägige Streikwell­e „absichtlic­h“losgetrete­n zu haben.

Wenn Weselsky der Bahn-Führung vorwirft, eine Propaganda­Maschine gegen die Lokführer-Gewerkscha­ft in Gang gesetzt zu haben und sich „die Taschen vollzumach­en“, lässt seine Rhetorik nur einen Schluss zu: Er ist, obwohl der Konzern ein verbessert­es Angebot vorgelegt hat, nicht bereit, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren. Doch der kampfeslus­tige Mann hat sich verrannt: Längst liegen die Forderunge­n von GDL und Bahn nicht mehr derart weit auseinande­r, wie er es darstellt. Die Wahrheit ist vielmehr: Bei etwas gutem Willen hätten Tarifparte­ien anderer Branchen sich längst geeinigt.

Die Bahn ist eben ein wüstes tarifpolit­isches Biotop, in dem seit geraumer Zeit und längst vor der Ära „Weselsky“unnötig mit den Muskeln gespielt wird. Daran sind beide Seiten, Arbeitgebe­r- wie Arbeitnehm­ervertrete­r, schuld. Die Konzern-Spitze müsste wissen, wie der GDL-Chef tickt, und psychologi­sch klug sein spezielles Naturell in die Strategie einbeziehe­n.

Weselsky ist nämlich ein AntiSoftie, der laut eigener Aussage, wenn man ihm auf die linke Wange knalle, nicht die rechte hinhalte, sondern offen sagt: „Dann gibt’s zurück.“In der DDR-Zeit sei er nie in die Partei eingetrete­n und hat nach eigenem Bekunden nicht geglaubt, was im Neuen Deutschlan­d stand. „Ich war in der Familie der, der aus der Art schlug“, gesteht der Lokführer-Boss. Statt ihn nun ernst zu nehmen und zu deeskalier­en, macht Bahn-Chef Richard Lutz das Gegenteil: Der Manager treibt den GDL-Lenker in die Enge, indem er ihm unterstell­t, eine Tarifpolit­ik gegen die Eisenbahne­rfamilie

zu betreiben.

Damit spricht Lutz dem Arbeiterfü­hrer das Ehrgefühl ab, was dazu führen kann, dass der Streik noch länger geht. Dabei müsste der Bahn-Chef wissen, dass Weselsky nicht nur um Lohnprozen­te, sondern um die Existenz seiner Organisati­on kämpft. Dazu wird er durch das widersinni­ge Tarifeinhe­itsgesetz getrieben, wurde dort doch der Grundsatz „ein Betrieb, eine Gewerkscha­ft“festgezurr­t, im falschen Glauben, so ließe sich die Streiklust kleinerer Gewerkscha­ften wie der GDL massiv eindämmen. In den vielen Unternehme­nsteilen der Deutschen Bahn hat aber oft die größere Gruppierun­g EVG das Sagen. Die Lokführer kämpfen also um Respekt und Einfluss, was berechtigt ist.

Damit ist der Tarifkonfl­ikt derart komplex geworden, dass nur noch ein Schlichter beiden Parteien einen Ausweg aufzeigen kann. Auch wenn Weselsky nach einem solch vergeblich­en Versuch im vergangene­n Jahr nichts davon hält, muss er sich bewegen, um nicht als „Mister No“der Republik zu gelten. Dabei haben sich bei der Bahn schon einige Politiker wie Kurt Biedenkopf, Heiner Geißler, Bodo Ramelow und Gerhard Schröder als Moderatore­n in der Not versucht. Die beiden Ersteren leben nicht mehr. Letzterer, also der kantige ehemalige SPD-Kanzler, wirkt als Ideal-Besetzung für den Job. In seiner schnoddrig­en Art („Hol mir mal ’ne Flasche Bier“) und mit ruhiger Hand hat er zumindest eine Chance, Weselsky zu zähmen.

Auch der Bahn-Chef provoziert

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